Die Tragik des Zionismus

Zur Legitimation ihrer Taten verweisen antisemitische Akteure immer häufiger auf den israelisch-palästinensischen Konflikt. Nicht nur im Nahen Osten.

Nach einem Selbstmordattentat, dem Anfang März im Café »Moment« in Jerusalem elf Israelis zum Opfer fielen, schrieb eine israelische Freundin, dass sich etwas verändert hätte. Schließlich sei »es« jetzt an »ihrem Ort« geschehen.

»Ihr Ort«, das ist das säkulare Stadtviertel Rehavia im Westen Jerusalems, »ihr Ort« - und der Ort des Anschlags -, das ist eine Kneipe, die vornehmlich von laizistischen und linken Israelis aufgesucht wird. Ein zweiter Anschlag in einem Café in der Emek-Refaim-Straße, das von einem ähnlichen Publikum frequentiert wird, konnte in letzter Minute verhindert werden.

Gäste solcher Lokalitäten repräsentieren wohl am stärksten den Typus des säkularen Israeli, der auf die Frage, ob er sich eher als Israeli oder als Jude definiere, »Israeli« antworten würde. Die Menschen im »Moment« aber starben, weil der Täter dem Ruf »Tötet die Juden, wo Ihr sie trefft« aus Gaza, Ramallah oder Teheran gefolgt war. Sie, die Erben des säkularen Zionismus, wurden ermordet, nicht weil sie Israelis, sondern weil sie Juden waren. Und das, obwohl die Politik Israels und das Selbstverständnis genuin jüdischer Staatlichkeit gerade hier in den Kneipen Rehavias auf heftigste Kritik stößt.

Denn wenn der palästinensische Attentäter mit seiner barbarischen und antizionistischen Tat wirklich Israel treffen wollte, hätte er sich ein anderes Ziel suchen müssen - und nicht ausgerechnet jene, die seit Jahren für einen friedlichen Ausgleich mit den Palästinensern und für ein Ende der Besatzung eintreten.

Doch nicht nur in Israel werden die staatlichen Institutionen und jüdische Einrichtungen immer öfter bewusst gleichgesetzt. So wandte sich der britische Oberrabbiner Jonathan Sacks vor kurzem mit der Meldung an die Öffentlichkeit, dass in Großbritannien »der Antisemitismus seit den vierziger Jahren nicht mehr so virulent gewesen ist und so aggressive Formen angenommen hat«. Übergriffe auf Juden und Anschläge auf Synagogen hätten in den vergangenen Monaten kontinuierlich zugenommen. Faschisten ebenso wie arabisch-islamische Gruppen würden »ihre antisemitischen Taten mit dem israelisch-palästinensischen Konflikt legitimieren«.

Zur gleichen Zeit gab der stellvertretende Direktor des Verbandes jüdischer Institutionen in Frankreich, Haim Musicant, bekannt, dass seit Ausbruch der so genannten Al-Aqsa-Intifada vor anderthalb Jahren 18 Brandanschläge auf Synagogen in seinem Land verübt worden seien. Ein Novum, erklärte er, da seit dem Zweiten Weltkrieg in Frankreich keine Synagogen mehr gebrannt hätten. Verschiedenste jüdische Einrichtungen seien darüber hinaus mit dem Slogan besprüht worden: »Wir zahlen euch heim, was ihr den Palästinensern antut.«

Nicht nur in Deutschland, wo antisemitische Straftaten allein im Jahr 2000 um 60 Prozent gestiegen sind, sondern auch in Kanada, den USA, Russland und anderen osteuropäischen Ländern registrieren jüdische Organisationen eine Welle antisemitischer Übergriffe, die als vermeintliche Vergeltung für »israelische Verbrechen am palästinensischen Volk« verübt werden.

