EU-Gipfel in Barcelona

Schritt für Schritt

»Eine phantastische Nachricht« brachte der EU-Außenbeauftragte Javier Solana zum Gipfel in Barcelona mit. Am Tag vor dem Treffen der europäischen Staats- und Regierungschefs hatten Vertreter Jugoslawiens, Serbiens und Montenegros unter Solanas Vermittlung einen neuen Staatsvertrag unterzeichnet. Das völlige Auseinanderbrechen der Teilrepubliken ist auf dem Papier verhindert, während die Aufteilung des Landes und die Eigenständigkeit des Kosovo bestätigt scheinen. Jugoslawien aber verschwindet endgültig von der Landkarte.

Angespornt von diesem außenpolitischen Erfolg, beschlossen die EU-Führer eine deutliche und einseitig gegen Israel gerichtete Erklärung zum Nahost-Konflikt. Zwar werden darin keine militärischen Drohungen ausgesprochen, die ordnungspolitischen Ambitionen der EU im Nahen Osten aber dürften nie so deutlich formuliert worden sein. Dass die EU-Politiker in diesem Punkt auch die Zustimmung des überwiegenden Teiles der Gipfelteilnehmer auf der anderen Seite der Polizeibarrikade hatten, dürfte Aznar, Schröder, Blair und Co. allerdings wenig interessiert haben.

Außenpolitisch geht es Schritt für Schritt voran, mitunter sogar im stillen Einvernehmen mit den Kritikern. Das auf dem EU-Gipfel von Lissabon im Juni 2000 gesteckte Ziel lautet, bis »zum Jahr 2010 der wettbewerbsfähigste und dynamischste Wirtschaftsraum der Welt zu werden« und die USA abzulösen. Nach innen aber - insbesondere in Sachen Wirtschafts- und Haushaltspolitik - gibt es Knatsch. Hier wurden in Barcelona nur kleine Schritte gemacht.

So auch bei der strittigen Liberalisierung der Energiemärkte, wo sich die französische Mitte-Links-Regierung gemeinsam mit dem konservativen Staatspräsidenten Jacques Chirac mit ihrem Modell der services publics gegen den Druck anderer EU-Staaten, insbesondere der liberalen Ultras in London und Madrid, wehrt. Zwar akzeptierte Ministerpräsident Lionel Jospin überraschend eine Liberalisierung für Geschäftskunden, aber zumindest im Privatkundenbereich will Paris standhaft bleiben.

Während Frankreich seine Blockade in Sachen Energiemarkt wohl nicht mehr lange aufrechterhalten kann, birgt ein anderes Thema immenses Konfliktpotenzial: die Zukunft des Struktur- und Agrarfonds. Zwar stand dieser Punkt in Barcelona nicht auf der Agenda, aber kaum war der Gipfel beendet, sagte Schröder - etwas eloquenter als in der Vorwoche, als er Deutschland als »Melkkuh« der EU bezeichnet hatte -, dass die Grenze der deutschen Beiträge erreicht sei. Das habe »Auswirkungen auf unsere Vorstellungen davon, wie sich Agrarpolitik und Strukturfonds zu entwickeln haben«. Erforderlich sei ein »allmählicher Ausstieg aus den Direktzahlungen für Landwirte«. Davon aber sind zahlreiche EU-Nationalökonomien mit starkem Agrarsektor abhängig. »Das Wetterleuchten am Berliner Horizont«, hatte die Frankfurter Rundschau am selben Tag kommentiert, »kündigt eine Neupositionierung Deutschlands innerhalb der EU an«.

Die außenpolitische »Neupositionierung« Deutschlands begann vor über einem Jahrzehnt auf dem Balkan und wurde vergangene Woche mit der nominellen Abschaffung Jugoslawiens symbolisch abgeschlossen. Die EU-interne Positionierung soll, so signalisiert Berlin seit geraumer Zeit, in der Frage des Struktur- und Agrarfonds erfolgen. Setzte sich Deutschland damit durch, könnte dies für ähnlichen Missmut unter den EU-Partnern sorgen wie seinerzeit die Anerkennung der sezessionistischen Teilrepubliken. Allerdings ist hier mit erbittertem Widerstand der anderen EU-Staaten zu rechnen.