Staatsvertrag zwischen Serbien und Montenegro

Kein Auskommen mit dem Abkommen

Der von der EU diktierte Konföderationsvertrag zwischen Serbien und Montenegro dürfte den beiden Bundesstaaten noch schwer zu schaffen machen.

Was er da nun im Einzelnen unterzeichnet hatte, wusste selbst Vojislav Kostunica nicht so genau. »Das ist weder ein Ende der derzeitigen Föderation noch der Beginn einer neuen Konföderation - es ist einfach eine originelle Lösung«, formulierte der jugoslawische Präsident am Freitag ein wenig verwundert.

Kein Wunder, denn das, was EU-Außenkoordinator Javier Solana den beiden jugoslawischen Bundesstaaten vorige Woche vorlegte, ist staatsrechtlich tatsächlich einzigartig: Aus der föderativen Republik Jugoslawien wird nun eine Union aus Serbien und Montenegro, die weitaus weniger als nur ein schlanker Staat ist: Beide Teilrepubliken werden ihre eigenen Währungen behalten - Serbien den Dinar und Montenegro den Euro. Eine unabhängige Zollpolitik betreiben können sie ebenfalls, und in ihrer jeweiligen Innenpolitik sind sie vollkommen selbständig. Gemeinsam leisten sie sich nur noch einen Präsidenten, ein entmachtetes Parlament, eine einheitliche Territorialsverteidigung und einen gemeinsamen Außenminister. Last but not least können beide Republiken in drei Jahren nochmal endgültig darüber entscheiden, ob sie nicht doch die staatliche Unabhängigkeit vorziehen.

So gesehen hat Javier Solana also tatsächlich eine salomonische Lösung gefunden: Das morsche Jugoslawien wird mit dem Konföderationsabkommen in eine morsche Union transformiert, der kaum eine stabilere Existenz beschieden sein wird als dem jetzigen Staatsgebilde. So sieht das auch Slobodan Milosevics einstiger Koalitionspartner Vojislav Seselj, der Vorsitzende der ultranationalistischen Radikalen Partei Serbiens, der die neue Staatengemeinschaft so definierte: »Es ist kein Staat, keine Konföderation, es ist eigentlich gar nichts.«

Besonders in wirtschaftlicher Hinsicht halten Ökonomen den Staat für eine Totgeburt. »Dieser neue Staat ist ein ökonomischer Frankenstein«, zürnte etwa Bozidar Djelic, Serbiens Finanzminister. »Ein Staat mit zwei Währungen, zwei Zoll- und Steuersystemen und zwei Außenhandelssystemen macht einfach keinen Sinn.« Mladan Dinkic, Chef der jugoslawischen Nationalbank, forderte Solana auf, seinen Kurs zu ändern, ansonsten solle »die EU ihren Chefverhandler wechseln«.

Doch eher als Solana könnte das Abkommen einen der jetzigen staatlichen Repräsentanten das politische Überleben kosten. Unionspräsident Vojislav Kostunica etwa wird künftig nicht mehr von der Bevölkerung gewählt werden, sondern vom gemeinsamen Parlament der beiden Teilrepubliken. Einen ähnlichen Machtverlust muss der serbische Premier Zoran Djindjic hinnehmen, der es künftig mit einem gleichgestellten Montenegro zu tun haben wird. Obwohl die kleine Bergrepublik an der Adria mit 600 000 Einwohnern 18 Mal weniger Bewohner aufzuweisen hat als Serbien. Außerdem werden alle gemeinsamen Institutionen nach einem klaren 50:50-Schlüssel besetzt, das heißt, die serbische Regierung wird deutlich weniger Einfluss haben.

Die größten Probleme aber kommen auf Milo Djukanovic und die montenegrinische Regierung zu. Denn der einstige Parteigänger Slobodan Milosevics steht nun in Podgorica als Verräter an der Unabhängigkeit dar, deren wichtigster politischer Protagonist er seit dem Bruch mit Milosevic 1997 war. Als Djukanovic am Wochenende gemeinsam mit Kostunica den EU-Gipfel im spanischen Barcelona besuchte, war zuhause in Podgorica nicht unbedingt Sehnsucht nach dem Premier spürbar. »Milo, bleib' in Barcelona, hier brauchen wir dich nicht«, skandierten Demonstranten vor dem verlassenen Präsidentensitz.

