Friedensverhandlungen

Die Tiger werden zahm

Nachdem die neue Regierung Sri Lankas Verhandlungen mit der tamilischen LTTE begonnen hat, wachsen die Chancen auf eine politische Lösung des Konflikts

Seinen Sitz hat Bischof Joseph Rayappu in einer gottverlassenen Region im nordwestlichen Mannar, am Rande des Bürgerkriegsgebietes von Sri Lanka. Oft ist der 60jährige während der vergangenen Jahre in die so genannten uncleared areas gereist, in Gebiete, die von den tamilischen Rebellen der Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE) kontrolliert werden. Dabei hat der Bischof immer wieder versucht, zwischen der Regierung und der LTTE zu vermitteln. »Diese Arbeit zahlt sich jetzt aus«, meint er. »Seit einigen Wochen passieren Dinge, von denen wir bisher nicht zu träumen gewagt haben.«

Nur sieben Prozent der 20 Millionen Einwohner Sri Lankas bekennen sich zum christlichen Glauben. Die meisten Sinhalesen sind Buddhisten, die meisten Tamilen Hindus. Bischöfe und Priester erreichen Angehörige beider Bevölkerungsgruppen und haben eine wichtige Rolle im Friedensprozess eingenommen, der am Anfang dieses Jahres begann.

Mitte Februar ist Joseph Rayappu eigens nach Madhu gereist. Der ungefähr 250 Kilometer nördlich von Sri Lankas Hauptstadt Colombo gelegene Ort wird von der LTTE kontrolliert. In Madhu gab es bislang den einzigen »Grenzübergang« zwischen dem Gebiet der LTTE und von der Regierung beherrschten Landesteilen. Zehn sinhalesische Soldaten sollen hier übergeben werden, die von der LTTE viele Jahre in Gefangenschaft gehalten wurden.

Es ist eine fast unwirkliche Szene am Kontrollpunkt Madhu mit einem Riesenaufgebot schwer bewaffneter Soldaten der Regierungsstreitkräfte. Vertreter des Internationalen Roten Kreuzes ICRC nehmen die Kriegsgefangenen im LTTE-Gebiet in Empfang, fahren sie dann durch einen Streifen Niemandsland und übergeben sie schließlich den srilankischen Streitkräften. Mitglieder verschiedener Friedensgruppen sind angereist, freudestrahlende und weinende Eltern vermisster Soldaten warten gespannt.

Einer der Freigelassenen ist der 27jährige E.L. Attanayake. Neun Jahre war er in Gefangenschaft der Tamil Tigers, die für einen eigenen Tamilenstaat auf der Insel kämpfen. »Ich wurde 1993 bei einem Gefecht schwer verletzt und gefangen genommen. Was soll ich sagen? Immerhin haben wir meistens genug zu essen bekommen.« Seine Eltern, die von der frohen Botschaft in Colombo erfahren haben, sind die weite Strecke angereist. »Wir hatten unseren Sohn nie aufgegeben, immer gehofft, dass er noch lebt.« Obwohl beide Konfliktparteien, die LTTE und die srilankischen Streitkräfte, kaum Gefangene machen. Internationale Konventionen über die Behandlung von Kriegsgefangenen gelten hier nicht viel.

Auch Brigadier de Alwis, seit 34 Jahren in der Armee, kann kaum glauben, was sich da vor seinen Augen abspielt. In der Freilassung der Gefangenen sieht er ein Zeichen des guten Willens der LTTE, gegen die er seit über 20 Jahren, so wie weitere hunderttausend Soldaten, vergeblich kämpft. »Seit ein paar Wochen fallen hier keine Schüsse mehr«, erzählt der Offizier sichtlich entspannt.

Nach den Neuwahlen zum Parlament im Dezember des vergangenen Jahres war erstmals ein von beiden Seiten akzeptierter Waffenstillstand möglich geworden. Die LTTE hatte ihn zuerst angeboten, die neue Regierung unter Premierminister Ranil Wickremasingha war darauf eingegangen. Daraufhin verkündete die von der konservativen United National Party (UNP) gestellte Regierung für viele Menschen weitgehende Erleichterungen. Es wurde nicht nur die Wirtschaftsblockade über die von der LTTE gehaltenen Landesteile gelockert. Auch Reisebeschränkungen vom Norden in den Süden wurden weitgehend aufgehoben. Und nach mehr als 15 Jahren ist in der letzten Woche sogar ein Teil der alten Nord-Süd-Landverbindung in Richtung Jaffna freigegeben worden.

