Beginn der Berlinale

Black Box Berlinale

Europas größtes Filmfest legt los und schleppt den deutschen Film hinterher.

Bärchen, brumm: Mit Dieter Kosslick hat die Berlinale ihren neuen Chef. Anders als sein Vorgänger Moritz de Hadeln, der keine Ahnung hatte, warum Mädchen angesichts Leo DiCaprios in Ohnmacht fallen, ist Kosslick witzig. Als er letzte Woche auf der Pressekonferenz zur anstehenden Filmschlacht am Potsdamer Platz die Sponsoren vorstellte, ging das so: »Jetzt ist auch die Hypovereinsbank dabei. Die Geldkarten tun es auch in Berlin. Wie immer dabei: Mercedes. Mercedes baut schöne Autos, mit denen man durch ganz Berlin fahren kann. Vielleicht wollen Sie sich auch eins kaufen. Vielleicht könnten Sie dafür bei der Hypovereinsbank einen Kredit aufnehmen.«

Die Laune ist gut an diesem Morgen. Und: Nicht die Deutschen schauen ins Ausland, sondern die Ausländer in unser schönes Land. Kosslick hat versprochen, er werde mehr für die deutsche Filmwirtschaft tun, es würden aber auch weiterhin Qualitätsfilme gezeigt. Das hört sich ja an wie eine Drohung. Alles Weitere ist nur folgerichtig. Die Zahl der deutschen Filme auf der Berlinale ist auf 61 erhöht worden - neben der Reihe »Perspektive deutsches Kino« gibt es »German Cinema«.

Das richtet sich ans Fachpublikum. Der Kritiker aus Nichtdeutschland soll sich einen Film darüber machen können, was der Deutsche gerne guckt: Neben Andres Veiels »Black Box BRD« und Sandra Nettelbecks »Mostly Martha« auch Michael Herbigs »Der Schuh des Manitou«. Zu Recht: Wenn man das macht, kann man auf einen Film, den sieben Millionen deutsche Menschen sahen, nicht verzichten. Viva Selbstbeschäftigung! »German Cinema«-Leiter Heinz Badewitz: »Das Kino wird jünger, das Publikum auch.« Aber gleich bis zur Infantilität? Immerhin zeigt der »Schuh des Manitou«, womit sich in Deutschland Kasse machen lässt - mit Schwulenwitzen.

Der deutsche Film kommt gewaltig. Und wir werden es noch in diesem Jahrhundert erleben, dass die deutsche Popkultur die amerikanische verdrängt, Leni Riefenstahl glaubte, das übrigens schon seit 100 Jahren. Ob die Jungle World dann auch in Washington gelesen wird?

In der Retrospektive findet eine Sixties-Show statt. Protest, Aufbruch, Abschied von gestern - es geht um vergangene Gegenkultur, die sich den Mainstream eroberte. Und während die Presse meckert, der oder der Film fehle, verteidigt Ressortchef Wolfgang Jacobsen das Projekt. 120 Filme »vor allem aus den 'kleinen' europäischen Ländern« als Schau der Undergrounddokumente. Das Publikum lernt nicht nur, was Schröder und Fischer sozialisiert hat, sondern es lernt darüber hinaus, was sich die Schröders und Fischers in Finnland, Luxemburg und Ungarn sozialisierten.

Bei uns Hauptstädtern unvermeidlich: der Wille zur Vereinigung. Die Berliner Filmfestspiele seien als Beitrag zur Völkerverständigung gegründet worden, meint Forum-Leiter Christoph Terhechte, manche sagen auch: zum Kalten Krieg. Also: Connecting Berlin. Das Filmmuseum Babylon in Mitte sei in die Berlinale integriert, und das schaffe eine »Ost-West-Achse«. So eine hatte sich Helmut Kohl auch fürs Regierungsviertel vorgestellt; Kritiker erinnerten daran, dass die von Albert Speer erfunden worden war; allerdings hatte er die Rote Armee nicht eingeplant. Und Ost-West - wo liegt denn eigentlich der Potsdamer Platz?

Auch im Forum dominiert der Aufbruch. Der chinesische. Unter dem Titel »Elektrischer Schatten« kommt das neue Kino Chinas auf die Leinwand. Da wurde plötzlich Wert auf politische Qualität gelegt, während man früher auch mal beim ORB Beiträge schnorrte, oder wie es der Regisseur Benjamin Reding ausdrückt, der vor zwei Jahren sein Skinhead-Drama »Oi! Warning« dort nicht unterkriegte: »Die haben gesagt, der ist zu politisch.«

China, so Terhechte, sei nicht nur im Auf-, sondern gewaltig im Umbruch. Jetzt kämen die »Kinder der Kulturrevolution« ans Kulturschaffen, bei uns regieren sie schon.

