Identitätssuche im Pop

Rückzug in die Neue Heimat

Früher war sie eine Wohnungsbaugesellschaft, heute ist sie wieder ein Ort der Identität. Über die Neue Heimat im Pop.

Wer kennt sie nicht, all diese euphorischen Firmennamen, mit denen der DGB, die Arbeiterwohlfahrt oder sonstige staatstragende Institutionen, die sich der Kleineleutepflege verschrieben haben, ihre Baugenossenschaften schön nannten: Freie Scholle, Neuland, Neue Heimat usf? Leider ist es nicht wenigen dieser Gesellschaften in den Achtzigern sehr schlecht ergangen, sie gerieten in wirtschaftliche Not, wurden hin und her verkauft, im Fall der Baugesellschaft Neue Heimat war die Geschichte ihres Niederganges sogar von großem öffentlichen Interesse. Doch war der Bankrott nicht abwendbar.

Der Name Neue Heimat hat sich in mein Gedächtnis ebenso eingeprägt wie AEG, und zwar bereits zu einer Zeit, als ich mir unter Management und Konkursen nun wirklich gar nichts vorstellen konnte.

In Berlin ist das Problem zurzeit ein ähnliches, auch hier belasten die großen öffentlichen Wohnungsbaugesellschaften inzwischen die Gemüter. Über die Sanierung der einstigen DDR-Plattenbauten und das zugehörige verdeckte Geldgeschiebe stolperten der CDU-Fraktionsvorsitzende Klaus Landowsky und letztlich auch der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen, und den damaligen und heutigen Bausenator, den Sozialdemokraten Peter Strieder, drückt eine andere Großwohnanlage, die sogenannte Wasserstadt Spandau.

All die Verluste, die dabei entstanden sind, müssen die Berlinerinnen und Berliner nun via Sofortverzehrsteuer und Einbußen bei den Dienstleistungen der öffentlichen Hand bezahlen.

Es sind also, so meint man, die Zeiten der Neuen Heimat und all ihrer Schwestern und Brüder endgültig vorbei. Wo man hinsieht, werden Wohnungsbaugesellschaften privatisiert, werden Miet- in Eigentumswohnungen umgewandelt, und das Sozialprogramm, das viele dieser Bauprojekte einst begleitete, ist ganz eingestellt oder köchelt auf kleiner Flamme.

Und mit ihnen sind die Zeiten vorbei, in denen gigantische Großwohnanlagen noch als Fortschritt verkauft werden konnten, in dem Beton und Stahl noch etwas galt, Deutschland wieder wer werden musste und es als schön galt, exakt das Gleiche zu besitzen wie die Nachbarin.

Diese Zeiten sind also endlich dahin, dachte man glücklich, und sieht nun verwirrt eine Fernsehwerbung, die alle Anstrengungen unternimmt, um elegant zu wirken. Darin fährt die auf biedere Weise schöne Alexandra Kamp mit wehenden Locken in einem schnellen Auto und fragt: Warum sind Männer nicht wie Stahl? Stahl, so denkt man, das ist doch das Gerüst hinterm Beton, das ist die tonnenschwere Lokomotive und das mit der Dampframme in den Boden gehauene Rohr, das ist die Dicke Berta, das ist kalt. Warum also ausgerechnet Stahl?

Weil Krieg ist, und ausgerechnet die panzerplattenverarbeitende Industrie den Zeitpunkt für ihre Imagepflege nutzen will? Doch nicht nur die Schwerindustrie begibt sich zurück in eine altbackene Bildsprache, die mit den Luxusversprechen der Vergangenheit arbeitet.

Gleichfalls ist es die Plattenindustrie, die schon seit Jahren mit perfekt ausgeleuchteten kessen Kerlen und schick über ein Sofa hingetöteten Damenkörpern wirbt, und so von Lounges und von Lounging zu reden meint.Selbst das fieseste Hinterland-Label wartet inzwischen mit einer Lounge-CD oder einem Elektro-Sampler auf, und verkauft dergleichen an Teenies, denen auch durch den Euro ihr Pleitedasein nicht bewusst werden kann.

Heraus kommt dabei - zunächst ganz unabhängig von einer Musik, die sich gleichfalls in der Vergangenheit bedient und inzwischen auch oft kaum mehr weiß, als den langweiligen Jazz-Standards von dunnemals ein paar motivierende Beats beizugeben -, heraus kommt also bei einer solchen visuellen Feier des Alten das Alte. Welches natürlich als das Moderne gerechtfertigt wird, nicht umsonst werden gerade die ödesten aller öden Platten grundsätzlich unter Space-Jazz subsummiert.

