Streit um den Europäischen Konvent

Nie wieder Sanktionen

Der Europäische Konvent soll die EU-Institutionen reformieren. Doch zuerst bescherte er dem italienischen Premierminister Silvio Berlusconi seinen größten außenpolitischen Erfolg.

Der politische Apparat der Europäischen Union muss reformiert werden, darin sind sich alle Mitgliedstaaten schon seit langem einig. Doch was genau geändert werden soll, darüber wird seit Jahren heftig gestritten.

Nun soll eine Runde meist betagter Herren die Geschicke der Union in neue Bahnen lenken. Und das schaffen, woran die EU-Spitze bei der Formulierung des Maastrichter, des Amsterdamer und des Nizzaer Vertrags jeweils gescheitert ist. In diesen Texten stehen zumeist nichts sagende Passagen, die noch nicht einmal für ein zaghaftes Reförmchen taugten.

Die Liste der so genannten Leftovers, der nicht gelösten Fragen, ist sehr lang: Wie sollen künftig Entscheidungen in den Ministerräten gefällt werden? Einstimmig wie bisher oder per Mehrheitsbeschluss? Wie streng soll die Trennung von Exekutive und Legislative, zwischen Kommission und Ministerrat, vollzogen werden? Und schließlich: Braucht die EU eine europäische Verfassung?

Das neue Lösungskonzept heißt Europäischer Konvent. Erfunden wurde es auf dem EU-Gipfel im Dezember 2001 im belgischen Laeken. Noch nie zuvor hatte die EU-Spitze sich ein derart »demokratisch« besetztes Gremium ausgedacht: 105 Teilnehmer, die Mehrheit kommt aus nationalen Parlamenten sowie dem europäischen Parlament, die Übrigen sind Regierungsvertreter und Kommissionsmitglieder. Bis zum Ende des Jahres soll dieser Konvent die ultimativen Reformen für die EU ausarbeiten. Und dabei »ohne Tabus« vorgehen, wie die Laekener Gipfelteilnehmer betonten.

An seine Spitze setzten die Staats- und Regierungschefs der 15 EU-Nationen in Laeken noch alte Kollegen. Der ehemalige französische Präsident Valéry Giscard d'Estaing wird Vorsitzender, an seiner Seite stehen die beiden ehemaligen Premierminister Guiliano Amato (Italien) und Jean-Luc Dehaene (Belgien).

Am vergangenen Donnerstag stellte Giscard d'Estaing sein Arbeitsprogramm in Brüssel vor. Bereits am 28. Februar sollen die Mitglieder des Konvents ihre Tätigkeit aufnehmen. Eine Arbeit, von der man trotz der hohen Erwartungen nicht weiß, ob sie jemals praktische Folgen haben wird. Beschlussfähig ist die Runde nämlich nicht, die Vorschläge des Konvents werden ab Frühjahr 2003 auf einer Regierungskonferenz diskutiert. »Weil diese bis zu den Wahlen 2004 abgeschlossen sein muss, ist der Terminplan besonders eng«, erklärte dazu Giscard d'Estaing. Bis zum Juli sind sieben Vollversammlungen vorgesehen, das aus zwölf Mitgliedern bestehende Präsidium wird alle 14 Tage zusammenkommen, und der Vorsitzende soll seine zwei Vizepräsidenten sogar an jedem Wochenende treffen.

Vor ihm liege »sehr viel Arbeit, die ganz besonders sorgfältig ausgeführt werden muss«, betonte Giscard d'Estaing, »dessen sind sich weder die Politiker noch die Bevölkerung bewusst«. Das klingt wie eine Rechtfertigung und soll auch womöglich eine sein. Denn noch bevor er richtig loslegen konnte, sorgte der Vorsitzende des Konvents für peinliche Schlagzeilen.

Bescheidene 20 000 Euro - steuerfrei - wollte der 76jährige zusätzlich zu seiner Präsidenten- und Abgeordnetenrente monatlich überwiesen sehen. Dazu verlangte er eine Hotelsuite in Brüssel, private Büroräume und ein Team von zwölf hochqualifizierten Fachleuten, die ihm bei seinem neuen Job zur Hand gehen.

Solch »königliche Allüren« fanden nicht nur ein paar Abgeordnete des Europaparlaments unangemessen. Zudem stießen Giscard d'Estaings Arbeitsmethoden auf Kritik. Es bestehe die Gefahr, dass der Konvent einen Rückfall in eine altmodische »Geheimdiplomatie« erlebe, kritisierte der Abgeordnete Elmar Brok (CDU). Es sei nicht hinnehmbar, dass das Plenum öffentlich tage, während die Sitzungen des Präsidiums hinter verschlossenen Türen stattfänden.

