Neue Bücher über Sport in der DDR

Kein Sport im Hort

Eine Reihe von neuen Büchern befasst sich mit der Sportpolitik in der DDR. Den Breitensport vernachlässigte das Zentralkomitee.

Das sportpolitische Papier, das im Jahr 1969 dem Zentralkomitee der SED vorgelegt wurde, sorgte unter den Versammelten sofort für Aufregung. Dessen lapidare Aussage lautete nämlich: »Es wurden keine Fortschritte bei der Leistungsentwicklung des Fußballsports erreicht.«

Noch schlimmer als die schlechte Kickerei aber schien, dass »einzelne Partei-, Staats-, Wirtschafts- und Sportfunktionäre« die sozialistische Fußballvariante »durch egoistische, örtliche und Betriebsinteressen gegenüber den Spielern und Trainern und gewisse Machenschaften, wie sie in kapitalistischen Ländern im Profifußball üblich sind, außerordentlich negativ beeinflussen«.

Von »zinslosen Darlehen« war im Text die Rede, von »Sonderprämien« und »hohem materiellen Anreiz für Oberligaspieler«, etwa der »Zahlung von Handgeld«. Honecker, Mittag und Co. dekretierten daraufhin nicht etwa nur eine stärkere Kontrolle der Prämien, sondern auch einen Trainerwechsel. »Genosse Georg Buschner« sollte ab sofort die DDR-Nationalmannschaft führen. Das war nun wirklich ein Unterschied zum kapitalistischen System Westdeutschlands, denn den damaligen Bundestrainer Helmut Schön wegen schlechter Leistungen einfach zu entlassen, hätte Bundeskanzler Willy Brandt nie in den Sinn kommen können.

Doch schon die Nationalsozialisten waren entsetzt über die Unberechenbarkeit der Sportart Fußball, nachdem das deutsche Team bei den Olympischen Spielen von 1936 bereits früh von den Underdogs aus Norwegen kurzerhand mit einem 2:0 aus dem Turnier geworfen worden war. Nun, im Jahr 1969, sah sich auch das SED-Regime nicht in der Lage, auf dem Feld des Fußballs die angebliche Überlegenheit seines Systems zu demonstrieren.

Auch die Beschlüsse des Protokolls »Nr. 100/69 vom 18. Dezember 1969« sollten daran nichts ändern. Große internationale Erfolge der DDR-Kicker blieben - bis auf den allerdings folgenlosen 1:0-Sieg gegen das BRD-Team bei der Fußball-Weltmeisterschaft 1974 - weiterhin aus.

Heute besitzt diese Episode der DDR-Sportgeschichte zwar nur noch historische Bedeutung, sie sagt aber dennoch einiges aus über den beklagenswerten Zustand des populärsten Sports in der Deutschen Demokratischen Republik und über den Willen der Parteidiktatur, etwas daran zu ändern.

Einem breiteren Publikum zugänglich gemacht wurde der Beschluss jetzt auf einem Symposium zum DDR-Sportsystem in Göttingen. Neben den vom Potsdamer Sporthistoriker Hans Joachim Teichler kommentierten »Sportbeschlüssen des Politbüros der SED« brachte das vom Bundesinstitut für Sportwissenschaft mit 1,1 Millionen Mark geförderte, auf zehn Jahre angelegte Forschungsvorhaben drei weitere Publikationen hervor: Gertrud Pfisters erstellte eine Analyse des DDR-Frauensports, zwei weitere Werke befassen sich mit der Frühphase der Leibesübungen in der DDR.

Doch während die Auseinandersetzung um Doping oder das Leistungssportsystem in der DDR weit gediehen ist, steht eine Studie über die Lage des Sports in den sechziger und siebziger Jahre noch aus. Gearbeitet wird in Göttingen außerdem noch an einem Abschlussbericht über den Einfluss der Staatssicherheit auf die Aktiven.