Feiert man aber die Ästhetik des Alten, so sind auch dessen Werte nicht weit, und flugs wird wieder ganz genau in Männer- und Frauenrolle geschieden, wird - in der elektronischen, sich auf Sampling-Technik stützenden Musik, das muss man sich mal vorstellen - das Authentische gepriesen und allerorten Spirit, wenn nicht gar eine ganze Religion entdeckt. Alles nur, damit man die alten Pantoffeln noch mal als neue verkaufen kann, wohlgemerkt.

Wenn sich aber mit Vati und Mami versöhnt wird, steht auch das Vaterland nicht ferne und will angenommen sein. So verwundert es dann nicht wirklich, wenn gerade jetzt die Worte Berlin und Neue Heimat Pate stehen für zwei Compilations mit Musik, die in Deutschland produziert worden ist.

Da wäre zum einen die demnächst erscheinende Doppel-CD »Neue Heimat«, auf der man Stücke und vor allem Hits von Mathias Schaffhäuser, New Sonic, Jeans Team, 2Raumwohnung, Kissogram und anderen findet. Alles in allem ganz gute Elektro-Tracks, die hier allerdings etwas unmotiviert versammelt sind.

Zum anderen ist da die obskure Compilation namens »Berlin Lounge«, die zwar weniger auf Hits setzt, dafür jedoch kaum Berliner Künstler (Künstlerinnen sowieso kaum) versammelt: Hacienda, Marshmellows, Losoul, Isolée, Megashira, Shantel, A Forest Mighty Black, Terry Lee Brown Jr oder Fauna Flash, allesamt Leute, denen Frankfurt/Main oder München näher sind als Berlin. Auch haben ihre Stücke für sich genommen keinen Bezug zu Berlin, finden sich z.T. auf anderen Platten und sind gute, durchschnittliche Lounge-Ware, Musik für nebenbei, am besten in einer Bar abzuspielen. Oder, meinethalben, an der Hausbar.

Zwei Compilations sind das also, die zunächst einmal nichts weiter tun wollen, als einige Musikstücke irgendwie miteinander zu verkuppeln und natürlich das Zeug ordentlich zu verkaufen. Um aber die Produzenten und die Stücke zu bündeln, hat man sich auf die Worte »Berlin« respektive »Heimat« geeinigt, obschon es inhaltlich dafür keinen Anlass gibt. Beide Platten können nicht belegen, dass sie für einen speziellen Sound aus Deutschland oder aus Berlin stehen.

Selbst die Cover sind relativ austauschbar. Der Berlin-Sampler zeigt einen am Computer vereinfachten Berlin-Überblick mit Fernsehturm (könnte auch Frankfurt oder Mailand sein), die Heimat-Compilation zeigt zwei »entfremdete« Menschen mit sehr großen Kopfhörern in einem ICE. Die Frau schaut den Mann an, der nicht zurückschaut, ganz offensichtlich imponiert ihr die Art, in welcher er seinen Kopfhörer festhält. Die Stücke der Berlin-Compilation ließen sich ohne weiteres auch für jede x-beliebige Loungemusik-Feinfühlplatte verwenden, und die auf »Neue Heimat« versammelten Hits verdanken ihren Erfolg nicht ihrer deutschen Produktion, sondern nicht selten, wie im Falle Schaffhäusers, einer ausländischen Ausbeutungsvorlage, hier »Hey little Girl« von Icehouse.

Dass also beide Platten nichts Besonderes sind, ist nicht erwähnenswert, dass sie glauben, sich einen Mehrwert dank der Berlin- bzw. Deutschlandverknüpfung abholen zu können, ist hingegen schon interessant.

Sie stehen hier stellvertretend für eine Vielzahl von CDs mit Künstlerinnen und Künstlern aus Deutschland, für die allein ihre deutsche Abstammung zum Marketingargument taugt. Doch mehr noch: Die Existenz dieser belanglosen, nurmehr »deutschen« Compilations zeigt vor allem, dass solche Marketingstrategien ganz offensichtlich Erfolg versprechen, die Verkaufsränge dieser Tonträger bei Amazon scheinen dem Recht zu geben.

Deutsches den Deutschen. Stahl ist Stahl. Die Neue Heimat bleibt ganz offensichtlich die alte.

V.A. - Neue Heimat: Electronic Music Made In Germany (Ministry of Sound/Universal)
V.A. - Berlin Lounge (Wagram/PP Sales)