Sport in Afghanistan

Alles cool in Kabul

In Afghanistan kommt das sportliche Leben langsam wieder in Gang. Nur die meisten Frauen müssen sich noch etwas gedulden.

Das Zentralstadion in Kabul stand bis vor kurzem nicht für Sportveranstaltungen, sondern für die Massenexekutionen, die die Taliban im vergangenen Herbst dort veranstalteten. Dass dort eines Tages wieder Sport getrieben würde, war bis vor wenigen Wochen eigentlich unvorstellbar.

Und doch gibt es einen Neuanfang. Rund vier Monate nach dem Ende des Taliban-Regimes wird in Afghanistan wieder Fußball gespielt. Vier Teams haben sich in Kabul bereits zusammengefunden und treten unregelmäßig gegeneinander an. Mitte Februar fand erstmals auch ein internationales Match statt. Eine Auswahl der internationalen Schutztruppe Isaf (International Security Assistance Force) trat gegen eine örtliche Auswahl namens Kabul United an. Zu einem weiteren Fußballmatch soll es Mitte Mai in Kabul kommen. Dann möchten die Spieler der ehemaligen afghanischen Nationalmannschaft, die Anfang der achtziger Jahre komplett nach Deutschland ausgewandert sind, gegen eine Isaf-Mannschaft antreten.

Für die Afghanen ist die Wiederbelebung des Sports in ihrem Land nach rund 30 Kriegsjahren ein wichtiger Schritt bei der Rückkehr in ein freies Leben. »Die Afghanen sind ein sportbegeistertes Volk. Sie haben unwahrscheinlich unter den Verboten der Taliban gelitten, wo Sport nur ganz eingeschränkt erlaubt war«, berichtet der 52jährige afghanische Journalist Said-Musa Samimy. Überall wollen die Menschen jetzt wieder Sport treiben: in Kabul, auf dem Land, und sogar in den Flüchtlingslagern. Beliebt sind in erster Linie Ballspiele. Fußball, Handball, Basketball und Volleyball gehören in Afghanistan genauso zu den Lieblingssportarten wie anderswo auf der Welt.

Aber auch das erste Radrennen fand bereits statt: 20 Fahrer nahmen an der 40 Kilometer langen Fahrt von Kabul nach Charikar teil. Und ausgerechnet ins nordpakistanische Flüchtlingslager Bold Jallozai schickte die afghanische Frauenorganisation Rawa eine Ladung Taek-won-Do-Kampfanzüge für die Männer, wie Alfons Kleine Möllhoff vom deutschen Rawa-Aktionsbüro selbst beobachten konnte. »In dem Lager kam es angesichts der unwürdigen Lebensbedingungen zu immer stärkeren Aggressionen. Als die Anzüge da waren, wurde ein staubiges Sportfeld eingerichtet, und die Männer haben sofort mit dem Sport begonnen.«

Dass sich auch die Frauen wieder sportlich zeigen können, scheint in den Flüchtlingslagern noch nicht üblich zu sein. »Die Frauen waren vor Ort komplett mit Lebensmittelbeschaffung und Kinderbetreuung ausgelastet. Da hatte für Sport noch keine den Kopf frei«, sagt Kleine Möllhoff.

In den Schulen war Sport früher eines der wichtigsten Fächer - nicht nur für Jungs. Bei den jungen Frauen waren Handball und Basketball sehr beliebt. Mit der Machtübernahme der Taliban allerdings war das schlagartig vorbei. Frauen war das Sporttreiben bis zum Dezember letzten Jahres absolut verboten.

Journalist Samimy meint: »Der Sportunterricht fand zwischen den Trümmern beinahe als Erstes wieder statt. Gerade Mädchen sind unheimlich aktiv. Man sieht sie überall: Sie spielen Volleyball, Handball und Basketball.« Sportart Nummer eins in Afghanistan ist und bleibt aber Fußball, im Moment der Straßenfußball: »Die Afghanen sind Meister im Improvisieren. Die Kinder machen's derzeit genauso wie wir vor 40 Jahren, sie spielen mit selbst gemachten Lumpenbällen auf der Straße«, hat Samimy beobachtet.

Fußball war selbst während des Taliban-Regimes nicht völlig verboten, sondern wurde neben Cricket geduldet. Allerdings nutzten die »Gotteskrieger« den Sport zur Demonstration ihrer Macht. Bei Temperaturen über 40 Grad Celsius mussten die Spieler in langen Hosen und mit langen Vollbärten antreten. Den Zuschauern wurde das Jubeln und Applaudieren verboten, Zuwiderhandlungen oder das Erscheinen ohne Kopfbedeckung wurden mit Peitschenhieben bestraft. Zu fest vorgegebenen Zeiten unterbrach die Polizei das Treiben und zwang Spieler und Fans zum Beten. Die Halbzeitpausen wurden teilweise zu öffentlichen Bestrafungen und Hinrichtungen genutzt.

Fußball hat im Land eine lange Tradition. Der afghanische Fußballverband wurde 1933 gegründet und 1948 in die Fifa aufgenommen. 1954 zählte der Verband zu den Gründungsmitgliedern des asiatischen Fußballverbandes AFC. Aktives Mitglied des AFC war man bis zum Einmarsch der sowjetischen Truppen 1980. Anschließend nahm man jedoch an keinem offiziellen Wettbewerb mehr teil, das letzte Länderspiel Afghanistans liegt 17 Jahre zurück.

Entsprechend schwer fällt es, die Strukturen nun wieder herzustellen. Neben Stadien, Ausrüstung und organisierten Mannschaften fehlt es auch an einer funktionierenden Verbandsstruktur. »Wir wissen noch gar nicht, wer im Land für uns überhaupt offizieller Ansprechpartner ist«, stellte beispielsweise Peter Velappan, Präsident des AFC, Anfang Februar fest. Daher wurde zur offiziellen Kontaktaufnahme zunächst ein Fernziel ins Auge gefasst: »Wir hoffen, dass eine offizielle Delegation aus Afghanistan sowohl am 10. Mai beim AFC-Kongress in Kuala Lumpur als auch am 28./29. Mai beim Fifa-Kongress in Seoul teilnehmen wird«, so Velappan.

Bis dahin werden sich auch potenzielle Helfer aus Deutschland gedulden müssen. Sowohl die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) wie auch das Auswärtige Amt haben bereits die Möglichkeiten einer Unterstützung des Fußballsports Afghanistan untersucht, die nötigen Recherchen verliefen aber bislang ergebnislos. »Wir halten die Reorganisation des Sports in Afghanistan, explizit den Fußballsport, durchaus für unterstützenswert. Leider konnten wir vor Ort noch keinerlei Strukturen erkennen, die eine sofortige Hilfsmaßnahme möglich machen würden. Es fehlen ganz einfach die Ansprechpartner«, so Doris Popp, Sportbeauftragte der GTZ.

Für Said-Musa Samimy ist das kaum verwunderlich. »Selbst führende Minister des Landes sind momentan noch ohne funktionierenden Telefonanschluss. Angesichts derartiger logistischer Probleme wird es mit Sicherheit noch viele Wochen und Monate dauern, bis man im Sport wieder irgendwelche Verbandsstrukturen aufgebaut haben wird.«

Immerhin konnte Mitte Februar am Rande des Fußballspiels zwischen der Kabuler Auswahl und dem Team der internationalen Streitkräfte die erste konkrete Sachspende realisiert werden. Die vom DFB gegründete Sepp-Herberger-Stiftung sandte zehn Trikotsätze und 20 Bälle für afghanische Jugendfußballer nach Kabul.