Holocaust-Austellung in Berlin

Zeigen, was geblieben ist

Der nationalsozialistische Völkermord und die Motive der Erinnerung können in Berlin jetzt auch ausgestellt werden.

Erinnern kann seltsam sein. Als vor vier Jahren in den USA der Film »American History X« über einen Neonazi startete, waren die Kinos mit Hakenkreuzfahnen geflaggt - ein Kunstprojekt mit merkwürdigen Ausformungen im offenen Raum. Derzeit haben sich die Berliner ihre Straßenecken mit einem Plakat tapeziert, auf dem »Holocaust« steht. Hier geht es um eine Ausstellung. Und zwar um die größte zusammenhängende Schau über das Trauma der nicht jüdischen Deutschen. Der Eintritt ist frei. Zeitlich ist das passend; die gut besuchte Wehrmachtsausstellung ist gerade vorbei, erst schaut man bei den Tätern, dann bei den Opfern vorbei.

Die Organisatoren meinen es gut, im Ausland wird man sich wohlwollend äußern. Die Idee für das Projekt entstammt einer Diskussion zu Zeiten des 9. November 2000, als die Anständigen zu Zweihunderttausenden aufstanden, um was gegen Rassismus und Antisemitismus in Deutschland zu tun. Für den Mitveranstalter Winfrid Meyer, den Leiter der Gedenkstätte Sachsenhausen, gab es noch einen anderen Grund. Ihm hatten Neonazis 1992 die jüdischen Baracken auf dem Gelände angezündet. Hans Ottomeyer vom Deutschen Historischen Museum wollte was gegen die Rechten tun, und überhaupt unterscheidet sich sein Programm doch um einiges von dem seines Vorgängers Christoph Stölzl.

Warum gerade jetzt, wollten bei der Eröffnung viele wissen? Da kommt dann Norbert Kampe vom Haus der Wannseekonferenz ins Spiel. Es ist nämlich jetzt deren 60. Jahrestag gewesen - die Konferenz gilt als Wendepunkt des Krieges: Sie markiert die Abkehr vom unsystematischen Massenmord an den europäischen Juden und den Beginn der planmäßigen Vernichtung.

Kurator Burkhard Asmuss bündelte für die Ausstellung im Kronprinzenpalais die Aktivitäten der genannten Stätten und holte Reinhard Rürup von der Stiftung Topografie des Terrors und Peter Jahn vom Kriegsmuseum Karlshorst mit an den Tisch. Zudem bekamen sie Unterstützung vom Holocaust-Museum Washington, der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem und dem Museum Auschwitz, die ihre Aktivitäten in eigenen Segmenten der Ausstellung präsentieren.

Es werden hier zwar um die 1 200 Exponate - Ottomeyer nennt sie »Indizien« - gezeigt. Das Haus hat aber nur zwei Stockwerke, und das ist schon das Aussagekräftigste an dieser großen Ausstellung: Allzu viel haben die Nazis nicht übrig gelassen.

Der Ort, die Mitte Berlins, ist symbolträchtig, das Interesse der Deutschen an Geschichte ist geweckt; gedacht und erinnert wird viel, ein Holocaust-Museum wie in anderen Ländern gibt es in Deutschland nicht. Weil es nicht nötig ist, denn von deutschen Nazis wiederum ist genug da. In Deutschland gibt es ein dezentrales Gedenkkonzept, weil es genug Originalschauplätze der Shoah gibt. Washington kann da im Moment nicht mithalten. Eine Ausstellung hat aber nach Ottomeyer die Möglichkeit, politische Prozesse anzukurbeln.

Eigentlich stehe ja alles drin, in den Büchern »mit den 700 Seiten und 1 200 Anmerkungen«, wie er sagt. Aber Ausstellungen könnten anders in die Gegenwart hineinwirken. Und das geht und geht auch nicht.

Im Erdgeschoss beginnt der Rundgang mit deutschen Datensammeltugenden. Dort stehen Computerterminals, an denen man Fakten abfragen kann. Ohne so etwas kommt heutzutage keine Ausstellung mehr aus. Derart vorbereitet, begeht man den ersten Stock, in dem die Auswirkungen von Massenmord und Vernichtung dokumentiert sind.

