Krieg, Propaganda, Projektion

Racak und Jenin

Wenn deutsche Politiker von Karl Lamers und Norbert Blüm über Guido Westerwelle bis Gerhard Schröder von »humanitärer Katastrophe«, »Vernichtungskrieg« und »deutschen Schutztruppen« reden, sollten deutsche Linke gewarnt sein. Beim letzten Mal bedeutete dies die Zerschlagung Jugoslawiens, die endgültige Wiederzulassung des deutschen Militärs beim Ordnen der Welt und ein von Juden »gesäubertes« Kosovo. Damals gab es noch Protestkundgebungen gegen die »Bomben auf Belgrad«. Inzwischen jedoch demonstriert das Gros der deutschen Linken gemeinsam mit der Hizbollah, der Hamas und anderen Freunden der Emanzipation der Welt von den Juden gegen den »Faschisten« Sharon, der einen »Holocaust« am »palästinensischen Volk« begehe.

Neuester Schauplatz der »israelischen Massaker« an »unbewaffneten Zivilisten« ist das palästinensische Flüchtlingslager Jenin im Westjordanland. Das Camp wurde im Rahmen der »Operation Schutzschild« in tagelangen heftigen Kämpfen von der israelischen Armee (IDF) eingenommen. Wie viele Palästinenser getötet wurden, weiß noch niemand.

Doch noch während die Kämpfe andauerten, wussten verschiedene Minister der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) und Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch von »Hunderten toter Zivilisten« in Jenin zu berichten; die IDF habe dort ein »Massaker« angerichtet. Viele europäische Medien sind darauf bereitwillig angesprungen. Weit weniger beliebt in deren Berichterstattung waren Meldungen aus IDF-Kreisen, wonach die palästinensischen Kämpfer Häuser und Straßen mit Sprengfallen präpariert hatten oder dass die Kämpfe erst abflauten, als den Militanten die Munition ausging.

Immer wieder wird zudem angeprangert, die IDF lasse Krankenwagen mit Verwundeten nicht passieren oder beschieße sie sogar. Dass mit Krankenwagen wiederholt auch Waffen, Munition und Militante transportiert wurden, wird in der Regel ebenso wie der Umstand, dass die PA mehrfach israelische Angebote zur Versorgung der Verletzten abgelehnt hat, als »israelische Propaganda« abgetan - schließlich stammten die Meldungen aus israelischen Ministerien. Warum aber die Behauptungen der einen Kriegspartei glaubwürdiger sein sollen als die der anderen, bleibt offen.

Inzwischen berichtete Amos Oz, israelischer Schriftsteller und langjähriges Aushängeschild der Friedensbewegung, von zwei mit ihm befreundeten Soldaten. Sie sind Mitglied der Friedensorganisation Peace Now und waren als Reservisten in Jenin eingesetzt. »Beide haben mir eindringlich versichert, dass in Jenin kein Massaker stattgefunden hat«, so Oz. Schon die Tatsache, dass die IDF in Jenin viele Reservisten einsetzte, spricht dagegen, dass dort Massaker begangen wurden.

Es ist sicher traurig, dass bei den Gefechten in Jenin auch Zivilisten ums Leben kamen. Doch auf welche Weise das geschah und wie viele es waren, darüber kann vorläufig auch Terje Roed-Larsen, der Sondergesandte der Uno, nichts wissen. Das muss er auch nicht, um mit seinem Wort »horrifying beyond belief« (etwa: »schrecklich jenseits aller Vorstellungskraft«) die Phantasie der »Weltöffentlichkeit« anzuregen. Dass Israel nun unter dem Druck der Uno, der EU und einer schwankenden US-Regierung einer internationalen Untersuchungskommission zugestimmt hat, könnte den ersten großen Sieg für Yassir Arafat und seine Strategie einer Internationalisierung des Krieges bedeuten.

Vor drei Jahren wurde nach ähnlich obskuren »Massakern« im kosovo-albanischen Racak eine internationale Untersuchungskommission eingesetzt. Es folgten - ohne Veröffentlichung der Untersuchungsergebnisse - die Konferenz von Rambouillet und das Bombardement Jugoslawiens. Ariel Sharon, »Israels Milosevic« (Süddeutsche Zeitung), muss sich möglicherweise auf einiges gefasst machen, denn die Propagandisten einer internationalen Eingreiftruppe stehen längst bereit. In Paris, Berlin, New York. Und, anders als 1999, auch in der Linken.