Auf insgesamt 2 500 Seiten verhandeln die vier neuen Bücher so unterschiedliche Bereiche wie Sportpresse, Sportlehrerausbildung, Sportwissenschaft, Sportpolitik, Schulsport, Breitensport und Leistungssport in der DDR.

Dass daran nicht nur westliche Sporthistoriker beteiligt waren, lässt sich zuweilen auch an längst vergessen geglaubten Terminologien erkennen. Ein Aufsatz des letzten Dekans der Deutschen Hochschule für Körperkultur in Leipzig, Günther Wonneberger, bezeichnet die Phase zwischen 1945 und 1949 weiterhin als »antifaschistisch-demokratische Umwälzung«, an den sich der »Aufbau der Grundlagen des Sozialismus« anschloss.

In Göttingen wurde die Kooperation mit den DDR-Wissenschaftlern ausdrücklich gelobt, auch wenn zwischen Ost und West immer noch große Meinungsverschiedenheiten hinsichtlich der Interpretation sporthistorischer Quellen existieren. Immer noch sind viele, die als Trainer oder Wissenschaftler in der DDR eingebunden waren, der Meinung, dass die dortige Förderung des Breitensports mit der des Westens durchaus vergleichbar gewesen sei.

Gertrud Pfister hingegen hat ermittelt, »dass der Breitensport gegenüber dem Leistungssport eine relativ untergeordnete Rolle spielte«. Auch wenn man gezwungen sei, regional, nach Geschlecht und Alter zu differenzieren, seien die »Beteiligungsquoten im Breitensport sehr begrenzt« gewesen. Selbst Wonneberger räumte im Pressegespräch ein, dass die »BRD Weltmeister im Sportstättenbau war, und nicht die DDR«.

Ein Vergleich zwischen beiden deutschen Systemen gestaltet sich indes in vielen Bereichen als schwierig, wenn nicht gar als undurchführbar. Schließlich fehlen jetzt, da das DDR-Sportsystem weitgehend analysiert worden ist, oft entsprechende Untersuchungen für die Bundesrepublik. Natürlich belegen viele Dokumente die staatlich verordnete Dopingpraxis in der DDR, »das heißt aber nicht«, wie Arnd Krüger von der Universität Göttingen anmerkte, »dass in der BRD nicht auch gedopt worden ist«.

Die Dokumente des Politbüros zeigen so auch klar die Instrumentalisierung des Sports in der DDR. War es denn aber in der BRD wirklich ganz anders? Die bereits im letzten Jahr erschienene Dissertation von Tobias Blasius über den Zugriff der westdeutscher Politiker macht deutlich, dass die Autonomie des Sports im Westen nur eine Illusion war.

»Dieses Projekt kann nur der Anfang sein«, erklärte Martin-Peter Büch, der Direktor des Bundesinstituts für Sportwissenschaft, in Göttingen bei der Präsentation, er wolle »auch weiterhin das Pflänzchen Sportgeschichte gießen«. Den westdeutschen Sport einmal ähnlich systematisch wie den in der DDR zu untersuchen, würde sicherlich für neue Kontroversen sorgen.

Teichler, Hans-Joachim: Die Sportbeschlüsse des Politbüros, Eine Studie zum Verhältnis von SED und Sport mit einem Gesamtverzeichnis und Dokumentation ausgewählter Beschlüsse, Köln, 848 S., 48 Euro
Pfister, Gertrud: Frauen und Sport in der DDR, 314 S., Köln, 18 Euro
Buss, Wolfgang; Becker, Christian (Hrsg.): Aktionsfelder des DDR-Sports in der Frühzeit 1945 - 1965, 605 S., Köln, 34 Euro
Die drei Publikationen sind im Kölner Verlag Sport und Buch Strauß erschienen.
Wolfgang Buss; Christian Becker (Hrsg.): Der Sport in der SBZ und frühen DDR, 868 S. Schorndorf, 39 Euro