Konflikte zwischen der Regierung und den Gewerkschaften in Italien

Ringelreihen um Artikel 18

Die italienische Regierung benutzt das Attentat der Brigate Rosse, um die Gewerkschaften zu diskreditieren.

Nach der Ermordung des 52jährigen Juristen Marco Biagi durch die Brigate Rosse in Bologna entstanden nicht nur in Italien die einige Gerüchte. Biagi war Berater von Arbeits- und Sozialminister Roberto »Bobo« Maroni und Mitverfasser eines in dessen Ministerium aufgelegten »Weißbuchs« über den Arbeitsmarkt. Es sieht eine umfassende juristische Deregulierung zugunsten neuer Beschäftigung vor. Damit soll das bislang geltende Arbeiterstatut, das feste Beschäftigungsverhältnisse garantierte, in ein flexibles »Statut der Arbeit« umgeschrieben werden.

Seinen Beraterjob hatte der Sozialist Biagi bereits unter den Sozialministern der vorherigen Mitte-Links-Regierungen, Antonio Bassolino und Tiziano Treu. Zudem war er für die Gewerkschaften, den Unternehmerverband, die Europäische Union und die Stadtverwaltung von Mailand tätig. Dort formulierte er beispielsweise einen Sozialpakt zur Regulierung des lokalen Arbeitsmarkts, der von der Kommune und den beiden reformistischen Gewerkschaften CISL (Confederazione Italiana del Lavoro) und UIL (Unione Italiana del Lavoro) unterzeichnet wurde.

Er galt außerdem als einer der Ideengeber Für eine Reform des Artikels 18 im so genannten Arbeiterstatut, das seit 1970 den Kündigungsschutz festlegt. Der Streit um die befristete Aufhebung der Pflicht zur Wiedereinstellung gekündigter Lohnabhängiger hat sich längst zur Machtprobe zwischen der Regierung unter Ministerpräsident Silvio Berlusconi und den drei großen Gewerkschaftsverbänden zugespitzt.

Die über die Reform des Kündigungsschutzes hinaus einschneidenden Änderungen im Arbeitsrecht und die weitgehend zu Lasten der Lohnabhängigen gehende Finanzierung der Rentenfonds traten dabei immer mehr in den Hintergrund. Ebenso die anhaltende Mobilisierung der alternativen Basisgewerkschaften, die bereits Mitte Februar einen landesweiten Streik organisierten, der sich explizit gegen die Kriegs- und Sozialpolitik der italienischen Regierung richtete. Die Protagonisten in diesem symbolisch aufgeladenen Schaukampf um den Artikel 18 sind der durch die die linksliberale Bürgeropposition der girotondi (Ringelreihen) verunsicherte Berlusconi und sein Widerpart, Sergio Cofferati vom Gewerkschaftsverband CGIL (Confederazione Generale Italiana del Lavoro).

In diesem Klima wirkte der Anschlag der Brigate Rosse, als käme er einer von allen Seiten belagerten Regierung wie gerufen. Tatsächlich ließen die verschiedenen Chargen Berlusconis nichts unversucht, um eine Verbindung zwischen der hitzigen Debatte über das Arbeiterstatut und dem Mord an Biagi herzustellen. Die Gewerkschaften, allen voran die CGIL, werden von Maroni, dem Lega Nord-Vorsitzenden Umberto Bossi und Berlusconi nun beschuldigt, die Terroristen indirekt unterstützt zu haben.

Dennoch fand am 23. März in Rom mit über zwei Millionen Teilnehmern eine der größten Demonstrationen der europäischen Nachkriegsgeschichte statt, die allerdings durch das Attentat schwer belastet wurde. Gegen das Gespenst des Terrorismus wurden wieder die aus den siebziger Jahren bekannten Appelle zur nationalen Einheit bemüht, und Teile der unter roten Fahnen versammelten Massen stimmten die italienische Nationalhymne an. Die Proteste sollen jetzt noch ausgedehnt werden. Für den 16. April rufen unter der Führung Cofferatis alle Organisationen der italienischen Arbeiterbewegung und der Zivilgesellschaft gemeinsam zu einem Generalstreik auf.