Im Präsidium befinden sich die Parlamentarier in der Minderheit. Hier stellen sie nur vier der zwölf Mitglieder. So manch einer dürfte zudem in Interessenkonflikte geraten. Nicht für das Europaparlament, sondern für die Regierung zieht etwa der ehemalige luxemburgische Premierminister und heutige Abgeordnete des Europaparlaments Jacques Santer in den Konvent. Santer, der bis 1999 Kommissionspräsident war und mit dem gesamten Gremium nach Korruptionsvorwürfen zurücktreten musste, sieht darin keinen Nachteil für seine neue Arbeit. »Im Gegenteil, ich kann diese Erfahrung einbringen«, betonte er Mitte Januar in Strasbourg.

In seiner kurzen Geschichte hat der Konvent bereits viel Ärger produziert. Allein die Konflikte um die Nominierung der künftigen Teilnehmer der Runde gibt einen Vorgeschmack auf die Qualität der zu erwartenden Debatten. Vorneweg Italien, wo Premier- und Außenminister Silvio Berlusconi seit der vorletzten Woche einen weiteren Triumph feiern kann. Seine Regierung sei mit Giuliano Amato im Konvent nicht ausreichend repräsentiert, meinte er. Und er platzierte mit dem Postfaschisten Gianfranco Fini, dem Vorsitzenden der rechten Partei Alleanza nazionale, einen zweiten Vertreter.

Berlusconi machte bei seinem ersten Auftritt als Außenminister auf einem EU-Treffen gleich deutlich, dass es künftig keine Sanktionen mehr gegen rechtsextreme Politiker geben wird. Zuvor hatten sich vor allem Bundeskanzler Gerhard Schröder und Außenminister Joseph Fischer gegen Berlusconis Wunsch ausgesprochen. Italien habe mit Amato schon einen Vertreter im Konvent, so ihre Kritik. Doch in Brüssel gaben auch sie nach und stimmten dem Einzug des Postfaschisten in das Gremium zu.

»Heute würde ich nicht mehr sagen, dass Mussolini der größte Staatsmann des 20.Jahrhunderts war«, beruhigte in der Zwischenzeit Gianfranco Fini die Gemüter. Noch vor ein paar Jahren hatte er mit Aussagen wie »Der Faschismus war bis 1938 eine gute Sache« auf sich aufmerksam gemacht. Man ziehe seinen Protest gegen ihn zurück, um den »überzeugten Europäer« Amato im Gremium zu halten, erklärte Außenminister Fischer.

Kein Wunder also, dass Berlusconi am Montag vergangener Woche in Siegerlaune in Brüssel auftrat. Er sieht sich auch als möglicher Schöpfer einer Verfassung der EU. In der zweiten Hälfte des nächsten Jahres übernimmt Italien den Vorsitz der EU, spätestens dann soll die Diskussion um eine europäische Verfassung in ihre entscheidende Phase treten.

Bis dahin muss jedoch noch das eine oder andere finanzielle Problem aus dem Weg geräumt werden. Nicht nur Giscard d'Estaings Gehaltsforderung stellen die EU-Funktionäre vor große Schwierigkeiten. Rund fünf Millionen Euro werden gebraucht, um den Konvent zu finanzieren. »Wir haben dieses Geld nicht«, erklärte lapidar ein Vertreter des Generalsekretariats. Das vorgesehene Budget für administrative Ausgaben sei bereits erschöpft. Jetzt sollen vor allem die Kosten deutlich reduziert werden.

Schlechte Nachrichten für Giscard d'Estaing. Denn ein Gehalt wird es für den Präsidentenjob nun voraussichtlich nicht mehr geben. Kleiner Trost: Sein Spesengeld liegt mit 1 000 Euro pro Tag immerhin etwas höher als die 750 Euro, die seine Vizepräsidenten Dehaene und Amato kassieren.

Für Deutschland wird der ehemalige SPD-Bundesgeschäftsführer Peter Glotz als Vertreter der Regierung im Konvent mitdiskutieren, der Bundestag entsendet den SPD-Rechtsexperten Jürgen Meier (SPD) und der Bundesrat den baden-württembergischen Ministerpräsidenten Erwin Teufel (CDU).

Dass die überwiegende Mehrheit der Mitglieder männlich ist, stört inzwischen auch Giscard d'Estaing. »Ich finde, die Frauen sind sehr unzureichend repräsentiert. Ich habe mich bei Monsieur Aznar (dem spanischen Premierminister und derzeitigen EU-Ratspräsidenten José Maria Aznar) beschwert«, so Giscard gegenüber Journalisten, »und er hat mir unverzüglich eine geschickt.« Aznar hatte am Mittwoch die Europa-Abgeordnete und Christdemokratin Ana Palacio zur spanischen Regierungsvertreterin im Konvent ernannt.