Das Schwierigste aber steht dem Land noch bevor. Es muss eine politische Lösung gefunden werden, der 20 Jahre währende Bürgerkrieg hat die Bevölkerung gespalten und tiefe Gräben entstehen lassen. Gegner einer Verständigung gibt es genug. Schon seit mehreren Wochen versuchen die radikal-nationalistische sinhalesische Janatha Vimukti Peramuna (JVP), die im neuen Parlament immerhin über 16 von insgesamt 225 Sitzen verfügt, sowie andere kleinere sinhalesisch-nationalistische Parteien und Gruppierungen, die Bevölkerung darauf einzuschwören, gegen die Verhandlungen zwischen der Regierung und der LTTE ihr entschiedenes »Nein« zu setzen. Die JVP spricht von der Notwendigkeit, die LTTE militärisch zu besiegen oder zu entwaffnen. Erst dann könne es eine Lösung des »Tamilenproblems« geben.

Dass ein militärischer Sieg jedoch in absehbarer Zeit kaum möglich ist, hat die neue Regierung eingesehen. »Wir müssen nach einer politischen Lösung innerhalb eines geeinten Sri Lanka suchen. Die Teilung des Landes muss dabei ausgeschlossen werden, das muss auch die LTTE verstehen. Über alles andere können wir verhandeln«, betont Bradman Weerakoon, ein Staatssekretär des neuen Premiers. Es seien aber noch zahlreiche Hürden zu überwinden: »All diejenigen, die bisher an dieser Kriegs- und Sicherheitswirtschaft verdient haben, zeigen natürlich wenig Interesse an den Friedensanstrengungen der neuen Regierung.« Und dann gebe es noch jene Stimmen, die die Glaubwürdigkeit der LTTE anzweifelten und dabei auf negative Erfahrungen mit den Rebellen aus der Vergangenheit verwiesen.

Trotz aller Fragen, Zweifel und Vorbehalte gibt es derzeit eine Chance, den Konflikt, der bis zu 100 000 Menschenleben gefordert und Hunderttausende zu Flüchtlingen gemacht hat, zu lösen. Sie liegt darin begründet, dass die Regierung und die Opposition erstmals in der jüngeren Geschichte Sri Lankas an einem Strang ziehen und auch die LTTE nicht nur verhandlungsbereit zu sein scheint, sondern offensichtlich sogar darüber nachdenkt, ihre Forderung nach der Schaffung von Tamil Eelam, dem unabhängigen Tamilenstaat, offiziell zurückzunehmen. Dass beide Seiten in den bevorstehenden Verhandlungen die Vermittlerrolle Norwegens akzeptieren, stellt einen weiteren Fortschritt dar.

In diesem Prozess wollen die 1 000 katholischen Priester eine wichtige Rolle übernehmen. Die Aktivitäten der Kirche allein reichen freilich nicht in einem Land, das von Buddhisten dominiert wird. So müsste der Friedensprozess auch vom mächtigen buddhistischen Klerus vorangetrieben werden. Die rund 20 000 buddhistischen Mönche Sri Lankas gelten nämlich als wichtiger Machtfaktor im Hintergrund einer jeden Regierung. Insbesondere die älteren Mönche haben, beeinflusst von einer Geschichtsschreibung, die vor allem auf Mythen vom Kampf der Sinhalesen gegen die Tamilen beruht, oft eine nationalistische Grundhaltung und sehen in der tamilischen Minderheit Eindringlinge.

Doch viele der jüngeren Mönche arbeiten in so genannten interreligiösen Arbeitsgruppen daran, dass der Friedensprozesse auf allen Ebenen in Gang kommt. Daran wollen sich auch die srilankische Präsidentin Chandrika Kumaratunga und der neue Premierminister Ranil Wickremasingha beteiligen. Anlässlich der Feierlichkeiten zum Unabhängigkeitstag sprachen sie Anfang Februar von einer historischen Friedenschance, die nicht vertan werden dürfe. Am Freitag wurde der Waffenstillstand mit dem Austausch der unterschriebenen Verträge ratifiziert, weitere Verhandlungen sollen im März beginnen.