Sie sind furchtbar, wenn auch hinlänglich bekannt. Die Beamten gingen nüchtern und bürokratisch vor, wenn es galt, die infernalischen Zustände in den polnischen Ghettos zu konstatieren, in einer Sprache, wie ein Polizist heutzutage einen Verkehrsunfall beschreibt. »Ummeldeformulare« dokumentieren den Weg in die Vernichtung. Fotos von Massenerschießungen und Gräbern, Schuhbergen, Goldzähnen; medizinische Untersuchungen, Geschichte des Gases, Verordnungen - Menschen in der Kollektivpsychose; vieles, was die Leiden der Opfer erhellen soll, spricht vielmehr von den Tätern.

Dann steht man vor einer Plastik, dem meterhohen Auschwitz-Modell des polnischen Gipskünstlers Mieczyslaw Stobierski. Der Anlage nach in verdächtiger Nähe zu einer durchschnittlichen Modelleisenbahn eines deutschen Kleinbürgers, erzählt es schlichtweg die Hölle. Menschenströme werden in einen Tunnel geleitet, wo sie sich ausziehen, um anschließend im Keller vergast zu werden. Ein Stockwerk darüber werden sie in die Öfen gesteckt. Obwohl es Hunderte von nur 15 Zentimeter großen Figuren sind, erkennt man jeden einzelnen Gesichtszug.

Und damit wäre man thematisch im zweiten Teil der Ausstellung, denn auf die Dokumentation des nationalsozialistischen Verbrechens folgen die »Motive seiner Erinnerung«. Wieder geht es wie im Strafprozess um »Indizien« - Objekte, die der Diskurs seit 1945 erschaffen hat. Da wird es schwer: Was erzählt der Koffer einer Emigrantenfamilie? Was ein Chanucca-Leuchter? Er ist ein Utensil jüdischen Lebens, ohne die Nazis hätte er es nicht in eine Ausstellung geschafft, das ist die schreckliche Wahrheit dieses Objekts.

Aber erinnern, das funktioniert für einen, der zu jung ist, um dabei gewesen zu sein, vor allem medial. So scheint es, dass die Wahrheit, sofern dies möglich ist, nur vermittelt erzählbar wird. Können dies Häftlingskleidung, Naziuniformen, die Thermoskanne eines Sonderkommandohäftlings? Da waren sich die Kuratoren wohl auch nicht sicher, und das erklärt auch die Entscheidung, Kunstobjekte mit in die Ausstellung hereinzunehmen. Gegenstände spielten eine Rolle in der Vergangenheit. Die Kunst muss sie in die Gegenwart übertragen.

Wenn man eine Ausstellung zu diesem Thema macht, ist es vielleicht besser, gar nichts hineinzustellen, so geschehen in den Anfängen des Jüdischen Museums Berlin.

Die Figur »Kinder«, ebenfalls von Mieczyslaw Stobierski, besteht aus zwei Plastiken, grob modellierte Menschen, die aus verbranntem Holz gemacht zu sein scheinen. Die Geschichte, die sie erzählen: Das junge Leben wird stehend in Asche verwandelt. Die Geschichte geht aber auch so: 1951 stellte sie der Künstler als Gipsfigur fertig. Anschließend wurde sie oft für Ausstellungen angefragt. So oft, dass man sich entschloss, eine Holzkopie anzufertigen. 1982 ging sie nach London und Birmingham. Zwischendurch wurde sie in einem Lagerhaus untergebracht. Nach Angaben der Polizei wurde es von Rechtsextremisten angezündet. Teile der Figur fielen den Flammen zum Opfer. Anschließend wurde sie in teilverbranntem Zustand konserviert.

Und nun steht sie in einer Ausstellung, in der es um Motive der Erinnerung an einen Massenmord mit verbrannten Leichen geht. Viele Zeitungsartikel haben sich schon damit beschäftigt, ob und wie ein Gedenken an die Shoah möglich ist - umfassendere Museumspädagogik sozusagen. Dieser hier erzählt mit Stobierskis Figur zumindest: Das ist eins, ein »Motiv des Erinnerns«. Und noch etwas: Dies ist ein Gegenstück zur Neuen Wache mit der auf Kohl-Größe aufgeblasenen Kollwitz-Pieta.

Andere Erinnerungsbelege sind das Originalmanuskript der »Todesfuge« Paul Celans, erstbetitelt mit »Todestango«. Zeitschriftenartikel zeugen davon, dass Rechtsextremismus nach 1945 keine Erfindung ostdeutscher Jugendlicher ist; Synagogen wurden nach dem Ende des Krieges weiterhin demoliert. Vom Erinnern künden auch Bücher wie dasjenige von Daniel Goldhagen; hier ist das geschmähte 700-Seiten-Buch plötzlich unverzichtbar.

