Auf die Duhalde der Geschichte

Nach erbitterten Flügelkämpfen unter peronistischen Politikern setzt der neue argentinische Präsident sein wirtschaftliches Notstandsprogramm durch. Schon steigen die Preise.

Eduardo Duhalde tat am Samstag das, was argentinische Präsidenten am liebsten tun. Er bat das Parlament um Sondervollmachten, um seine Maßnahmen im Alleingang durchzusetzen. Die Parlamentarier erfüllten ihren Teil des Rollenspiels und verabschiedeten im Morgengrauen des nächsten Tages ein Gesetz, das den »öffentlichen Notstand in der Wirtschafts-, Finanz- und Geldpolitik« verkündet.

Noch tags zuvor hatten Flügelkämpfe unter den Peronisten dafür gesorgt, dass die Verabschiedung des vom Präsidentenstab ausgearbeiteten »Omnibusgesetzes«, das die ohnehin unvermeidliche Abwertung der Landeswährung Peso konkretisieren sollte, zunächst vertagt wurde. Nun aber braucht sich Duhalde um die Anhänger seines Rivalen Carlos Menem keine großen Sorgen mehr zu machen. Sie hatten zuvor verkündet, sie würden für die neue Regierung »keinen Finger krumm machen«. Am Sonntag stimmte dann das Parlament einer Abwertung des Peso um 30 Prozent zu. In vier bis fünf Monaten sollen die Wechselkurse möglicherweise ganz freigegeben werden.

Es dürfte nicht zuletzt der nationalistische Appell Duhaldes gewesen sein, der die zerstrittenen Blöcke zunächst wieder vereinigte. Duhalde beschwor eine »Bedrohung« von außen, damit meinte er vor allem den spanischen Präsidenten José Maria Aznar, der schon kurz nach Duhaldes Ernennung telefonisch Druck zu machen suchte.

Immerhin hatten spanische Unternehmen und Banken in den vergangenen zehn Jahren 45 Milliarden Euro in Argentinien investiert. Bei einer Abwertung wären die Verluste für Banken und Ölkonzerne groß, denn Duhalde plant, Schulden bis zu 100 000 Dollar im Verhältnis eins zu eins zu tauschen. Um das zu finanzieren, sollen Ölexporte besteuert werden. Außerdem ist im neuen Wirtschaftspaket eine Preisobergrenze und eine Kennzeichnungspflicht für »Grundversorgungsmittel« enthalten, um die nach der Abwertung des Peso zu erwartende Preisexplosion importierter Waren zu steuern.

»Wir dürfen für schnelle Profite keinen spekulativen Prozess auf Kosten der hungernden Menschen beginnen«, mahnte deshalb Kabinettschef Jorge Capitanich am vergangenen Donnerstag und rief Ladenbesitzer auf, ihre Preise nicht zu erhöhen. Ohne Erfolg: Die Brotindustrie und die Konzerne für Gas, Elektrizität und Telefon verkündeten am Freitag, sie würden die Preise, die bereits am Wochenende gestiegen waren, auf jeden Fall um mindestens 30 Prozent erhöhen. Auch bleibt völlig unklar, wie außerhalb großer Ladenketten eine »Kontrolle« von Preisen durchführbar sein soll.

Das Motto der gesamten Kampagne Duhaldes: Schutz des argentinischen Marktes und eine »Allianz mit dem produktiven statt wie bisher mit dem finanziellen Sektor«.

Zuvor hatten sich die Ereignisse überstürzt. Die Übergangspräsidenten mitgezählt, betrat am Neujahrstag der Peronist Duhalde als fünfter Präsident Argentiniens innerhalb von zwölf Tagen die Bühne der Macht. Ein ihm nicht ganz fremdes Terrain. Von 1989 bis 1991 war er Vizepräsident unter Menem, danach Gouverneur der Provinz Gran Buenos Aires, zu deren wirtschaftlichem Bankrott er maßgeblich beitrug.

Bei den Präsidentschaftswahlen 1999 wollte den Kandidaten Duhalde daher kaum jemand wählen; auch Menem, einst sein Weggefährte, heute sein Erzfeind, machte seinen designierten Nachfolger so lange in der Presse unbeliebt, dass der voraussehbare Sieg des »bürokratischen Langweilers« Fernando de la Rúa (UCR) noch klarer ausfiel als erwartet. De la Rúa stürzte am 20. Dezember, sein erster Nachfolger Rodriguez Sáa trat bereits nach einer Woche zurück und ging in die Provinz San Luis, wo er bereits seit 18 Jahren Gouverneur ist - zwei weitere Übergangspräsidenten hielten sich lediglich für Stunden bzw. Minuten.

