Katalonien

Nation im Kommen

Ganz ohne Bomben schreitet der katalanische Nationalismus voran. Gallische Dörfer, eine Serie über Regionalismus in Europa.

Unter dem faschistischen Diktator Francisco Franco war die katalanische Sprache 40 Jahre lang verboten. Dieser Umstand ist in Barcelona im Laufe der neunziger Jahre zum politischen Ausgangspunkt einer Anklage des »demokratischen Imperialismus des spanischen Zentralstaats« geworden.

Mit einer aggressiven Sprachpolitik führen katalanische Nationalisten seither den Kampf um mehr Selbständigkeit. So mündet das katalanische Autonomiestreben in einer Affirmation des Nationalismus, obwohl es stets vorgab, diesen in der spanischen Gesellschaft bekämpfen zu wollen.

Das in der autonomen Region regierende konservative Parteienbündnis Übereinstimmung und Union (CiU), personifiziert durch den seit 22 Jahren amtierenden Präsidenten Jordi Pujol, hat seine nationalistischen Ziele nach dem Ableben Francos durch eine scheinbar gemäßigte Segregationspolitik äußerst erfolgreich umgesetzt.

Die Autonomie Kataloniens, ebenso wie die anderer Regionen des Landes, war im Rahmen des so genannten demokratischen Übergangs 1979 in der Verfassung verankert worden. Wie weit diese Autonomie in den einzelnen Regionen tatsächlich reichen sollte, war fortan Verhandlungssache.

In Katalonien verschob sich seit den achtziger Jahren - nicht zuletzt durch Pujols taktisches Geschick - die machtpolitische Balance zugunsten der Region. Die offizielle Anerkennung der katalanischen Sprache wurde vorangetrieben, katalanische Feiertage und eine »katalanische Erziehung« an Schulen und Universitäten durchgesetzt. Man delegierte Steuerkompetenzen, gründete eine autonome Polizei und nahm Änderungen im Gesundheitswesen vor.

Diese schrittweise durchgesetzte Autonomie ermöglichte es, die Forderung nach der Unabhängigkeit zurückzustellen. Vermutlich war dies auch der einzige Weg, die Macht der Madrider Regierung auf Dauer zu unterlaufen. Auch wenn Pujol in der radikal nationalistischen linken Szene wegen seines eher gemäßigten Kurses als Verräter bezeichnet wird, sind seine regionalpolitischen Erfolge beträchtlich.

Nach den Wahlen im Jahr 2003 könnten katalanische Nationalisten noch selbstbewusster auftreten. So rechnet sich die Republikanische Linke Kataloniens (ERC) seit ihrer Koalitionsaussage zugunsten der CiU Chancen auf eine Regierungsbeteiligung aus. Die ERC, die drittgrößte regionale Partei, ist globalisierungskritisch und offen sezessionistisch.

Deshalb versucht die in Madrid regierende Volkspartei (PP), die CiU von einer Koalition mit der ERC abzuhalten. Die Linksnationalisten treten mehr noch als die CiU für die Eigenstaatlichkeit ein. Parteisprecher Joan Ridao bezeichnet eine mögliche Koalition als notwendigen »nationalen Pakt für Katalonien«. Denn der seit Jahren praktizierte Kompromisskurs der CiU gegenüber Ministerpräsident José Maria Aznars zentralistischer PP sei, so Ridao, eine »Schande«, die »das eigene Volk in die Frustration« treibe.

Auf der Website der Partei wird diese Rhetorik durch ein passendes Logo flankiert. Die Umrisse Kataloniens schwillen dort als bewegtes rotes Etwas aus einem Kreis zu weißer plastischer Präsenz an: eine Nation im Kommen.

Mit dieser Präsentation, die buchstäblich das letzte Rot aus dem sozialistischen Profil der ERC tilgt, entlarvt sich die angeblich »imperialismuskritische« linke Partei selbst als latent imperialistisch. Valencia und die Balearen, ihrerseits autonome Regionen, werden hier, im Landesumriss des Logos, Katalonien kurzerhand zugeschlagen.

Die zweitgrößte Partei, die Sozialistische Partei Kataloniens (PSC) mit dem ehemaligen Bürgermeister Barcelonas, Pacual Maragall, an der Spitze, ist der regionale Ableger der Sozialistischen Arbeiterpartei Spaniens (PSOE), der größten spanischen Oppositionspartei. Sollte die Koalition CiU/ERC nicht zustande kommen, ist die PSC die mögliche Alternative - zumal auch Maragall einem Bündnis mit der ERC nicht abgeneigt ist.

Wegen der großen Popularität von Pujol und der wachsenden nationalistischen Stimmung in der katalanischen Bevölkerung verliert der spanische Staat, der auch durch die Autonomiebestrebungen in Galizien und im Baskenland unter Druck steht, immer mehr an Zustimmung.

Doch im Gegensatz zum Baskenland werden in Katalonien keine Bomben geworfen. Man hat seine Ziele durch die schleichende politische Veränderung von Alltag und Sprachgewohnheiten auch friedlich erreicht. Einer der Säulenheiligen der katalanischen Nationalgeschichtsschreibung, Francesc Maciá, soll sogar zeitlebens auf Gandhi geschworen haben.

In Katalonien feiert heute kaum einer - wie noch in den achtziger Jahren - den spanischen Feiertag der »Entdeckung« Amerikas durch Kolumbus am 12. Oktober, sondern den katalanischen Nationalfeiertag La Diada. In den neunziger Jahren ließ sich beobachten, wie die katalanische Sprache nicht nur in der Provinz, sondern auch in Barcelona - immerhin eine internationale Handelsmetropole mit rund 3,5 Millionen Einwohnern - zur wichtigsten Sprache wurde.

Mit der spanischen Sprache, dem Castellano, ist hier bereits heute kein Staat mehr zu machen. Einmal mehr haben die Katalanen demonstriert, was die Instrumentalisierung der Sprachpolitik bewirken kann.

Hinzu kommt, dass man auch jenseits der Grenze, in den katalanischen Teilen Südfrankreichs, dem so genannten Okzitaniens, beginnt, Katalan als Wahlfach an den Schulen einzuführen. Bereits 1989 träumte dort der Linguist und Historiker Robert Lafont von einem »Wirtschaftsdreieck Barcelona-Tolosa-Montpellier«. Er prophezeite, dass der »Lebensraum« der »Brudervölker« Katalonien und Okzitaniens »eine fundamentale Rolle bei der Neustrukturierung des Mittelmeerraums zwischen Nordeuropa, Afrika und Asien« spielen werde.

Auf der Website der katalanischen Regierung heißt es, Katalonien habe sich »eindringlich um die Konsolidierung der Versammlung der Regionen Europas und des Regionalausschusses bemüht«. Katalonien bildet mit den französischen Regionen Languedoc-Roussillon und Midi-Pyrénées eine Euroregion, in der »die Katalanen, die zu beiden Seiten der französisch-spanischen Grenze leben, vereint« seien.

Die Wirtschaft Kataloniens prosperiert, die Arbeitslosenzahlen sind niedrig, und die Bürger sprechen immer selbstbewusster von der »Unterdrükkung«, die unter Franco immer wieder einzelne Separatisten traf. Und das, obwohl Franco seit über 25 Jahren tot ist.