Die Folgen der Bonner Konferenz für Afghanistan

Haste mal 'nen Posten?

Die auf der Bonner Konferenz ausgehandelte Verteilung der Ministerien entspricht nicht den Machtverhältnissen in Afghanistan. Eine UN-Truppe soll die Politiker nach Kabul begleiten.

An Ministern fehlt es der auf der Bonner Konferenz zusammengestellten afghanischen Interimsregierung nicht. Industrie, Bildung und Landwirtschaft wurden in je zwei Ressorts aufgespalten. Es gibt einen Minister für Luftfahrt und Tourismus, der nicht allzu viel zu tun haben dürfte, und sogar ein Ressort für Pilgerfahrt und islamische Stiftungen.

Bei den am vergangenen Mittwoch beendeten Verhandlungen waren 30 Ministerposten zu vergeben. 18 von ihnen gehen an die Nordallianz, elf fallen der Rom-Gruppe zu, die den ehemaligen König Mohammad Zahir Schah vertritt. Die paschtunische Peshawar-Gruppe wurde mit dem Ministerium für Bewässerung abgefunden, die dem Iran nahe stehende Zypern-Gruppe ging leer aus. Es gibt sogar zwei Ministerinnen, doch die eine gehört der Nordallianz, die andere der Rom-Gruppe an. Frauenrechtsorganisationen wie die Revolutionäre Vereinigung der Frauen Afghanistans (Rawa) waren von den Verhandlungen ausgeschlossen.

Ein demokratisches Musterkabinett aufzustellen, war auch nicht das Ziel der von der Uno und den westlichen Staaten organisierten Verhandlungen zwischen Warlords, Royalisten, von interessierten ausländischen Staaten unterstützten Exilpolitikern und paschtunischen Aristokraten. In Bonn sollten einerseits die Warlords der Nordallianz integriert werden, andererseits wollte man über die Rom-Gruppe ein Gegengewicht zu den bewaffneten Fraktionen in der neuen Regierung etablieren.

Die konservativen Kräfte um Zahir Schah sollen auch die paschtunische Bevölkerungsgruppe repräsentieren. Sie verdanken ihre relativ starke Position in der Interimsregierung vor allem dem westlichen Druck, mit Hamid Karzai stellen sie sogar den Premierminister. Vor allem Burhanuddin Rabbani musste überzeugt werden, der als Präsident des Islamischen Staates Afghanistan bislang offizieller Repräsentant seines Landes in der Uno war. Da seine Truppen zudem die Hauptstadt Kabul kontrollieren, hatte er bis zuletzt auf eine hohe Regierungsposition gehofft und von Kabul aus mehrfach den Verhandlungsverlauf in Bonn kritisiert (Jungle World, 50/01).

Nach Angaben der Los Angeles Times telefonierten US-Politiker und auch der deutsche Außenminister Joseph Fischer mit Rabbani, um ihn zum Verzicht auf seine Ansprüche zu überreden. Die Bemühungen waren erfolgreich, doch der Preis für das Schweigen Rabbanis war ein Übergewicht für Vertreter seiner Fraktion, denen mit dem Verteidigungs-, dem Innen- und dem Außenministerium die Schlüsselressorts in der Interimsregierung zufielen.

Das erboste Rashid Dostum, dessen Truppen Mazar-i-Sharif erobert und damit den ersten Sieg der Nordallianz im Kampf gegen die Taliban erfochten hatten. Seine Gesandten wurden mit Ministerien von weit geringerer Bedeutung abgefunden. »Das ist eine Demütigung für uns«, klagte er, »wir sind sehr traurig.« Der traurige Dostum will den Vertretern der Interimsregierung nun den Zutritt zu seinem Herrschaftsgebiet verwehren. Bereits während der Herrschaft der Nordallianz in den Jahren 1992 bis 1996 hatte er sein Mini-Imperium wie einen unabhängigen Staat regiert und sogar eine eigene Währung eingeführt.

Auch andere Vertreter der Nordallianz kritisierten die Verteilung der Ministerposten. Unzufrieden sind auch die vom Iran unterstützten Islamisten der Hizb-i-Islami. »Wir wurden verraten«, behauptete Wahidullah Sabawoon, der sich Hoffnungen auf den Posten des Finanzministers gemacht hatte, und forderte eine nachträgliche Einbeziehung seiner Partei in die Regierung. Aus dem Süden meldeten sich paschtunische Warlords zu Wort, die sich von der Rom-Gruppe nicht repräsentiert fühlen (siehe Seite 21).

Zwar wird, wenn alles nach Plan läuft, die Interimsregierung kaum mehr als ein halbes Jahr amtieren. Bis dahin soll die Loya Jirga, eine nationale Ratsversammlung, einberufen werden, die eine neue Übergangsregierung bestimmt. Doch ein hoher Posten in der Interimsregierung gilt als bester Ausgangspunkt, um von den in Aussicht gestellten westlichen Hilfsgeldern profitieren zu können.