Ebenfalls um junge Menschen geht es im Panorama, wo auch der schwul-lesbische Teil des Festivals angesiedelt ist. Accept diversity - wie das Festival-Motto schon wegen dem 11. September und dem ungewöhnlichen Fluggebaren über amerikanischen Großstädten heißt. So diversity ist es aber nicht, wie Panorama-Meister Wieland Speck findet.

Es gehe um junge Filme über junge Menschen, und er habe festgestellt: Alle sind ein wenig autistisch. In Zeiten des Internets werde wenig gesprochen, viele Filme kämen ohne Dialoge aus. Neue Filmsprache: nix zu sagen. In der Vorschweigerrolle: Japan. Da wird am meisten nichts gesagt.

Einen neuen Bären gibt es in der Sparte Filmmusik. Nur logisch, wenn man die japanischen Tendenzen des Films nicht ausspricht, aber vielleicht: kommuniziert. Ein Preis für Dialogregie wäre da wohl sinnlos gewesen.

Ein echter Trend zur Modernisierung des Festivals? Möglich, aber die Filmfestspiele Oberhausen sind da meilenweit voraus. Dort zeigt man Popvideos und wippt mit dem Fuß. Man stelle sich das hochgerechnet vor: Der Oberhausen-Chef Lars Gass leihweise als Berlinale-Sektionschef, Spex und Viva als Kooperationspartner, Mariah Carey kriegt ein Bärchen, weil: Mit einem Kinofilm wird ihr das nie gelingen. Accept superpostfastmodernity - »music« (Madonna), das Konzert wird zur Hauptsparte Film.

So weit ist es bald. Das alte Pressezentrum wird zum Nightclub, Kontakte mit den Party-Profis vom Maria im Ostbahnhof gibt es. Wenn auch noch nicht so ganz zur Zufriedenheit, vor allem, wenn's ans Finanzieren geht.

Aber der Trend - jung, deutsch, music - ist zu erkennen, und es ist zu erwarten, dass das ehrwürdige Filmfest dereinst aus dem unwirtlichen Februar in den schönen Sommer verlegt wird, als Rahmenprogramm zur Love Parade.

Ab 2003 ist ein Branchentreffen geplant, dass 1 000 junge Filmemacher von überall mit der Filmindustrie zusammenbringen soll. Und wie nennt das Kosslick? »Vorgezogene Sommerakademie.« »Am Potsdamer Platz herrscht Friede, Freude, aber keine Eierkuchen.« Hinweis! Hinweis! So ähnlich ging mal das Motto von Dr. Motte!

Und: Die Berlinale zeigt den neuen Film von Wim Wenders, dem deutschesten aller deutschen Filmregisseure. Thema: Die Kölschrocker von Bap. Ankündigung: Bap sei ein verdammt deutsches Problem, äh, Phänomen.

Apropos überall: Kosslick hat für alles einen Deckel, er ist ein lustiger Kultursozialdemokrat. Internationalität sei in jedem Falle gewährleistet. Jetzt mal weg von der leidigen Starfrage (»Kommt Cate Blanchett?«), genau betrachtet ist die Berlinale ein anschlagsrelevantes Ziel. Ein islamistischer Selbstmörderist könnte auf einen Schlag die verhasste Kulturlibertinage Europas zur Hälfte ausrotten. Und nicht nur die. Was Kosslick unter internationalem Flair subsumiert? »Beim Eröffnungsempfang können Sie mit Sicherheitsmaßnahmen wie auf einem internationalen Flughafen rechnen, haha.«

Guter Witz, welcome to the Spaßgesellschaft. Das Programm sei wegen des 11. September - an dem die Leute Popkultur und Physik nicht wie gewohnt auseinander gehalten haben, was aber gerade deswegen zur Produktion echt verrückter Bilder geführt hat, wenn auch im Fernsehen - ernster ausgefallen als geplant, bedauert Kosslick. Politische Diskussionen begleiteten die Filmauswahl. Dennoch: In einer Galavorstellung zeige man Chaplins Hitler-Persiflage »Der große Diktator« - »wenn man über den Krieg lachen kann, dann hier.«

Ja! Oder auch in »Steiner - das Eiserne Kreuz«. Bis die Tränen laufen, bitte. Wieso über den Krieg lachen? Sollte man da nicht lieber ernst bleiben? Wär doch auch mal was für eine filmpolitische Diskussion.

Die Bereitstellung internationalen Flairs stellt Anforderungen an die Logistik. Kosslick: »Die Berlinale ist nicht schwer zu organisieren, wenn Sie über einen mittleren Intelligenzquotienten verfügen. Aber der Eröffnungsempfang - siehe Gästeliste - das ist eine Aufgabe für jeden, der noch eine Aufgabe braucht.«

Wird unbesehen geglaubt. Wir leben in Zeiten, wo sich auch rosa Krisengestalten wichtig fühlen dürfen wie das World Trade Center. Kanzler Schröder eröffnet die Filmfestspiele, Berlins Regierender Klaus Wowereit hält die Eröffnungsrede.

Internationale Filmfestspiele Berlin, 6. bis 17. Februar