Schon kurz nach Ausbruch der Al-Aqsa-Intifada notierte Moshe Zimmermann, dass in Deutschland »Araber und Rechtsradikale eine antiisraelische Kampagne in antijüdische Ausschreitungen« umwandelten, und wies gleichzeitig auf eine »prinzipielle Schwäche der zionistischen Ideologie« hin: »Der Zionismus konnte das Problem des Antisemitismus nicht durch die Schaffung eines Judenstaates lösen. Mehr noch: Er erwies sich als Last für Juden der Diaspora, auch dort, wo sie mit dem nationalen Judentum, mit dem Zionismus keine gemeinsame Sache machen.«

Damit verweist Zimmermann auf ein Dilemma. Einerseits leben Juden in Israel so unsicher wie sonst nirgends auf der Welt, andererseits richtet sich der antisemitische Hass gegen jüdische Institutionen in der ganzen Welt, so als handelte es sich um diplomatische Vertretungen des Staates Israel.

Wenn Juden in der Diaspora als Repräsentanten Israels bekämpft werden und Israelis wiederum als Vertreter eines halluzinierten »Weltjudentums« sterben müssen, dann ist die Hoffnung der Zionisten ebenso gescheitert wie schon zuvor jene auf Emanzipation und Assimilation. Das Scheitern aber scheint endgültig zu sein, entstand der Zionismus doch erst als Reaktion auf das nicht eingelöste Versprechen von individueller Gleichheit, das die Aufklärung einst gegeben hatte.

Leon Pinsker hatte angesichts der bis dahin schwersten antisemitischen Pogrome in Russland im Jahr 1881 auf einen eigenen jüdischen Staat gesetzt, in der Hoffnung, die Juden auf diese Weise »in die Familie der Nationen einzugliedern, um so der Judenfrage für immer den Boden zu entziehen«. Die zionistische Gründergeneration verstand Antisemitismus als verständliche, beinahe rationale Reaktion der Nichtjuden auf den vermeintlich nichtnormalen Zustand des jüdischen Volkes, dass sich in der Diaspora befand.

Noch 1932 erklärte der Chefredakteur der Jüdischen Rundschau, Robert Weltsch: »Der Zionismus sieht den Grund der Judenfrage in der abnormalen Lage des jüdischen Volkes. Alle anderen Erscheinungen, auch der Antisemitismus, sind nur Symptome.« Auch Theodor Herzl war überzeugt, dass sich das Problem des Antisemitismus quasi von selbst erledigen würde, sollten die Juden erst einmal »als freie Männer auf eigener Scholle leben«.

Das Gegenteil ist der Fall. Nicht nur übernahm die arabische Welt in ihrem Kampf gegen Israel zunehmend Elemente des europäischen Antisemitismus - jener Ideologie also, die Herzl einst veranlasst hatte, das Buch »Der Judenstaat« zu verfassen. Nach 1948 transformierte sich dieser europäische Antisemitismus, beeinflusst von arabischer Propaganda, auch in Antizionismus und Hass auf Israel, ohne dabei sein Wesen maßgeblich zu verändern.

Längst ergänzen traditioneller Antisemitismus und Antizionismus einander, der Staat Israel ist als Agentur des Judentums fest ins antisemitische Weltbild eingebaut, das die Bewohner Israels und die »Drahtzieher« in New York, London oder Paris als unterschiedliche Repräsentanten des gleichen Prinzips fasst.

Während in Deutschland 1989 eine Autonome Nahostgruppe Hamburg Zionismus als »Feind aller Menschen« identifizieren konnte, erklärte ein Abd al-Rahman in Ägypten seinen Lesern bereits 1950: »Die Juden und der Zionismus sind wie ein Baum des Bösen. Seine Wurzeln befinden sich in New York, seine Zweige erstrecken sich über die ganze Welt, seine Blätter sind die Juden. Sie alle, die Alten, die Jungen, die Männer und die Frauen, ohne Ausnahme, sind seine stachligen Blätter und giftigen Dornen.«

