Aaron Rhodes von der Helsinki-Föderation über Krieg und Terror

»Grosny ist ein Paradies für Terror«

Anfang Januar sind die ersten mutmaßlichen Kämpfer der al-Qaida aus Afghanistan auf dem US-Militärstützpunkt im kubanischen Guantanamo inhaftiert worden. Was sie erwarten könnte, sind Militärtribunale, die für die Gefangenen vor allem einen Nachteil haben: harte Strafen wegen mangelnder Transparenz der Prozesse. Aaron Rhodes, der Direktor der Internationalen Helsinki-Föderation für Menschenrechte, kritisiert das Vorgehen der USA und warnt vor einer Schwächung des so genannten Kampfes gegen den Terror durch die Einrichtung solcher Tribunale. Außerdem verlangt er ein Ende der westlichen Hilfe für die postsowjetischen Regime Zentralasiens.

Die ersten mutmaßlichen Angehörigen von Ussama bin Ladens al-Qaida befinden sich nun auf dem US-Stützpunkt Guantanamo auf Kuba. Sie werden wohl vor Militärtribunale gestellt. Was halten Sie von der Idee George W. Bushs, diese Kämpfer nicht vor gewöhnlichen Bundesgerichten abzuurteilen?

Ich frage mich, ob das der richtige Weg ist. Es gibt die menschenrechtliche Komponente, aber daneben gibt es auch noch politische Fragwürdigkeiten. Natürlich ist unsere Organisation dafür, diese Prozesse vor gewöhnlichen Gerichten abzuhalten, aber politisch wichtiger ist, dass wir der Meinung sind, der Kampf gegen den Terror werde durch diese Tribunale massiv geschwächt. Schon jetzt weigern sich einige europäische und asiatische Staaten, mutmaßliche al-Qaida-Kämpfer an die USA auszuliefern, weil die Prozesse vor Militärtribunalen gegen einige Menschenrechtskonventionen verstoßen, die diese Staaten unterschrieben haben. Das heißt, man wird nicht in der Lage sein, das Netzwerk bin Ladens lahm zu legen, weil wichtige Angehörige fehlen.

Können Sie Beispiele nennen?

Vor einigen Wochen hatten wir etwa den Fall, dass ein in Norwegen lebender Usbeke aufgrund eines usbekischen Haftbefehls in Prag festgenommen wurde. In Usbekistan wird er als Oppositioneller verfolgt, und die tschechischen Behörden haben richtig entschieden, als sie dem usbekischen Auslieferungsbegehren nicht stattgaben und der Mann wieder nach Norwegen zurückkehren konnte. Es handelte sich dabei nicht um einen al-Qaida-Kämpfer, aber so etwas kann auch passieren. Das bedeutet, dass diese Militärtribunale eine Schwächung für die Anti-Terror-Aktionen der USA sind. Es wäre praktischer, diese Fälle normalen Gerichten zu übergeben.

Warum hält dann die Bush-Administration die Militärtribunale für sinnvoll?

Da gibt es mehrere Gründe. Vor allem geht es wohl um die Psychologie. Das amerikanische Prozesswesen wurde durch Prozesse wie den gegen O.J. Simpson nachhaltig diskreditiert. Man will in diesem Fall vermeiden, dass mutmaßliche Terroristen freikommen, weil publicitysüchtige Anwälte eine Show wollen. Schließlich handelt es sich hier um Verbrechen an der Menschheit, da will man sich keine Pannen leisten.

Erwarten Sie die Verhängung der Todesstrafe?

Natürlich. Es würde mich sehr wundern, wenn es nicht so wäre. In den USA gibt es ja auch das Problem, dass man mit Militärtribunalen eigentlich keine Erfahrung hat. Die wurden meines Wissens nur zweimal eingerichtet: im amerikanischen Bürgerkrieg und im Fall von einigen deutschen Nazi-Spionen, die man in den USA im Zweiten Weltkrieg festnehmen konnte.

