Srebrenica-Untersuchungsbericht

Einladung zum Massaker

»Weiterwursteln« - mit dieser ungewöhnlichen Vokabel beschreibt der Srebrenica-Untersuchungsbericht des »Niederländischen Instituts für Kriegsdokumentation« die westliche Interventionspolitik im Bosnien-Krieg von 1992 bis 1995. Im Falle Srebrenicas war es ein »Weiterwursteln« mit verheerender Konsequenz. Zwischen 6 000 und 8 000 bosnische Muslime - die meisten von ihnen Angehörige der bosnisch-muslimischen Armee - wurden im Juli 1995 von Einheiten der bosnischen Serben ermordet. Wenn es um die Identifikation der Täter geht, hilft kein Deuteln an historischen Wahrheiten, doch eine Vielzahl von Faktoren hat dazu beigetragen, dass der bosnisch-serbische General Ratko Mladic das Massaker durchführen konnte.

Der rund 7 500 Seiten starke Bericht macht eindeutig die niederländischen Uno-Schutztruppen in Srebrenica, die seltsame Kommandostruktur der damals im Einsatz befindlichen Unprofor und das orientierungslose Vorgehen der ambitionierten westlichen Staaten für die Tat mitverantwortlich.

So sei das niederländische Kontingent mit ungenügender Ausrüstung und unzureichenden Informationen in einen Einsatz ohne durchschaubares Mandat geschickt worden. Vor allem kritisieren die niederländischen Historiker, dass schon die Existenz einer »Schutzzone« bloße Illusion gewesen sei.

Dieser Begriff entstand, als der französische Uno-General Philippe Morillon im Jahre 1993 bei einem Besuch in Srebrenica von der verängstigten örtlichen Bevölkerung kurzerhand gefangen genommen worden war. Er musste damals seinen Entführern versprechen, Srebrenica niemals an die bosnischen Serben auszuliefern.

Allerdings sicherte der gleiche General zwei Jahre später, im Juli 1995, den bosnischen Serben unter General Mladic zu, dass es zu keinen Luftschlägen der Nato gegen die bosnisch-serbische Armee im Falle einer Invasion Srebrenicas kommen würde. Die Bedingung: Mladic musste Morillon die französischen Uno-Soldaten, die er zuvor als Geiseln genommen hatte, wieder übergeben. Das separate Friedensangebot von Morillon war also auch ein wesentlicher Faktor und konnte von Mladic geradezu als Einladung für das anschließende Massaker verstanden werden.

Aber auch das Verhalten der bosnisch-muslimischen Armee, die aus militärischen Gründen bereit war, die Bewohner von Srebrenica zu opfern, trug zu dem dramatischen Ereignis bei. So liegen dem niederländischen Institut Beweise dafür vor, dass Einheiten der bosnischen Muslime von Srebrenica aus immer wieder die bosnisch-serbische Armee angriffen, um einen Vorstoß der Serben auf Sarajevo zu verhindern. Dies habe die Serben schließlich zum Angriff auf Srebrenica »provoziert«.

Interessant ist der Bericht aber nicht nur, weil er die Verantwortung aller beteiligten Akteure für das Verbrechen untersucht. Sicherlich wird der Bericht auch auf den Prozess gegen Milosevic in Den Haag Auswirkungen haben. Vielleicht wird er sogar die Anklage gegen den ehemaligen jugoslawischen Präsidenten wegen Völkermords im Bosnien-Krieg zu Fall bringen können. Milosevic sei nicht für die ethnischen Säuberungen in Bosnien verantwortlich, heißt es darin. Schließlich gebe es »keine Hinweise auf eine Verwicklung Belgrads« in den Fall Srebrenica, schreiben die Autoren. Vielmehr habe Ratko Mladic die Gunst der Stunde in jenen Julitagen ausgenutzt.