Rückblick auf die Castor-Transporte

Bewegung verladen

Das vergangene Jahr endete für die Gegner der Atomkraft nach einem guten Start im Desaster. Ein Rückblick

Die Vertreter der verschiedenen Anti-Atomkraft-Initiativen zogen auf ihrer Pressekonferenz nach dem Castor-Transport am 14. November eine positive Bilanz. »Von einem reibungslosen Transport kann keine Rede sein. Es gab viele Menschen, die bereit waren zum gewaltfreien Protest gegen den Castor«, sagte Jochen Stay, der Sprecher der Kampagne X-tausendmal quer. Angesichts des Einbruchs der überregionalen Unterstützung war das ein unehrliches Resümee. Die hämische Bemerkung des Einsatzleiters der Polizei, Hans Reime, kam der Realität schon näher: »Wir waren Herr der Straße und Schiene.«

Nie war das Medieninteresse an einem Castor-Transport nach Gorleben so gering wie im letzten Herbst. Noch im Frühjahr war der Widerstand gegen den damaligen Transport ein zentrales politisches Ereignis. Die erste Atommüllfuhre nach der Aufhebung des zweijährigen Transportstopps und nach der Verabschiedung des Atomkonsenses der Bundesregierung und der Atomindustrie galt als Testfall dafür, ob mit der rot-grünen Politik eine Befriedung des gesellschaftlichen Konfliktes um die Nutzung der Atomenergie gelungen sei.

Das Testergebnis schien eindeutig. Der rot-grüne Pseudoausstieg hatte den Widerstand nicht geschwächt. Wegen einer spektakulären Aktion von Robin Wood - Aktivisten hatten sich unter den Gleisen festbetoniert - musste zum ersten Mal ein Castorzug den Rückwärtsgang einlegen. Darüber hinaus gab es viele erfolgreiche Aktionen an der Schienenstrecke: von Gleisblockaden über Brückenbesetzungen von Greenpeace bis zu Sabotageaktionen am Gleis. In Dannenberg kam es zu heftigen Auseinandersetzungen mit der Polizei. Der Transport wurde trotz des gigantischen Polizeiaufgebotes zu einem Kraftakt.

Im Herbst gab es dagegen nur wenige spektakuläre Aktionen. Der Polizei gelang es, die Schienenstrecke fast völlig frei zu halten. Und auch auf der Straße wurden alle Blockadeaktionen rigoros unterbunden. Den Bauern wurde während der Treckerblockade in Quickborn die Zerstörung ihres Arbeitsgerätes angedroht, gegen friedliche Blockierer ging die Polizei mit Pferden und Hunden vor. Die Polizei setzte auf eine konsequente Unterbindung aller Protestformen, und wegen ihrer personellen Überlegenheit - mehr als 15 000 Polizisten und Bundesgrenzschützer waren im Einsatz - ging diese Strategie auch auf.

Ergänzt wurde sie durch ein rigoroses juristisches Vorgehen. Nahezu sämtliche Campstandorte, die Kundgebung am 11. November in Splietau und weitere geplante Versammlungen fielen Verbotsverfügungen der Lüneburger Bezirksregierung zum Opfer. Hinzu kam die zeitlich und räumlich ausgeweitete Allgemeinverfügung eines generellen Demonstrationsverbots entlang der gesamten Transportstrecke zwischen Lüneburg und Gorleben. Im Wendland demonstrierte der Atomstaat in der Zwischenzeit die Routine des Ausnahmezustandes, es gab 780 Festnahmen, über 100 Ermittlungsverfahren und ungefähr 100 Verletzte.

Das von den Ereignissen des 11. September unbeeindruckte Festhalten der Bundesregierung und der niedersächsischen Landesregierung an dem Transporttermin hat sich ausgezahlt. Nur die regionalen Aktivitäten und die Treckerblockaden der Bäuerlichen Notgemeinschaft haben den Widerstand in Gorleben im November vor einem völligen Desaster bewahrt. Doch das regionale Protestmilieu ist überaltert. Und das linksradikale Spektrum hat in diesem Herbst das Interesse am Castor fast vollständig verloren.

Nach den Antiglobalisierungsprotesten in Genua und Göteborg und im Schatten der Terrorattentate von New York und Washington sowie des Krieges in Afghanistan wurde der Castor-Transport zu keinem großen Ereignis. Die Prognose des Polizeieinsatzleiters Reime bewahrheitete sich nur zur Hälfte: »Ich erwarte weniger Masse, aber mehr Militanz.« Nach dem Transport erwogen deshalb die Polizeiführung und das niedersächsische Innenminsterium, den Sicherheitsaufwand bei zukünftigen Transporten deutlich zu reduzieren.

Der Widerstand im Wendland scheint seine Bedeutung als Kristallisationspunkt der Anti-Atomkraft-Bewegung zu verlieren und zu einem regionalen Ereignis zu werden. Das politische Nahziel, die Verhinderung des jeweiligen Transportes, lässt sich nach den Erfahrungen des Herbstes nicht mehr glaubwürdig aufrechterhalten. Auch der bröckelnde Widerstand gegen die Transporte in die Wiederaufbereitungsanlagen La Hague und Sellafield spricht für eine erfolgreiche Zermürbungsstrategie der staatlichen Behörden. Die Fixierung der Anti-Atom-Bewegung auf die Castor-Transporte könnte sich als falsch erweisen. Für die Ablehnung der rot-grünen Atompolitik und die Forderung nach einem sofortigen Atomausstieg fehlt es scheinbar an geeigneten Angriffspunkten.

Der Atomkonsensvertrag und die anstehende Novellierung des einschlägigen Gesetzes, die einen politischen und rechtlichen Bestandsschutz für die laufenden Anlagen darstellen und die Atomindustrie von ihrem Entsorgungsproblem befreien, haben sich bisher als wenig tauglich für eine weitere Mobilisierung erwiesen. Die Anti-Atom-Bewegung hat den Widerstand an die Umweltverbände delegiert und ist damit gegenüber der rot-grünen Konsensstrategie in die Defensive geraten.

Die Bundesregierung konnte der Öffentlichkeit erfolgreich einreden, dass es sich bei der Atomenergie um ein Auslaufmodell handelt. Selbst die aktuelle Debatte über den fehlenden Schutz der Atomanlagen vor Terrorangriffen bereitet ihr keine Probleme. Der im Wahljahr 2002 bevorstehende nächste Transport von zwölf Behältern ins Wendland wird zeigen, ob Gorleben zu einem regionalen Problem geworden ist oder ob eine Opposition zur Atompolitik sichtbar bleibt. Nur wenn es der Anti-Atom-Bewegung gelingt, den Konflikt um die Atomenergie an neuen Fragen zuzuspitzen, kann sie es verhindern, selbst zu einem Auslaufmodell zu werden.

In der Abschlusserklärung der Herbstkonferenz der Anti-Atom-Bewegung, die Ende November in Leipzig stattfand, liest man dazu nur einen einzigen Satz: »Neue Schwerpunkte der Anti-Atomkraftbewegung sollen auf die Urantransporte in die Anreicherungsanlage Gronau und auf die Thematisierung der Atommüllgeschäfte mit Osteuropa gesetzt werden.« Es besteht also kein Anlass zu übertriebenen Hoffnungen.