Bildet Banden!

Silvio Berlusconis rechte Regierung zeigt, dass Max Horkheimers Racket-Theorie noch immer aktuell ist.

Als vor etwa zehn Jahren, am 17. Februar 1992, ein Funktionär der Sozialistischen Partei bei der Annahme von Schmiergeldern vor einem Mailänder Altenheim festgenommen wurde, konnte niemand ahnen, wohin die Ereignisse führen würden. Bekanntlich leitete diese Episode den politischen Aufstieg der Richter und Staatsanwälte ein. Mit ihrer Kampagne der »sauberen Hände« trugen sie dazu bei, das in der Nachkriegszeit entstandene, antifaschistisch ausgelegte Parteiensystem der italienischen Republik zu demontieren. Es ist ein Treppenwitz der Geschichte, dass am Ende dieser Dekonstruktion nun Vertreter einer faschistischen Nachfolgepartei im Kabinett eines unter Korruptionsverdacht stehenden Ministerpräsidenten sitzen, gegen den in Spanien ermittelt und in Italien prozessiert wird.

Die jüngsten Aktionen dieser Mitte-Rechts-Koalition verstärkten den latenten Argwohn linker und liberaler Kreise in Europa, die in Italien die Demokratie in Gefahr sehen. Zuerst kam die Demission des Silvio Berlusconi nicht genehmen Außenministers Renato Ruggiero, dann machten die Eingriffe des Justizministers Roberto Castelli in ein laufendes Verfahren Schlagzeilen.

Castelli wollte ursprünglich den beisitzenden Richter im laufenden Mailänder Verfahren versetzen; in dem Prozess geht es um Schmiergeldzahlungen von Berlusconis Firmengruppe beim Verkauf des staatlichen Lebensmittelkonzerns SME. Diese Maßnahme stieß auf den lautstarken Widerstand der Richter und ihrer obersten Repräsentanten. Der Generalstaatsanwalt von Mailand, Gerardo D'Ambrosio, wähnte sich bereits »in der Nacht der Demokratie«. Der Konflikt ließ eine Diskussion um die Reform der von der Verfassung garantierten Unabhängigkeit der Justiz offen ausbrechen.

Die »liberale Revolution« des blauen Ritters Berlusconi sah bisher unter anderem eine restriktive Regelung der Einwanderung, die Beschränkung des Kündigungsschutzes sowie eine die Reichen begünstigende Steuer- und Rentenreform vor. Darüber hinaus brüskierte Berlusconi die Gewerkschaften durch die einseitige Aufkündigung der »konzertierten Aktion«. Doch dass die Regierung nun auch noch die Autonomie der Justiz bedroht, rief sogar die bislang praktisch nicht existierende parlamentarische Opposition auf den Plan.

Sie ließ sich allerdings, schenkt man der liberalen Tageszeitung Repubblica Glauben, sogleich mit den Regierenden auf einen Deal ein. Sie wollte demnach eine von der Koalition geplante Verfassungsänderung akzeptieren, mit der rückwirkend die Strafverfolgung von Parlamentariern aufgehoben werden sollte; ein Vorhaben, das offensichtlich vor allem Berlusconi und dessen ebenfalls angeklagtem PR-Manager Cesare Previti diente. Im Gegenzug verlangte die Opposition den Kopf des umstrittenen Justizministers, den sie durch einen für sie annehmbaren Politiker ersetzen möchte. Damit wäre auch der Olivenbaum in eine künftige Justizreform eingebunden.

Die bei einem Abendessen besprochene geheime Abmachung zur wechselseitigen Machterhaltung, die durch eine Indiskretion an Repubblica gelangte, scheint zwar vorerst suspendiert; Berlusconi selbst sprach von einem Akt der »Desinformation«. Doch wer solche Szenen für möglich hält, die atmosphärisch an Verhandlungen unter Mafia-Familien erinnern, bei denen, beinahe hemdsärmelig, Machtansprüche geltend gemacht und Einflusssphären neu aufgeteilt werden, wird Dario Fos jüngsten Behauptungen nicht folgen.

Der Schriftsteller erklärte auf einem Forum des Collège International de Philosophie am 12. Januar in Paris, dass sich in Italien ein neuer Faschismus etabliere. Unter dem Titel »Der aufhaltsame Fall der Demokratie« belegte er seine These insbesondere mit der gewiss ungeschliffenen »Sprache und Ausdrucksweise« der amtierenden Clique, die ihm »Angst« einflöße. Zudem habe die italienische Linke denjenigen, die noch Widerstand leisten, etwa den Friedensdemonstranten, den Rücken gekehrt.