Die peronistischen Gouverneure der großen, d.h. wirtschaftlich wichtigen Provinzen hatten Sáa schlichtweg die Unterstützung für seine Politik versagt. Der wichtigste Grund dafür war, dass der Peronismus heute für kaum mehr steht als für möglichst viel persönliche Macht und Bereicherung in möglichst kurzer Zeit. Daher wollten es die Provinzfürsten Carlos Reutemann, Néstor Kirchner und José Manuel de la Sota nicht zulassen, dass Sáa womöglich im März keine Wahlen abhalten, sondern bis Ende 2003 im Amt bleiben und dann, vielleicht sogar politisch gestärkt, als Präsidentschaftskandidat antreten würde.

Schließlich haben auch diese drei Gouverneure, und nicht nur sie, Präsidentschaftsambitionen. Als Sáa am vorletzten Samstag angesichts stärker werdender sozialer Unruhen ein Treffen aller peronistischen Gouverneure berief, damit sie gemeinsam ein »Kabinett der Einheit« bilden - das vorherige hatte den Präsidenten bereits nach fünf Tagen kollektiv um Entlassung gebeten -, erschienen statt der gewünschten 14 nur fünf der regionalen Machthaber. De la Sota verkündete vor der Presse, Sáa habe »nicht in einer Entscheidung« die Gouverneure konsultiert, weswegen diese es auch nicht mehr für nötig hielten, sich nun mit ihm zu treffen.

Der Coup war geglückt. In den folgenden zwei Tagen trat der peronistische Machtklüngel in der Provinz, im Kongress und im Parlament für eine Regierung der »nationalen Rettung« ein, wie sie vom Gouverneur der bevölkerungsreichsten Provinz Gran Buenos Aires, Carlos Ruckauf, bezeichnet wurde. Das Parlament solle einen Peronisten zum Präsidenten wählen, der mit der Unterstützung aller Parteien fähig sei, Argentinien bis 2003 zu regieren und aus der Krise zu führen.

Und so geschah es. Der Senator Eduardo Duhalde betrat das Parkett und versprach, 2003 nicht als Präsidentschaftskandidat anzutreten. Die Gouverneure haben also zwei Jahre Zeit, sich zu profilieren, und sie müssen nicht einmal den undankbaren Job des Krisenmanagements auf sich nehmen. Schließlich wurde Duhalde von 262 der 311 Abgeordneten gewählt. Auch die UCR stimmte für ihn. Nur Teile des faktisch zerbrochenen linksliberalen Bündnisses Frepaso und verschiedene Splitterparteien stimmten gegen den neuen Machthaber.

Aus der Perspektive der Macht hat das eine gewisse Logik. Fällt Duhalde durch, so ist die gesamte »clase politica« noch mehr diskreditiert als ohnehin schon, Alternativen existieren praktisch nicht mehr. Dafür sind auch für die politisch gescheiterte Allianz de la Rúas im neuen Kabinett einige Pöstchen abgefallen. Juan Pablo Cafiero, einst letzter Frepaso-Minister im Kabinett de la Rúa, ist jetzt Vizechef des Kabinetts, die Radikalen stellen das Verteidigungs- und Justizministerium.

Herrscht auf der parlamentarischen Ebene zumindest formal ein breiter Konsens, so kann man das vom alltäglichen Leben in Argentinien keineswegs behaupten. Diebe sind besser angesehen als Politiker, und Duhalde wird hier von fast allen mit der Mafia und dem skandalträchtigen Menem gleichgesetzt.

Nicht ohne Grund. In seiner Zeit als Gouverneur gingen auf das Konto der nach Duhaldes Worten »besten Polizei der Welt« zahlreiche Attentate. Am spektakulärsten war zweifellos das auf den Reporter José Luis Cabezas, den ein Trupp aus Provinzpolizisten und menemistischen Mafiosi 1997 erschoss und anschließend in seinem Auto verbrannte. Und auch die so genannte Politik des leichten Abzuges ist eine nützliche Erfindung Duhaldes. Sie besagt, dass die Polizei ohne Vorwarnung von der Schusswaffe Gebrauch machen kann. Fast täglich wurde auf diese Weise Bewohnern der Armenviertel der Prozess gemacht.

Die alternative Nachrichtenagentur Simeca ist deshalb pessimistisch. Im Gegensatz zu Sáa verfüge Duhalde tatsächlich über Macht. »Wenn nicht die Polizei auf den Demonstrationen zuschlägt, so engagiert Duhalde einfach für ein paar Pesos die Parteibasis aus der Provinz, die regeln das als wütende Zivilbevölkerung«, meint Marino Begalli, einer der 50 Mitarbeiter.

Einen Vorgeschmack darauf haben der Partido Obrero und die Izquierda Unida, ein linkes Parteienbündnis, schon bekommen. Als am Tag von Duhaldes Wahl etwa 1500 Anhänger gegen die fehlende Legitimation des neues Machthabers und für Neuwahlen protestierten, wurden sie gemeinsam von Duhalde-Anhängern und Polizisten attackiert. 30 Personen wurden verletzt.