Zionisten reagierten auf diesen Wandel des Antisemitismus nach Auschwitz auf zwei unterschiedliche Weisen. Für die eine Strömung stand Menachim Begin, der 1982 versprach, Hitler nun aus seinem Bunker zu bomben - und damit Arafats Hauptquartier in Beirut meinte. Als typischer Vertreter der Rechten in Israel zog er den Schluss, dass nur Kampf und Krieg Erfolg versprechen gegen die wechselnden Erscheinungen des »ewigen« Antisemitismus, der lediglich die Sprache der Gewalt verstehe und zu Konzessionen nur aus der Position der Schwäche bereit sei. Vor kurzem verglich, wohl in Anlehnung an Begin, der israelische Journalist Ari Shavit erneut Arafat mit Hitler, als er die Besatzung Ramallahs mit dem Argument rechtfertigte, auch der Nazifaschismus sei erst zerschlagen worden, als dessen Hauptstadt in Trümmern lag und besetzt wurde.

Die Kritiker der Rechten setzten hingegen weiter auf eine Normalisierung des Verhältnisses zu den arabischen Nachbarn, ein Prozess, für den bis vor kurzem der Name Oslo stand. Die hiermit verbundenen Hoffnungen aber sind weitgehend gescheitert, und selbst Wohlwollende sehen sich nicht mehr in der Lage, den immer aggressiver auftretenden arabischen Antisemitismus weiter als Randphänomen abzutun. So scheint das Versprechen dieses linken Zionismus, der sich bis vor kurzem eine »Lösung der Judenfrage« - also die Koexistenz mit den Arabern - erhofft hatte, obsolet zu werden.

Der israelische Professor und ehemalige Berater Yitzhak Rabins, Shlomo Avineri, hatte sich noch 1997 gefreut, dass nun endlich »der Zionismus in der Lage sein wird, das zu erreichen, was er sich von Anfang an zum Ziel gesetzt hat: 'Die Schaffung eines sicheren Zufluchtsortes für das jüdische Volk als Teil der Völkerfamilie.' Dies war zuvor, als es vor allem um existenzielle Fragen wie das Überleben, den Kampf gegen Feinde und das Leben in einer feindseligen Umwelt ging, unmöglich gewesen.«

Doch stattdessen lud sich der radikale Antizionismus immer mehr antisemitisch auf und der propagandistischen Forderung nach Zerschlagung Israels als Kollektiv folgten immer mehr Anschläge und Massaker an Juden. Die alte zionistische Hoffnung scheint somit ähnlich illusionär geworden zu sein wie der Glaube liberaler Juden in der Vergangenheit, mit der Zeit würden sich Vernunft und Sittlichkeit in Europa durchsetzen - und damit der Antisemitismus verschwinden.

Einzig die Religiösen und Fundamentalisten scheinen noch Lösungen bieten zu können und erhalten starken Zulauf, während das kommunistische Versprechen, die »Assoziation freier Produzenten« werde auch den Antisemitismus aus der Welt schaffen, seine Bedeutung leider verloren hat.

Vor diesem Hintergrund fragte kürzlich der Kolumnist Amnon Rubinstein in der linksliberalen israelischen Tageszeitung Ha'aretz, ob es noch einen Ausweg gäbe oder ob nun der Staat Ben Gurions und Herzls in den Flammen des »religiösen Fanatismus« aufgehen müsse.

Rubinstein antwortete sich selbst mit einer historischen Analogie. Die meisten säkularen Juden in den vergangenen hundert Jahren hätten sich immer erst unter enormem äußeren Druck für den Zionismus und die Emigration nach Israel entschieden; liberale Israelis stünden jetzt unter einem ähnlichen Druck: Sie hätten keine andere Wahl, als »für einen säkularen jüdischen Staat zu kämpfen und sich für einen gerechten Frieden mit den Arabern einzusetzen«.

Genau das jedoch taten die Besucher des Café »Moment«.