Reaktionen auf das Volksbegehren in Österreich

Ja zum Leben, ja zu Temelin

Dank der Unterstützung der EU wird Tschechien aus dem Streit um das AKW Temelin wohl als Sieger hervorgehen.

Die Auseinandersetzungen zwischen Wien und Prag werden immer häufiger, und ihr Stil verschlechtert sich. Seit einigen Tagen beflegeln sich der tschechische Premierminister Milos Zeman und der Kärntner Landeshauptmann und ehemalige FPÖ-Vorsitzende Jörg Haider recht originell. »Herr Haider ist Experte für gar nichts - außer für Populismus«, eröffnete Zeman den verbalen In-Fight, und der Populismusexperte Haider konterte mit der Beschreibung Zemans als »Kommunisten und Wendehals«. Natürlich konnte Zeman das nicht auf sich sitzen lassen und bezeichnete Jörg Haider als »Postfaschisten« und »politisches Tschernobyl«.

Es geht beim Schlagabtausch der beiden Politiker um das tschechische Atomkraftwerk Temelin und das von der FPÖ initiierte Volksbegehren mit dem Slogan: »Ja zum Leben, Nein zu Temelin«. Die tschechische Regierung fühlt sich von Haiders Drohung, der Betrieb des AKW Temelin werde den Beitritt Tschechiens zur EU verhindern, in die Enge getrieben.

Doch realpolitische Konsequenzen dürfte die von der FPÖ begonnene Schlammschlacht kaum haben. Der Beitritt zur EU kann von Jörg Haider nicht verhindert werden, weil Wolfgang Schüssels konservative Volkspartei (ÖVP) bei einem Veto gegen den tschechischen Beitritt nicht mitmachen würde.

Vielmehr handelt es sich bei dem tschechisch-österreichischen Streit um den Schaukampf zweier Politiker, die den Höhepunkt ihrer politischen Karriere überschritten haben. Jörg Haider ist in Österreich isoliert wie nie, und Milos Zeman hat das Ende seiner politischen Karriere bereits vor Augen. »Die Äußerungen Zemans spielen keine Rolle, weil er nach den nächsten Wahlen in Tschechien Ex-Politiker sein wird«, befand Österreichs Bundeskanzler Wolfgang Schüssel ganz richtig, denn schon vor einem Jahr hatte der Sozialdemokrat angekündigt, nach den tschechischen Parlamentswahlen im Juni nicht mehr für den Posten des Premiers kandidieren zu wollen.

Anders wären die Äußerungen Zemans auch nicht zu erklären, die offenbar viele anfangs skeptische Österreicher bewogen haben, das populistische Volksbegehren der Freiheitlichen doch noch zu unterschreiben. Werner Beutelmayer, der Chef des österreichischen Meinungsforschungsinstituts Market glaubt gar, dass Zemans Angriffe dem Volksbegehren 100 000 Stimmen mehr gebracht haben könnten.

In Österreich nennt man so etwas den Waldheim-Effekt. Als der österreichische Präsidentschaftskandidat Kurt Waldheim aus dem Ausland wegen dessen Nazi-Vergangenheit angegriffen wurde, setzte sein Team auf den Slogan »Jetzt erst recht«. Waldheim gewann die Wahl.

Milos Zeman hat sich so unfreiwillig zum Helfer der Freiheitlichen gemacht. Er selbst sieht das anders. In einem Interview mit dem österreichischen Nachrichtenmagazin profil erklärte er: »Die Opposition hat mir sogar vorgeworfen, zu weich zu Wien zu sein.« Das gilt sicher nicht für alle: »Ich verstehe, dass der Herr Premier die Nerven verliert, wenn er sieht, was in Österreich geschieht«, sagte etwa der Abgeordnete der oppositionellen Bürgerpartei (ODS), Jaroslav Zverina.

Diese Differenzen können Zeman recht egal sein, da der überwiegende Teil der tschechischen Bevölkerung seine Forderungen und politischen Konzepte zu Temelin unterstützt. Und in der Sache, auch das weiß Zeman, sind sich alle tschechischen Parteien einig: Temelin wird nicht abgeschaltet. Das Atomkraftwerk, für das sich heute die Sozialdemokraten einsetzen, ist ein Projekt, das der ehemalige Premierminister und heutige Oppositionsführer Vaclav Klaus schon 1995 hat-te realisieren wollen. Dass es immer noch Ärger um Temelin gibt, wird langsam zur nationalen Schmach.

Dabei finden die Tschechen im übrigen Europa Unterstützung. Die EU hat Temelin schon vor Monaten als »sicher« klassifiziert und Erweiterungskommissar Günter Verheugen unterstützt indirekt die tschechische Politik.

Diese Hilfe hat sich das Land auch redlich verdient. Als einziger Beitrittsbewerber unterstützte es im Jahr 2000 die so genannten EU-Sanktionen gegen die österreichische Bundesregierung und den Protest gegen die Regierungsbeteiligung der Freiheitlichen.

In Prag weiß man also, dass Österreich in der Union abermals enorm isoliert würde, wenn es - gegen alle Mehrheitsverhältnisse im Wiener Parlament - zu einem Veto gegen den EU-Beitritt käme. »Ihr werdet abermals eine Isolation erleben, weil Ihr gegen die Erweiterung auftretet«, so Zeman.

Es ist nicht ganz unwahrscheinlich, dass Tschechien auch wegen seiner Zustimmung zu den Sanktionen der EU zum Hauptfeind Jörg Haiders wurde.

Doch kann sich Jörg Haider gebärden und so viele Unterschriften sammeln, wie er will, für Prag ist die AKW-Akte geschlossen. »Ich verhandle gerne über offene Fragen. Aber Temelin ist keine offene Frage«, meint etwa der Vorsitzende der tschechischen Sozialdemokraten und Spitzenkandidat für die nächsten Wahlen, Vladimir Spidla.

Offen ist diese Frage auch nicht für die Europäische Union, sodass der einzige, der noch einen Fuß in die Tür kriegen will, Haider bleibt. Dass der Schlagabtausch der letzten Tage ohnehin nichts als ein Schaukampf ohne Konsequenzen ist, zeigt übrigens auch die Sicherheitsfrage: Tschechien hat erst zum Ende des vergangenen Jahres eine Vereinbarung mit Österreich über Sicherheitsgarantien in Temelin abgeschlossen. Das Abkommen tritt aber erst nach dem Beitritt des Landes zur EU in Kraft; deshalb scheint es den Slogan zu bestätigen: »Ja zum Leben, ja zu Temelin!«

Dass Tschechien gerade in der Woche des Volksbegehrens zum wiederholten Male versucht hat, Temelin hochzufahren und diesmal sogar erfolgreich war - bisher waren immer technische Pannen aufgetreten -, hat aber auch mit Prager Budgetnöten zu tun. Seit einem Jahr schon versucht die Regierung, den Staatsanteil an der tschechischen Energiegesellschaft CEZ zu verkaufen. Ein Käufer aber fand sich bisher nicht.