Eine originelle Interpretation der Erkenntnis, dass der Faschismus als Strafe für nicht geführte Kämpfe kommt, zugleich aber eine Verfehlung des Themas. Wer den Vorsitzenden der Linksdemokraten vorwirft, dass sie lieber die abmarschbereiten Truppenkontingente in Taranto besuchen, als an den zur selben Zeit in Rom stattfindenden Antikriegsdemonstrationen teilzunehmen, hat vergessen, dass sich die ehemalige Mitte-Links-Regierung am Krieg gegen Jugoslawien beteiligte.

Und dass die Linksdemokraten auch an den Aktionen gegen den G 8-Gipfel in Genua, bei den Streiks der Metallarbeiter oder den Protesten gegen die Bildungsreform nicht oder nur unter großen Vorbehalten teilgenommen haben, heißt ja nicht, dass solche Kämpfe nicht stattfänden.

Es liegt tatsächlich mehr an der durch die Medien geformten öffentlichen Wahrnehmung, dass etwa der Widerstand der Richter einprägsamer scheint als Aktionen, die die Rechte von Immigranten unterstützen. Und daran ist Berlusconis übermäßig großer Besitz an Informationsmitteln, auf den alle Verteidiger der Demokratie unermüdlich verweisen, garantiert nicht schuld.

Auf seine Weise ist Dario Fo durchaus selbst ein Teil des Spektakels. Er hält es für eine unwahrscheinliche Farce, dass in einem paradoxen Land wie Italien, das »eines König Ubu würdig« sei, »die Gesetze eigens für den König gemacht, die Minister aus dessen Hofstaat gewählt werden und diese ausschließlich die Interessen des Königs verteidigen«. Warum spricht er dann von Faschismus und nicht von Monarchie? Doch so sind die Gaukler, sie sprechen durch die Blume.

Tatsächlich geht es Berlusconi bei allen Operationen in seiner politischen Laufbahn um die pure Selbsterhaltung. Nach Max Horkheimer organisiert sich Herrschaft in spätbürgerlichen Gesellschaften im Racket, einer Art krimineller Selbsthilfegruppe. Geradezu idealtypisch werden alle gesellschaftlichen Beziehungen innerhalb Berlusconis eigener Partei, seinen Unternehmen oder im Kabinett geregelt, indem Gefolgschaft gegen Schutz und Privilegien getauscht wird.

Den um die Macht rivalisierenden Gruppen, in diesem Fall der Mitte-Links-Opposition, begegnet man so: »In der einen Hand den Olivenzweig, in der anderen die Pistole.« Dario Fo behauptete in seinem Pariser Beitrag zumindest, dies von einem Regierungsmitglied gehört zu haben.

Für die Racket-These spricht ebenfalls, dass Berlusconi als großer Kommunikator danach strebt, die Vermittlungsmethoden der formalen Demokratie zu umgehen. Nur hier wirkt seine Medienmacht, mit der er die als »Bürger« Vereinzelten, den Mob, unmittelbar mobilisieren will, über das gewöhnliche Maß der Desinformation hinaus.

Freilich verfängt dieser plebiszitäre Rekurs auf die »Straße« nicht immer. Das beweist der gigantische Flop des vom Berater Berlusconis, Giuliano Ferrara, ausgerufenen USA-Day und im Grunde jeder Tag, an dem irgendwo in Italien gegen die neoliberalen Regierungsdekrete demonstriert wird. Offenbar fehlt es zu vielen Italienern doch am rechten Bürgersinn. Die soziale Desintegration, an der das so genannte Haus der Freiheiten kontinuierlich arbeitet, ist dafür noch nicht fortgeschritten genug.

Es gibt genug Anlass, die Entwicklungen in Italien mit Sorge zu betrachten. Die wachsende Reputation etwa, die einem Gianfranco Fini zuteil wird. Der Führer der Alleanza nazionale wird immer ein Erbe des »übelsten Faschismus« (Giorgio Bocca) bleiben, »der bis zuletzt mit dem Nationalsozialismus verbündet war«.

Dass die Faschisten und die Mafia, die in der italienischen Geschichte nie miteinander verbündet waren, nun unter dem Regime Berlusconis zusammengefunden haben, ist ein weiterer Grund zur Besorgnis. Gewalt, Desinformation und nicht zuletzt eine Art präventiver Bürgerkrieg, dessen bislang mächtigste Inszenierung in Genua erlebt werden konnte, sind die Zeichen dieser Zeit. Und die Bildung neuer »Bande der Abhängigkeit und Protektion« (Guy Debord) ist Programm.

Aber keiner braucht deshalb, wie Dario Fo, in »dumpfe Melancholie« zu verfallen oder gemeinsam mit Juristen zu protestieren. Noch ist niemand endgültig besiegt, und im Kalender der Bewegungen sind noch etliche Termine frei. So demonstrierten am vergangenen Wochenende in Rom mehr als 100 000 Menschen erneut gegen den Gesetzesentwurf der Lega Nord und der Alleanza nazionale zur Einwanderung. Und für den 2. Februar ruft die Antikriegsbewegung zu einer Demonstration in Livorno auf.