Visionen im Gepäck

Um arabische Verbündete für ihren möglichen Feldzug gegen den Irak zu gewinnen, setzen die USA Israel verstärkt unter Druck.

Die Resolution war eindeutig. Zum ersten Mal in seiner Geschichte gestand der Weltsicherheitsrat der Vereinten Nationen den Palästinensern vorige Woche das Recht auf einen eigenen Staat zu. »Seite an Seite« mit Israel sollten diese in »gesicherten und anerkannten Grenzen leben«. Die USA, die seit Beginn der so genannten Al-Aqsa-Intifada jeden pro-palästinensischen Antrag im Sicherheitsrat mit ihrem Vetorecht verhindert hatten, waren diesmal sogar Initiator des Beschlusses. Israel gerät damit unter starken diplomatischen Druck.

Die neue Nahost-Resolution enthält zwar vor allem Appelle an Palästinenser und Israelis, die Gewalt zu beenden, und verweist auf altbekannte Dokumente wie die Uno-Resolution 242 und 338 (»Land gegen Frieden«) sowie den Mitchell- und Tenet-Plan (»Waffenstillstand und Siedlungsstopp«). Doch gerade wegen der vagen praktischen Folgen ist diese Resolution ein geschickter Schachzug seitens der USA. Vor der versammelten Weltöffentlichkeit haben sie ihrem engen Verbündeten Israel verdeutlicht, dass sie es ernst meinen mit ihrem neuen Vermittlungsversuch - ohne sich mit dieser Demonstration zu konkreten Schritten zu verpflichten.

Dementsprechend stufte etwa der Informationsminister der palästinensischen Autonomiebehörde (PA), Yassir Abed Rabbo, den Sicherheitsratsbeschluss als »großen Erfolg für die Palästinenser« ein und versuchte gleichzeitig, daraus konkrete Maßnahmen abzuleiten: Eine sofortige internationale Intervention zur Beendigung der israelischen Besatzung sei notwendig, so Rabbo. Dagegen sprach der israelische Botschafter bei den Vereinten Nationen, Yehuda Lankri, höflich von einer »ausgewogenen Resolution«.

Schließlich konnte man in Jerusalem die Signale aus Washington nicht überhören. Nachdem sich bereits in der Vorwoche US-Außenminister Colin Powell kritisch gegenüber den israelischen Militäroffensiven geäußert hatte, war Israels Premier Ariel Sharon bereits von seiner bislang als nicht verhandelbar bezeichneten Bedingung für neue Waffenstillstandsverhandlungen - sieben Tage absolute Waffenruhe - abgerückt. Zudem wurde dem PA-Vorsitzenden Yassir Arafat wieder gestattet, sich innerhalb der Autonomiegebiete frei zu bewegen. Letzte Woche dann monierte US-Präsident George W. Bush höchstpersönlich, die »jüngsten Aktionen« Israels seien »nicht hilfreich« gewesen.

Offensichtlich war der Bush-Administration sauer aufgestoßen, dass sie die neue Verhandlungsmission ihres Nahost-Unterhändlers Anthony Zinni auf Bitten Israels um eine Woche verschoben hatte, um dann mit anzusehen, wie Israels Armee die Zeit für die größte Militäraktion seit Ende des Libanon-Kriegs nutzte. 20 000 israelische Soldaten waren in mehrere große Flüchtlingslager in der Westbank und dem Gazastreifen eingerückt und hatten die palästinensische Verwaltungshauptstadt Ramallah nahezu vollständig besetzt. Sie hoben diverse Bombenwerkstätten aus und stellten über ein Dutzend Kassam- und Aqsa-Raketen sicher. Im Zuge der Aktion wurden Hunderte Palästinenser verhaftet, über zweihundert Menschen starben. Auf Kritik stieß dabei vor allem, dass vermehrt palästinensische Zivilisten den Kämpfen zum Opfer fielen.

Die USA sahen dadurch ihre Bemühungen torpediert, in der arabischen Welt Bedenken gegen einen möglichen US-Angriff auf den Irak auszuräumen. Mit dieser Mission war bis zum Wochenanfang US-Vizepräsident Richard Cheney in der Region unterwegs, zum Abschluss seiner Reise besuchte er am Montag Israel. Doch selbst prowestliche arabische Staaten wie Jordanien und Ägypten können es sich angesichts des israelischen Vorgehens kaum leisten, über Bagdad zu reden und von Ramallah zu schweigen. Zumal man in der arabischen Welt ohnehin der Auffassung ist, dass nach der saudi-arabischen Initiative die USA und Israel am Zuge seien.