Die große Zahl der Ministerien machte es möglich, zahlreiche Fraktionen mit einem Posten zu bedenken. Doch die Zusammensetzung der Interimsregierung entspricht nicht dem militärischen Kräfteverhältnis. Ein Abkommen, das, so der UN-Vermittler Fransesc Vendrell, »mit einem gewissen Maß an Druck« zustande kam, »könnte schwierig zu implementieren sein«.

Ein Teil des Bonner Abkommens ist daher die Anforderung einer UN-Truppe. Sie soll zunächst für die Sicherheit in Kabul und Umgebung sorgen, doch ihre Zuständigkeit »könnte, wenn dies angemessen ist, fortschreitend auf andere städtische Zentren und andere Gebiete ausgedehnt« werden. Die Stärke, die Kommandostruktur, die Stationierungsorte und das Mandat der Truppe müssen allerdings noch ausgehandelt werden.

Die US-Regierung hatte sich vor dem Abschluss der Bonner Verhandlungen gegen eine Stationierung von UN-Truppen vor dem Ende der Kämpfe ausgesprochen. Am Freitag erlärte Außenminister Colin Powell jedoch, man habe nichts mehr dagegen, dass Blauhelme Ende Dezember gleichzeitig mit den Mitgliedern der Interimsregierung in Kabul landen, solange sie den Krieg gegen verbliebene Taliban-Kämpfer und al-Qaida-Mitglieder nicht stören.

Aus seiner Sicht, so Powell, kämen nur Deutschland und Großbritannien für die Führung einer solchen Truppe in Frage: »Kanzler Schröder hat früher Interesse daran bekundet, und es hat auch ein gewisses britisches Interesse gegeben.« Der britische Verteidigungsminister Geoff Hoon bestätigte, dass seine Regierung bereit sei, die Führungsrolle in der UN-Truppe zu übernehmen. Ein Sprecher des deutschen Verteidigungsministers Rudolf Scharping dagegen dementierte in der Welt deutsche Führungsinteressen: »Wir streben diese Rolle nicht an.« Scharping meinte, die Führungsrolle sei »sekundär«, auch verfüge die Bundeswehr noch nicht über ein für solche Einsätze geeignetes Kommandozentrum.

Mit insgesamt 8 000 im Kosovo und in Mazedonien eingesetzten und weiteren 3 900 für den »Krieg gegen den Terror« bereit gestellten Soldaten sieht sich die Bundeswehr an der Grenze ihrer derzeitigen Interventionsfähigkeit. Zumindest mit einigen hundert Soldaten wird sie sich aber wahrscheinlich doch an der UN-Truppe in Afghanistan beteiligen. Und es ist auch nicht auszuschließen, dass die deutsche Außenpolitik wieder einmal neue Umstände entdeckt, die eine Rolle gebieten, die man zuvor zurückgewiesen hat.

Scharping nannte allerdings Bedingungen für einen deutschen Einsatz: »Das Uno-Mandat dafür sollte (...) auf maximal zwei Jahre begrenzt und robust sein nach Kapitel VII der UN-Charta: Ein entmilitarisiertes Kabul, den Flughafen, die Verbindung dorthin sichern und damit die Übergangsregierung. Es ist nicht sinnvoll, das ganze Land mit einer internationalen Streitmacht sichern zu wollen.«

In der Nordallianz gibt es seit dem Streit um die nicht abgesprochene Stationierung von Elitesoldaten nahe Kabul (Jungle World, 48/01) starke Vorbehalte gegen eine britische Führung der UN-Truppe. Deutschland dagegen unterhält nicht nur traditionell gute Beziehungen zum afghanischen Königshaus, sondern auch zu Russland und dem Iran, den vor Kriegsbeginn wichtigsten Unterstützern der Nordallianz.

Und obwohl Scharping ein »robustes« Mandat fordert, das auch Kampfeinsätze erlaubt, will er den Einsatz der UN-Truppe auf Kabul und die Umgebung beschränken. Diese Forderung dürfte bei den Warlords in den anderen Landesteilen, die dann nicht von UN-Truppen belästigt würden, wohlwollend aufgenommen werden.

UN-Vertreter hatten in Bonn darauf bestanden, dass die Interimsregierung eine Blauhelmtruppe anfordert. Gewünscht wird sie jedoch nur von der Rom-Gruppe, die keine eigenen Milizen hat und auf den Schutz ausländischer Soldaten angewiesen ist, sowie von einigen Politikern der Nordallianz, die sich aus ihrer Abhängigkeit von den Warlords lösen wollen. Mohammad Fahim, General der Nordallianz und Verteidigungsminister der Interimsregierung, erklärte dagegen nach den Verhandlungen, es gebe »keinen Bedarf an einer großen Zahl von Truppen«.