Franko Petri und Erwin Mayer von Greenpeace Österreich

»Opposition gegen das Volksbegehren«

Volle Leistung in Temelin. Die tschechischen Behörden haben in der vergangenen Woche angekündigt, die Kapazität des umstrittenen Atomkraftwerkes künftig in vollem Umfang nutzen zu wollen. In Österreich findet Mitte Januar ein Volksbegehren der Freiheitlichen Partei (FPÖ) gegen das AKW statt, das ein Veto Österreichs gegen den EU-Beitritt des Nachbarlandes zur Folge haben könnte.

Die österreichische Bundesregierung hat mit der tschechischen Republik das so genannte Energiekapitel abgeschlossen. Ist Greenpeace damit zufrieden?

Erwin Mayer: Die Regierung behauptet felsenfest, sie kämpfe nach wie vor heroisch gegen Temelin, de facto hat es aber einen Abschluss gegeben. Dieser wird zwar hochtrabend als Brüsseler Konklusion bezeichnet, verpflichtet in Wahrheit aber die Tschechen zu wenig Neuem. Es werden kaum kostenintensive Maßnahmen eingefordert, und die Konsequenzen nach den Überprüfungen bleiben auch weitgehend der tschechischen Atombehörde und den AKW-Betreibern vorbehalten.

Franko Petri: Die Konklusion ist nur eine politische Vereinbarung, die nicht rechtsverbindlich ist. Wir sind also absolut unzufrieden. Bezeichnend ist, dass beide Regierungsparteien noch im September meinten, es dürfe keinen Abschluss des Energiekapitels geben, bis gewisse Maßnahmen am Kraftwerk umgesetzt seien. Jetzt fühlen sie sich aber nicht mehr an ihre Ankündigungen gebunden und haben das Energiekapitel abgeschlossen.

Wie beurteilt Greenpeace das Volksbegehren der FPÖ und das damit verbundene Veto gegen den tschechischen EU-Beitritt?

Mayer: Es ist mit Sicherheit nicht so gedacht, dass Parteien ein Volksbegehren lancieren, um sich in der Regierung durchzusetzen. Und es ist auch nicht als Wahlkampfschlager gedacht, wie es Jörg Haider jetzt entdeckt hat.

Zudem beinhaltet das Volksbegehren die Forderung, dass die verfassungsmäßigen Organe ermächtigt werden, dem EU-Beitritt Tschechiens zuzustimmen, wenn Temelin dauerhaft stillgelegt wird. Was geschehen soll, wenn das AKW nicht stillgelegt wird, geht allerdings aus dieser Formulierung nicht eindeutig hervor. Man gaukelt also ein Veto vor, aber aus dem Text des Volksbegehrens ergibt sich kein eindeutiger Anwendungszwang.

Greenpeace war immer dafür, den Zeitraum bis zum EU-Beitritt Tschechiens für Verhandlungen im Rahmen des Energiekapitels zu nutzen. Schon das zeigt, dass es der FPÖ nicht in erster Linie um die Verhinderung von Temelin geht, sondern um die Verhinderung des EU-Beitritts der Tschechen.

Petri:Die FPÖ weiß natürlich genau, dass das Volksbegehren anschließend im Parlament behandelt werden muss, also nichts bringt, weil weil weder die SPÖ noch die ÖVP dem Veto zustimmen werden.

Läuft Greenpeace Gefahr, für die tschechenfeindliche Politik der FPÖ missbraucht zu werden?

Petri:Die FPÖ hat sogar bewusst versucht, dass Greenpeace mit ihr assoziiert wird. Bei einer FPÖ-Pressekonferenz sind zwei Leute mit gelben Overalls aufmarschiert, ähnlich denen, die Greenpeace hat, und Klubobmann Peter Westenthaler hat im Österreichischen Rundfunk behauptet, dass Greenpeace das Volksbegehren unterstützen würde - was nicht stimmt. Wir wollen keine Rückendeckung für dieses Veto-Volksbegehren geben. Das haben wir monatelang immer wiederholt und wir opponieren gegen dieses Volksbegehren, wo immer es geht.

Mayer:Dennoch müssen wir eingestehen, dass wir mit der Vetopolitik in Verbindung gebracht werden. Atompolitik zieht natürlich Politiker an, die mit ihrer Kampfrhetorik Greenpeace in Umweltfragen überholen wollen. Je mehr Temelin auf innenpolitischer Ebene Präsenz findet, desto mehr geht die Anti-Atom-Diskussion in inhaltlicher Hinsicht baden. Dem entspricht, dass die FPÖ als Regierungspartei auf europäischer Ebene der Aufstockung der Nuklearförderung zugestimmt hat.