Sie haben in einem ihrer neuesten Berichte die Menschenrechtssituation in den ehemaligen Sowjetrepubliken Zentralasiens scharf kritisiert und festgestellt, dass die Despoten in Usbekistan, Tadschikistan oder Turkmenistan durch die »Allianz gegen den Terror« einen Freibrief für die Verfolgung gewöhnlicher Oppositioneller erhalten hätten. Stört es Sie eigentlich nicht, dass Sie dort auch mit Organisationen zusammenarbeiten, die zwar offiziell für Menschenrechte eintreten, tatsächlich aber Camouflage-Organisationen bin Ladens sind?

Ist das so? Das wüsste ich nicht. Aber selbst wenn es so ist, so stehen wir auf dem Standpunkt, dass es zwischen dem Schutz der Menschenrechte und dem Kampf gegen den Terror keinen Unterschied geben kann. Der wirkliche Terrorismus dort ist jener des Staates gegen seine Bürger. Die Diktatoren dort verbergen sich hinter dem Schlagwort »Sicherheit« und betreiben nur Staatsterrorismus. Und dieser Staatsterrorismus ist der alleinige Grund für den aufkeimenden Fundamentalismus islamistischer Kreise.

Wenn der Westen diese Regime so unterstützt, wie er es jetzt tut, ist das kurzsichtig. Irgendwann wird dann das System kippen. Schon jetzt ist die Situation dort schlimmer als je zuvor, und wenn sich die Bürger nicht mehr vom Staat beschützt fühlen, werden sie sich irgendwann unter den Schutz der islamischen Fundamentalisten in diesen Republiken stellen. Ich meine, man muss sich mehr um die Menschenrechte sorgen als um den Terrorismus.

Wie stark unterstützt der Westen die Autokraten in diesen Ländern?

Seit dem 11. September ist die Unterstützung sehr massiv. Jeglicher Nachdruck, gewisse menschenrechtliche Standards zu beachten, ist vollkommen verschwunden. Der Westen hat schreckliche Angst vor einer Destabilisierung dieser Staaten, aber die Unterstützung der Diktatoren führt erst zu dieser Destabilisierung.

Immer mehr gewöhnliche Bürger wenden sich fundamentalistischen Organisationen zu, die ihnen alles Mögliche versprechen, und die Behörden antworten mit Repression. Noch dazu hat der Westen in den letzten Monaten beträchtliche Hilfsgelder in diese Länder und besonders nach Usbekistan transferiert, aber bei der Bevölkerung sind diese Hilfsgelder niemals angekommen. Deshalb treten wir dafür ein, die Finanzhilfen für die Region vollständig einzustellen.

Vielleicht hat der Westen aber dafür Verständnis, dass zehn Jahre nach dem Ende der Sowjetunion keine Bilderbuchdemokratien entstehen können.

So ein Unsinn. Zehn Jahre sind eine lange Zeit. Was der Westen hier betreibt, ist purer Rassismus. Handelte es sich um europäische Staaten, hätte man kein Verständnis. Aber weil es asiatische Staaten sind, lehnt man sich beruhigt zurück. Und außerdem ist die Situation der Menschenrechte jetzt schlimmer als zu Zeiten der UdSSR.

Auch in Tschetschenien sind die Kämpfe zwischen Rebellen und der russischen Armee wieder aufgeflammt, und auch dort kann Wladimir Putin seine Militäraktionen mit der Begründung durchführen lassen, das Land sei auch eine Basis für den fundamentalistischen Terror.

Das ist absolut vergleichbar mit der Situation in Zentralasien. Vor kurzem hat Bundeskanzler Gerhard Schröder gemeint, man müsse die russischen Militäraktionen in Tschetschenien »jetzt differenzierter betrachten«. Was soll denn das nun wieder heißen? Tatsächlich ist Tschetschenien ein Paradies für Terroristen, aber der Grund für den Terror ist die russische Streitmacht. Vor allem wird sich Putin einmal darüber klar werden müssen, dass dieser Feldzug seinem Land rein gar nichts nützt.

Der Bericht der Helsinki-Föderation über die Menschenrechte in Zentralasien nach dem 11. September kann unter www.ihf-hr.org nachgelesen werden.