Neuer Moderator bei »Aktenzeichen XY«

Leichenteile? Schaun wir mal!

Der ehemalige Eiskunstläufer und bekennende Spaßvogel Rudi Cerne moderiert unsere Lieblingsdenunzianten-Show »Aktenzeichen XY«.

Wann immer über Eduard Zimmermann berichtet wurde, fiel die Bemerkung, dass »die Ganovenwelt vor ihm zittert«. Viel mehr jedoch, so ist zu vermuten, zitterten die Zuschauer, zumal die noch minderjährigen, für die »Aktenzeichen XY«-Anschauen so etwas wie eine Mutprobe darstellte.

Dabei war das, was man zu sehen bekam, gemessen an der Detailfülle normaler Horrorfilme relativ dürftig. Nach einer epischen Beschreibung des Lebens des durchschnittlichen Mordopfers wurde die Begegnung mit dem Täter meist nur kurz angedeutet, die gory Einzelheiten wurden dem Zuschauer meistens erspart. Gegruselt hat man sich trotzdem.

Eduard Zimmermann konnte jedoch auch anders. In mindestens einem Fall, der sich ungefähr zu Beginn der Siebziger ereignet haben dürfte, griff er zu ungewohnt drastischen Mitteln. Der Tatort war ein Einfamilienhaus, in dessen Garten die Tochter mit einigen Freunden nachts eine ausgelassene Party gefeiert hatte. Zwischendurch war zwar ein seltsamer junger Mann dort aufgetaucht, der die Versammelten drohend und völlig wortlos angestarrt hatte, aber diesem Zwischenfall hatte die lustige Runde keine weitere Bedeutung beigemessen.

Mitten in der Nacht muss der Mann jedoch wiedergekommen sein, er verfolgte die Tochter einmal rund um den Block, wobei natürlich keiner der Nachbarn etwas bemerkte, und als das Mädchen endlich das rettende Haus erreichte, muss sie wohl in eine sorgfältig gestellte Falle gelaufen sein. Der Täter, der irgendwo unterwegs eine Abkürzung genommen haben muss, wartete bereits irgendwo drinnen auf sie und ermordete das Mädchen und deren Mutter. Der Sohn fand am nächsten Morgen die Leichen, deren Zustand Eduard Zimmermann sehr aufgeregt haben muss, denn er präsentierte den Zuschauern entgegen allen »XY«-Gepflogenheiten einen Kasten. »Dieses Sortiment verbogener Messer und Gabeln spricht für sich«, erklärte er. Das führte dazu, dass man das häusliche Besteck mit anderen Augen betrachtete, und beschloss, nie im Leben eine Gartenparty zu veranstalten, und sich trotzdem ziemlich sicher fühlte, denn Eduard Zimmermann, so viel war klar, würde nicht ruhen, bis der Täter dingfest gemacht werden konnte.

So ging das Leben jahrzehntelang gleichermaßen geruhsam wie entschlossen seinen Gang in »XY«-Land, die Verbrecher begingen ihre Taten, Eduard Zimmermann schnappte sie anschließend und die Zuschauer gruselten sich, bis dann plötzlich alles anders wurde. Sabine Zimmermann wurde eingestellt, deren einzige Qualifikation, so ist zu vermuten, darin bestand, »Tochter« zu sein, denn streng genommen hatte die hölzerne Blondine im Fernsehen nichts zu suchen. Ihr Job war es, aktuelle Fahndungsblätter zu verlesen, was einen herben Rückschlag für die Verbrechensbekämpfung bedeutet haben muss, denn es gibt zwar keine Erfolgsstatistik, aber es scheint klar, dass nie auch nur ein einziger, von Sabine beschriebener Täter gefasst werden konnte. Die Zuschauer nutzten ihren Auftritt schließlich allesamt zum Bierholen oder Stullenschmieren, sodass zahllose Kreditkartenbetrüger, Messerstecher und Heiratsschwindler bis heute ihr Unwesen treiben dürften.

Richtig schlimm ging es mit »XY« aber bergab, als Ede Zimmermann am 24. Oktober 1997 die Sendung einem gewissen Butz Peters übergab, der auf ein neues Konzept setzte: Das Verbrechen totzulangweilen. Wahrscheinlich bedeutet es für Angehörige krimineller Kreise die größte Schande, von Butzi gesucht zu werden, die Rate der Kapitalverbrechen geht in der BRD jedenfalls seit Peters kontinuierlich zurück.