Ist es von Greenpeace erwünscht, dass nun ein so zentrales Anliegen wie die Stilllegung des AKW Temelin soviel Aufmerksamkeit findet, auch wenn man dadurch in die Parteipolitik hineingezogen wird?

Mayer: Es ist einerseits unerwünscht, weil wir inhaltlich reduziert und als Öko-Feigenblatt missbraucht werden. Und es ist andererseits erwünscht, weil es positiv ist, dass Atompolitik endlich ein Topthema in Österreich ist. Wir versuchen, nur insofern politisch zu sein, als es Umweltpolitik betrifft. Wir betreiben keine Parteipolitik, auch wenn in letzter Zeit versucht wurde, uns dafür zu missbrauchen. In welchem Maße man sich von der Nähe zu gewissen Parteien, wenn man inhaltlich mit ihnen übereinstimmt, verabschieden muss, das wird bei Greenpeace intern gerade heftig diskutiert.

Wäre es nicht sinnvoller, einen generellen Atomausstieg zu fordern, statt sich nur auf Temelin zu konzentrieren?

Mayer: Uns geht es nicht um die Diskriminierung Tschechiens, sondern um eine einheitliche Beurteilung aller europäischen AKW. Das betrifft also Bohunice, Mochovce, natürlich auch deutsche AKW wie Großremmingen und Brunsbüttel.

Warum wird fast nur Temelin in den Medien erwähnt? Was ist zum Beispiel mit dem zweiten tschechischen AKW Dukovany, was ist mit Pacs in Ungarn, was ist mit Krsko in Slowenien?

Mayer: Es gibt mehrere Gründe: Erstens wird Temelin aktuell gebaut und zweitens ist es sehr gefährlich.

Petri: Temelin musste einfach sehr schnell gebaut werden. Es kostet einen großen Teil des tschechischen Staatsbudgets, und die Regierung ist daher an das AKW gebunden. Temelin muss schnell verkauft werden - zum Beispiel an die EDF (Electricité de France). Es gibt also großen Druck und auch Zeitnot, und deshalb gehen die Sicherheitsmaßnahmen unter. Das hat nichts mit »tschechischer Schlamperei« zu tun.

Mayer:Es handelt sich hier um einen so genannten Ost-West-Mix, es wurde ein altes Ostkraftwerk mit Westtechnologie »nachgebessert«, wobei sich hier streiten lässt, ob das nicht alles noch schlimmer gemacht hat. Die tschechischen und ausländischen Ingenieure haben kaum miteinander geredet, Dokumente konnten nicht gelesen werden oder wurden gar nicht ausgetauscht.

Entscheidend ist jedoch, dass im Osten weitere ähnliche Projekte geplant sind. Das ist ein Riesengeschäft für die westliche Atomindustrie, der ja der Markt in den eigenen Ländern abhanden gekommen ist. Wenn Temelin funktioniert und auch akzeptiert wird, dann werden noch 15 oder 20 ähnliche AKW russischer Bauart im Osten nachgerüstet. Temelin ist also ein Referenzprojekt, dies wird auch von der Internationalen Atombehörde so gesehen.

Wäre es nicht klüger, wenn Greenpeace in Tschechien den Widerstand gegen Temelin unterstützte und nicht in Österreich?

Mayer: Es gibt eine Greenpeace-Gruppe in Prag, die gegen Temelin arbeitet. Die Betreibergesellschaft von Temelin hat sie wegen Rufschädigung verklagt, sodass ihre Existenz mittlerweile gefährdet ist. Wir arbeiten auch mit mehreren tschechischen Organisationen zusammen, der Widerstand ist also breit und international.

Greenpeace hat eine Aktion für Bürgermeister gestartet, die sich verpflichten, keinen Atomstrom abzunehmen. Diese Kampagne wandte sich nur an österreichische und bayerische Bürgermeister. Warum nicht auch an tschechische?

Mayer: Weil dieser Strom fast ausschließlich für den westeuropäischen Markt gedacht ist. Temelin wird für den Export gebaut. Es gibt in Tschechien schon jetzt eine Stromüberkapazität, und diese wird durch Temelin nur noch erhöht. Der Strom wird größtenteils nach Deutschland geliefert und von dort nach Österreich.