Es gibt tatsächlich Gründe, den Brigate Rosse zu unterstellen, wenn schon nicht von irgendwelchen dunklen Kräften ferngesteuert zu sein, dann immerhin mit ihren Aktionen maßgeblich dazu beizutragen, dass jedweder Ansatz einer autonomen Klassenbewegung erstickt wird. Der Fahrplan, den die Brigate zu ihrer Revolution aufgestellt haben, deckt sich nämlich nicht immer mit den Erfordernissen von Bewegungen, die sich über ihre Ziele erst noch verständigen müssen.

Liest man das 26 Seiten starke Kommunique, das die Brigate Rosse ihrer Leiche per Internet hinzufügten, wird man kaum einen Hinweis darauf finden, dass sie anderes beabsichtigen, als den Rhythmus des Klassenkampfs in ihrem Sinne zu beeinflussen. Das Gegenteil, nämlich auf die reale Dynamik der Kämpfe einzugehen, hätte für sie auch keinen Sinn.

Ganz in der Kontinuität der »alten« Brigate Rosse, die etwa der kulturrevolutionären Bewegung von 1977 nicht die geringste Aufmerksamkeit schenkten, kümmern sich die neuen bewaffneten Kämpfer ebenfalls keinen Deut um Seattle oder Toni Negri. In ihrem Text ist auch kein einziges Wort aus dem Lexikon des Postfordismus zu finden. Ist bei den Disobbedienti oder in den Sozialen Foren bevorzugt von realer Demokratie und Multitude die Rede, schreiben die Brigate Rosse lieber von der Diktatur des Proletariats. Sie reden nicht vom Empire, sondern vom Imperialismus und der imperialistischen Staatenkette. Ihre Analyse beschränkt sich auf eine statische ökonomische Zustandsbeschreibung des kapitalistischen Systems.

Die Brigate Rosse denken in langen strategischen Zeitspannen. Ihre Aktion, drei Jahre nach der Ermordung des Beraters des damaligen Sozialministers, Massimo D'Antona, heiligt der Zweck des Aufbaus einer wirklich kämpfenden kommunistischen Partei. Diese soll alle reformistischen Ansprüche auf die Arbeiterklasse abweisen und sie schließlich, in verschiedenen Phasen des Klassenkriegs, zur Revolution führen.

Auch der Mord an d'Antona ereignete sich auf dem Höhepunkt einer gesellschaftlichen Mobilisierung, die sich gegen den auch vom italienischen Boden aus geführten Nato-Krieg gegen Jugoslawien richtete. Die jetzige Phase des Klassenkriegs stehe, so ist in dem Dokument der Brigate Rosse zu lesen, unter dem Zeichen einer Neusammlung der revolutionären und proletarischen Kräfte, die sich unmittelbar an die Phase des strategischen Rückzugs der achtziger Jahre anschließe.

Natürlich zirkulieren in der Linken nun Verschwörungstheorien, die das Phänomen der Brigate Rosse allem anderen zuschreiben wollen, nur nicht dem eigenen Glauben an ein autoritäres Schema des Klassenkampfs, das sich in vielen Residuen des Marxismus/Leninismus oder Antiimperialismus finden lässt, die es auch in Italien noch im Übermaß gibt.

So wollen einige herausgefunden haben, dass bestimmte Wendungen in der Erklärung der Brigate auf eine Übersetzung des Textes aus dem Amerikanischen deuten. Somit würden die USA in einer Neuauflage der Strategie der Spannung, wie schon einmal bei der Entführung Aldo Moros, auf die Brigate Rosse setzen.

Abgesehen davon, dass es bislang keinen einzigen stichhaltigen Hinweis auf eine Unterwanderung der »alten« Brigate Rosse durch einen ausländischen Geheimdienst gibt: Wen hat nicht schon mal beim Lesen eines linken Strategiepapiers das Gefühl beschlichen, es sei etwas ungelenk aus irgendeiner exotischen Sprachwelt übersetzt worden?