In der spanischen Region Galizien

Arme Patrioten

In der spanischen Region Galizien setzen Linke und Konservative auf den Regionalismus. von gaston kirsche

Galizien zuerst« hieß das Motto des Nationalistischen Galizischen Blocks (BNG), der am vergangenen Wochenende seine zehnte Vollversammlung in La Coruña abhielt. Der BNG, dessen Logo eine galizische Fahne mit einem roten Stern ziert, ist ein von der kommunistischen Union des galizischen Volkes (UPG) dominiertes Wahlbündnis.

Seit seiner Gründung 1982 ist der Block die zweitstärkste politische Kraft in Galizien. Auch bei den letzten Regionalwahlen im vergangenen Oktober erreichte das Bündnis mit 23 Prozent wieder das zweitbeste Ergebnis. Allerdings musste der BNG zum ersten Mal einen leichten Stimmenrückgang hinnehmen. Die absolute Mehrheit erhielt die spanische Volkspartei (PP), deren Spitzenkandidat Manuel Fraga seit 13 Jahren in Galizien regiert. Die lokalen Sozialdemokraten der PSOE rangieren an dritter Stelle. Der BNG regiert in vielen größeren Städten Galiziens, darunter in Ferrol, Pontevedra und Vigo.

Die galizischen Nationalisten berufen sich wie die Basken und Katalanen auf die seit 1978 in der Verfassung festgelegten Rechte der autonomen Regionen. Das Gallego, das während der Franco-Diktatur bis 1976 verboten war, ist ebenso wie das Euskara und das Catalan als regionale Amtssprache neben dem Spanischen anerkannt.

Im Gegensatz zu den beiden anderen Regionen gehört Galizien jedoch zu den ärmsten Gegenden Spaniens. Während die baskischen und katalanischen Industrieregionen zahlreiche Arbeitskräfte aus Südspanien anzogen, müssen viele Galizier auswandern, um einen Job zu finden.

Etwa drei Millionen Menschen leben derzeit in Galizien, ebenso viele haben im vergangenen Jahrhundert die Region verlassen. Und die Aussichten werden nicht besser. Besonders im Bereich des Fischfangs, dem wichtigsten Wirtschaftszweig der Küstenprovinz, sinken seit Jahrzehnten die Erträge. Zudem ging im letzten Jahrzehnt jede zweite Stelle in der Landwirtschaft verloren. Ein Fünftel der Bevölkerung lebt unter der offiziellen Armutsgrenze, und die Arbeitslosenquote liegt mit 18 Prozent weit über dem spanischen Durchschnitt.

Die wirtschaftlichen Probleme der Region sind ein willkommenes Agitationsfeld für galizische Nationalisten wie die UPG. Die Partei wurde 1964 während der Franco-Diktatur als »patriotische kommunistische Partei« gegründet, um »die Interessen der arbeitenden Klasse unserer Nation zu verteidigen«. Heute geht die UPG davon aus, dass Galizien politisch und wirtschaftlich eine vom spanischen Zentralstaat ausgebeutete Nation sei. »Ausschließlich für die Interessen Galiziens wollen wir die Entwicklung des nationalen Bewusstseins fördern«, formulierte Francisco Rodríguez, einer der drei Abgeordneten des BNG im spanischen Parlament und Mitglied der UPG, das Anliegen seiner Partei.

Der Sprecher des BNG, Xosé Manuel Beiras, ist Mitglied der kleinen sozialdemokratischen Partei, die im Gegensatz zur UPG eine Unabhängigkeit Galiziens von Spanien ablehnt. Bei vielen anderen Forderungen aber herrscht Einigkeit im BNG. Alle Parteien verlangen von der Zentralregierung eine stärkere Förderung des Gallego als Alltags- und Amtssprache, die Abtretung politischer Kompetenzen an die Region und eine weitreichende Selbstregierung. Soziale Konflikte beurteilen die Nationalisten meistens nach nationalen Kriterien.

So erklärte Beiras, »dass die spanische Regierung Brigaden der Zerstörung in die Region schickt, die getarnt sind mit Uniformen der Xunta«, wie die Regionalregierung auf galizisch heißt, »um unsere strategischen produktiven Sektoren zu sprengen.« Tatsächlich hatte die von der Regierung in Madrid in den neunziger Jahren beschlossene »Modernisierung« vor allem die Konsequenz, dass die Werften und die meisten ehemaligen staatlichen Industriebetriebe geschlossen wurden.

Diese Umstrukturierung war aber eine Auswirkung des spanischen EU-Beitritts von 1986, in dessen Folge Subventionen und Staatsbetriebe im ganzen Land abgebaut werden mussten. Selbst eine direkte galizische Vertretung in der EU-Kommission hätte an dieser Entwicklung wenig ändern können. Dennoch fordern alle Regionalisten in Spanien derzeit eine Beteiligung an den spanischen Delegationen in den EU-Institutionen. Und auch der BNG verlangte auf seiner Vollversammlung jetzt erneut »eine direkte Vertretung in Europa«, um unabhängig von der spanischen Zentralregierung bei den Verteilungskriterien für EU-Fördermittel oder bei Verträgen über Fischfangquoten mitentscheiden zu können.

Auf der Versammlung des BNG wurde zwar festgestellt, dass »sich die sozioökonomische Situation in Galizen während der seit mehr als 20 Jahren bestehenden autonomen Verwaltung nicht verbessert hat«. Die Ursache liegt nach Meinung der Regionalisten jedoch darin, dass »die galizische PP Galizien nicht als eine historische Nation verteidigt, sondern sich den Interessen der Staatsregierung untergeordnet« habe. Der galizische Block will daher die Autonomierechte weiter ausbauen. Von sozialem Widerstand ist nur insofern die Rede, als die galizische Gesellschaft gestärkt werden soll. »Die positiven Potenziale der galizischen Gesellschaft ermöglichen dem BNG das Projekt der Nation.«

Neu ist hingegen, dass der BNG nun verstärkt auf eine Mitarbeit in den Institutionen setzen und seine Fundamentalopposition gegenüber der konservativen Volkspartei aufgeben will. Ein Grund für den Kurswechsel liegt vermutlich auch darin, dass die Linksnationalisten mehr konservative Wähler für sich gewinnen wollen.

Denn auch die Volkspartei gibt sich den Linksnationalisten gegenüber mittlerweile aufgeschlossener. Fraga erklärte Ende April, er sei zu einem Dialog bereit, schließlich wolle er vor allem den Separatismus und den Kommunismus bekämpfen. Mit den gemäßigten Nationalisten, die die spanische Verfassung respektierten, würde er hingegen sprechen.

Mittlerweile kokettiert Fraga sogar damit, die Idee einer eigenen Vertretung für Galizien in der EU zu übernehmen. Auf dem letzten Kongress der galizischen PP hielt ein Neffe von Fraga ein entsprechendes Referat mit dem Titel »Galizismus im 21. Jahrhundert«. Nach den Linken haben nun auch die Konservativen den Regionalismus als zugkräftiges Thema für sich entdeckt.