Vor diesem Hintergrund rätseln politische Beobachter nun, ob der seit letztem Donnerstag zwischen Israelis und Palästinensern pendelnde Zinni lediglich zur Herstellung eines neuerlichen brüchigen und kurzlebigen Waffenstillstandes entsandt wurde oder ob Zinnis Mission den ersten Schritt zu einem intensiveren US-Engagement mit dem Ziel einer politischen Gesamtlösung des Konflikts darstellt.

»Die Frage bleibt: Wie ernst meinen sie es?«, gab sich beispielsweise Uri Avnery skeptisch. Der israelische Friedensaktivist fürchtet, die USA könnten »erneut dem Glauben erliegen, dass hohle Phrasen und Scheinaktivität ausreichen«, um die arabischen Regierungen und ihre Bevölkerungen zu beruhigen. Yossi Alpher, ein früherer Mossad-Stratege, vermutet, dass »die Amerikaner sich nicht die Hände schmutzig machen wollen mit der politischen Seite des Konflikts« und Zinnis Auftrag deshalb auf Sicherheitsfragen beschränkt sein könnte.

In der Tat würde dies der bisherigen Nahost-Politik der US-Regierung entsprechen. Bushs Vorgänger William Clinton hatte noch alles daran gesetzt, seine Amtszeit mit einer endgültigen Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts zu krönen und die USA auf diese Weise mit dem Image der Weltfriedensmacht zu schmücken. Doch Clintons Projekt scheiterte im Juli 2000 in Camp David - kurz darauf startete Arafat die al-Aqsa-Intifada. So schien es dem neuen Präsidenten zunächst ratsam, Israelis und Palästinenser auf seiner Agenda ganz nach hinten zu schieben.

Nun aber haben Bushs Irak-Pläne offenbar für eine neue Prioritätenliste gesorgt. Ein Indiz dafür ist, dass die USA die neue Uno-Resolution selbst eingebracht haben. Ein anderes, dass Zinni zu Beginn seines Nahost-Aufenthaltes äußerte, er habe »eine Vision und einen Plan« von George W. Bush im Gepäck. Und aus der Umgebung des amerikanischen UN-Botschafters John Negroponte sickerte durch, dass dieser Plan ein Angebot an die Palästinenser enthalte: Die Entsendung US-amerikanischer und möglicherweise auch europäischer Beobachtertruppen zur Absicherung eines Waffenstillstandes.

Sollte sich dieses Gerücht erhärten, hätte Yassir Arafat eines seiner wichtigsten Ziele erreicht: die faktische Internationalisierung des Konflikts. Kein Wunder, dass der PA-Vorsitzende nach dem ersten Treffen mit Zinni enthusiastisch Danksagungen an Washington richtete. Israel hingegen erschien zunächst einmal als Bremser, indem es den von Washington geforderten Rückzug seiner Truppen aus den palästinensischen Autonomiezonen nur teilweise umsetzte.

Unterdessen wurden die Konflikte auch innerhalb der israelischen Regierungskoalition schärfer. So gerieten Sharon und sein Verteidigungsminister, der Vorsitzende der Arbeitspartei, Benyamin Ben-Eliezer, wegen Meinungsverschiedenheiten über das weitere militärische Vorgehen heftig aneinander. Trotzdem blieb die Arbeitspartei in der Koalition. Die Regierung verlassen hat hingegen das extrem rechte Parteienbündnis National Union/Yisrael Beiteinu. Dass Sharon sich letztlich für die Arbeitspartei und gegen die Rechtsextremen entschieden hat, werten einige israelische Analysten als weiteres Ergebnis des amerikanischen Drucks auf Sharon. Demnach habe Washington dem Likud-Vorsitzenden klar gemacht, dass man erhebliche israelische Zugeständnisse erwartet, die National Union/Yisrael Beiteinu nicht mitgetragen hätte.

Angesichts der Kursänderung Washingtons sahen offenbar auch die Staats- und Regierungschefs der EU eine gute Gelegenheit, sich wieder ins Spiel zu bringen. Bei ihrem Gipfel in Barcelona am vergangenen Wochenende verabschiedeten sie eine Entschließung, in der es heißt, der »Einsatz exzessiver Gewalt« gegen Palästinenser könne nicht gerechtfertigt werden. Israel solle internationale Beobachter zur Absicherung eines Waffenstillstandes zulassen und zusammen mit den arabischen Ländern die »einzigartige Gelegenheit« des saudi-arabischen »Friedensplanes« nutzen.

Dessen Zukunft könnte sich schon nächste Woche entscheiden. Ob sein Urheber, der saudische Kronprinz Abdullah, beim dann stattfindenden Gipfeltreffen der Arabischen Liga in Beirut den Vorschlag präzisieren und zur Diskussion stellen wird, hängt maßgeblich davon ab, ob Israel Yassir Arafat zu dem Gipfel ausreisen lässt. Eine weitere Frage, die möglicherweise in Washington statt in Jerusalem entschieden wird.