Auch das politische Establishment in Montenegro kann sich Jubel über das Abkommen ganz gut verkneifen: »Wir sind diese Koalition eingegangen, um Montenegro auf den Weg der Unabhängigkeit zu bringen. Jetzt haben wir keinen Grund mehr, in dieser Regierung zu bleiben«, erklärten etwa die mit Djukanovics demokratischen Sozialisten koalierenden Sozialdemokraten in Podgorica. Am Wochenende stimmten sie schließlich für den Austritt aus der Minderheitsregierung. Auch die kompromisslosen Vertreter einer montenegrinischen Unabhängigkeit, die Liberale Allianz, die bislang vor allem als parlamentarische Mehrheitsbeschaffer Djukanovics dienten, sind wohl ziemlich sauer. Parteichef Miodrag Zivkovic verweigerte eine Einladung Djukanovics zu den Gesprächen und erklärte, es gebe »nichts mehr zu diskutieren«. Die Liberalen würden die Regierung in Podgorica nur weiter stützen, wenn ein Referendum über die Unabhängigkeit bis Mai auf der Tagesordnung stünde. Dieses Referendum wird es nun aber nicht geben.

Eher hilflos wirken dagegen die Argumente des Präsidenten. Für ihn stellt das Abkommen den ersten Schritt dar, um nach dem vorgesehenen dreijährigen Moratorium aller sezessionistischen Bestrebungen das Land erst recht in die Unabhängigkeit zu führen. So versuchte er am Ende doch noch, die Endgültigkeit des Abkommens zu relativieren. Immerhin müsse das montenegrinische Parlament das Abkommen noch ratifizieren, auch gegen ein Referendum über das Inkrafttreten des Solana-Planes habe er nichts einzuwenden.

Womit Djukanovic einen weiteren Hinweis darauf gab, dass die Ratifizierung des Abkommens ein mühseliges Unterfangen für die gemeinsamen staatlichen Gremien in Belgrad und Podgorica werden wird. Überhaupt lässt das Solana-Papier ausreichend Platz für Missverständnisse und Interpretationen. So sieht etwa Jugoslawiens Präsident Vojislav Kostunica den Plan als »Neubeginn« und »historische Basis für den gemeinsamen Staat«, ja, als »permanente Lösung«. Dagegen betont die montenegrinische Seite, das nun unterzeichnete Papier sei lediglich für drei Jahre gültig.

Wenn überhaupt. Denn sollte sich herausstellen, dass die Ökonomen Recht haben und die finanziellen Rahmenbedingungen beide Unionsmitglieder in den nächsten Jahren ins totale wirtschaftliche Aus treiben, dürfte der Drang nach einer Trennung immer stärker werden.

Solana, dessen Ziel es ist, die EU als Ordnungsmacht in Südosteuropa zu etablieren, ist mit dem Abkommen einen Schritt weitergekommen. So werden die EU-Gremien bei der Neuordnung der Staaten das letzte Wort haben. Sollten sich die vorige Woche vereinbarten Annäherungsprozesse verlangsamen, hat die EU ein umfangreiches Instrumentarium zur Streitschlichtung in der Hand. Besonders gilt das für den ökonomischen Teil des Deals, der von der EU in den beiden Republiken implementiert werden wird.

So sollen die Wirtschaftssysteme Serbiens und Montenegros nach den rigiden EU-Kriterien harmonisiert werden. Solana lockt die beiden politischen Partner mit der EU-Mitgliedschaft, doch die liegt in weiter Ferne. Einen Startvorteil hat Montenegro dennoch: Der Euro ist in der Adria-Republik bereits offizielles Zahlungsmittel, und die Hoffnung Solanas ist es wohl, dass Serbien sich in absehbarer Zeit des schwächelnden Dinars ebenfalls entledigt. Das ahnt auch Notenbankchef Dinkic: »Das einzige Ziel ist es, die beiden Wirtschaftssysteme mit den EU-Richtlinien zu harmonisieren. Mit zwei Währungen wird das aber nicht funktionieren.«

Das dritte Jugoslawien aber ist mit der Unterzeichnung des Abkommens einen sanfteren Tod gestorben als seine beiden Vorgänger - die jugoslawische Monarchie nach dem Ersten Weltkrieg und Titos sozialistische Republik zu Beginn der neunziger Jahre. Wenn es jemals einen Masterplan des Westens gegeben haben sollte, Jugoslawien dahinscheiden zu lassen, so ist dies mit der Filialisierung des Landes als EU-Vorposten endgültig gelungen. Sollte es keinen solchen Plan gegeben haben, wäre das umso bemerkenswerter.