Dieser Teil der Schau ist nicht recht überzeugend; es mag vieles geben, was hier fehlt, und den Ausstellungsmachern hat der Mut gefehlt, auch wunde Punkte zu berühren, zum Beispiel dass der grüne deutsche Außenminister mit den Worten »Nie wieder Auschwitz« in den Bombenkrieg zieht. So funktioniert Erinnern heute. Aber eine Sache rückt doch ins Bewusstsein: Der Deutsche neigt zum Wirrkopf. Indiz: Martin Walsers Entwurf zu seiner Paulskirchenrede. Wenn man das Gekrakel gesehen hat, weiß man, dass Leute für krude Parolen anfällig sind. Als Fußnoten dieses Büchleins dienen O-Töne von Besuchern der Wehrmachtsausstellung: »Diese Ausstellung ist eine Schande für jeden an ihr Beteiligten.«

Bestimmt, und auf die Holocaust-Ausstellung trifft das Urteil, das ein Durchschnittsbürger da fürs Besucherbuch der Wehrmachtsausstellung so unvergleichlich formulierte, in noch viel größerem Maße zu. Und zwar wortwörtlich, auch weil die meisten Geschändeten nicht mehr ihre Zustimmung zur Auslage ihres Privatbesitzes geben konnten. Walser gehört zu ihnen nicht. Ein Reisepass für eine Flucht, hier in der Vitrine liegend, wird gezeigt, weil die Flucht misslang und der Besitzer in Auschwitz starb.

Wie ist der Stand? 60 Jahre lang hat es niemand für nötig gehalten, diese Ausstellung zu präsentieren, die sich mit weit zurückliegenden Dingen, die doch immer näher zu rücken scheinen, beschäftigt. Wir haben erlebt, wie die Vergangenheit zum Erinnerungspop gerinnt, in Film, Farbe, Rockband - auch wenn sich die Gruppe Rammstein bisher nur für Leni Riefenstahl als Videomaterial interessiert und nicht für KZ-Leichen und -Offiziere. Ein anderes Beispiel ist die Initiative für das Holocaustmahnmal, die die Stadt mit Alpenbildern behängt und draufschreibt: »Den Holocaust hat es nie gegeben.«

Das alles hat viel mit der Suche nach einem deutschen Selbstverständnis zu tun, in dem die europäischen Juden eine ganz bestimmte Rolle spielen. Das ist auch dem Vorsitzenden des jüdischen Zentralrates, Paul Spiegel, aufgefallen, der kürzlich im stern Impressionen eines Treffens bei der Konrad-Adenauer-Stiftung wiedergab: »Da hat mir einer klipp und klar gesagt: 'Hören Sie auf, sich ständig einzumischen. Wenn Sie ruhiger wären, gäbe es keinen Antisemitismus!'«

Und es ist noch viel zu erwarten. Ottomeyer: »Es gab auch noch keine Ausstellung zum Ersten Weltkrieg« - stimmt - »und auch noch nicht die Adolf-Hitler-Ausstellung.« Die hat gerade noch gefehlt.

Kritiker der Ausstellung befürchten eine Historisierung der Shoah - was man ausstellt, ist aus und vorbei, man holt es hervor, um es wieder abzuheften. Die andauernde Auseinandersetzung mit der Shoah sei zu einem Bestandteil der Staatsräson des vereinten Deutschlands geworden, steht beispielsweise im Tagesspiegel.

Und diesen Staat hat man ja auch schon zur Genüge kennen gelernt, und die Shoah hatte damals etwas mit Staatsräson zu tun. Die heutige Staatsräson hat es jedenfalls tatsächlich geschafft, die Mahnung »Nie wieder Auschwitz« zum Schimpfwort zu machen. Bilder vom deutschen Einsatz in Jugoslawien 1945 hängen in der Ausstellung. Die aus dem Jahr 1999 könnten die Ausstellung ergänzen; sie fehlen und auch jeglicher Verweis darauf. Wäre dieser Verweis schon ein Fall für Schilys Sicherheitspaket gewesen? Da könnte man sich glatt Gedanken machen.

Im Kronprinzenpalais, Unter den Linden 3, Berlin. Fr. bis Di. 10-18 Uhr; Do. 10-22 Uhr