Wie die Einschaltquoten von »XY«. Obwohl sich die Sendung unter Butz Peters vom Spezialmagazin für das Einfangen von Verbrechern, deren Nachnamen auf -ic enden, zur Plattform für das Aufspüren von jedem, egal welcher Nationalität, Hauptsache kriminell, gemausert hat. Trotzdem wollte das ZDF dem langweiligen Butz und der langweiligen Sabine nicht weiter tatenlos zusehen, deswegen wurde nun ein neuer Moderator gesucht.

Seriös und populär zugleich sollte er sein, womit schon mal die Hälfte der Beschäftigten des Senders ausfiel. Und irgendwie menschlich und dabei auch noch sehr bekannt. Und irgendwie auch unerschrocken: »Wir befinden uns zurzeit in einem wilden Seegang, bei dem es gilt, den Kopf über Wasser zu halten«, hatte Eduard Zimmermann kryptisch erklärt und damit die Konkurrenz, »Wer wird Millionär?«, gemeint.

Der man nun ausgerechnet mit Rudi Cerne beikommen will. »Ich dachte am Anfang, für einen Spaßvogel wie mich wäre das nichts, aber nun bin ich mit Haut und Haaren dabei«, hatte der ehemalige Eiskunstläufer noch vor der ersten Sendung erzählt. Rudi Cerne? Ein Spaßvogel? Aua. Aber wenigstens ist er unerschrocken: »Das mache ich wie beim Eislaufen, ich sehe weder nach rechts noch nach links, dann weiß ich nicht, wie stark die Konkurrenz ist und bekomme keine Angst.«

Vor allem aber sei der neue Moderator »der Mensch von nebenan«, wie Ede meint. Und das könnte das endgültige Ende von »XY« bedeuten. Seit Freitag letzter Woche wird im knallharten Verbrechensbekämpfungsformat gemenschelt, dass es der Sau graust. Angefangen bei den Filmen. Statt des bisherigen Umschnittes nach der kurzen Begegnung von Täter und Opfer auf einen Förster mit Hund oder ein pilzsammelndes Ehepaar - diese Bevölkerungsgruppen scheinen besonders gefährdet, Leichen zu entdecken - wird nun die Tat durch ein symbolisches Bild dargestellt.

Im Falle des kleinen Jungen, der an einem Dorfteich ermordet wurde, ist es ein in Zeitlupe von einem Baum fallendes Blatt, das das Ende eines Lebens zeigen soll oder die Bösartigkeit des Täters oder wie ein Blatt fällt oder was auch immer. Dieser Einfall geht vermutlich auf das Konto des Eisläufers, denn er hat den Job bei »XY«, so erklärte er bereits, hauptsächlich um der zahlreichen ermordeten Kinder willen angenommen.

Das ist eine ziemlich schmierig-populistische Entschuldigung für die Geilheit auf Fernsehpräsenz, die von Cerne jedoch mühelos übertroffen wird, wenn es darum geht, den bisher so schön sachlichen Studiogesprächen mit den ermittelnden Kriminalkommissaren einen Human Touch zu geben. Kaum hat der erste Beamte dem Publikum erklärt, nach welchen Spuren es Ausschau halten soll, bekommt Cerne auch schon Triefaugen. Wie viele Fälle mit ermordeten Kindern der Polizist denn schon habe bearbeiten müssen, fragt er, und als der wahrheitsgemäß, jedoch ohne große Gefühlsausbrüche antwortet, geht Cerne ins Detail. Wie schlimm das denn sei, vor einer Kinderleiche zu stehen, will er wissen, und ob es denn einen Unterschied mache, ob da ein Kind oder ein Erwachsener liege.

Was soll man darauf nur antworten? »Solange sie nicht stinken, ist echt alles egal«? Natürlich nicht, und weil auch Kripobeamte wenig Lust haben, sich in aller Öffentlichkeit zum herzlosen Monster zu machen, antwortet der Mann brav, es sei natürlich immer ganz besonders schlimm, wenn Kinder ..., und Rudi Cerne nickt erfreut, denn das dachte er sich schon, und dann geht es im Programm weiter. Mit einer von Einbrechern totgequälten alten Dame, die sich posthum vorhalten lassen muss, dass sie irgendwie selbst schuld ist, weil sie beim letzten Einbruch nicht die Polizei rief, und mit einem Italiener, der in Deutschland laut Cerne das ersehnte Glück nicht fand, was eine ziemlich euphemistische Umschreibung dafür ist, dass er auf einem pfälzischen Grillplatz totgeschlagen wurde.

Dann wird noch nach ein paar Jugoslawen gefahndet, und schon ist die Sendung zu Ende. Das Verbrechen, so ist zu vermuten, hat bereits nach dem ersten Filmfall umgeschaltet. Zu »Wer wird Millionär?«