Streiken tut weh

Mit flexiblen Aussperrungen wollen die Unternehmen auf den »Flexi-Streik« der IG Metall reagieren.

Alle Räder stünden still, wenn, ja wenn nur das »flexible« Streikkonzept nicht wäre. »Flexi-Streik«, so lautet das neue Zauberwort der Gewerkschaften. Denn man will dort streiken, »wo es richtig weh tut«, so hat es IG-Metall-Chef Klaus Zwickel angekündigt. »Völlig unberechenbar« wolle man sein und anders als früher nicht mehr einzelne Firmen auf Dauer bestreiken, sondern flexibel zwischen Ausstand und Arbeit wechseln.

Seit dem Anfang dieser Woche ist es soweit. Erstmals seit sieben Jahren wird in der Metall- und Elektroindustrie gestreikt. In 21 Betrieben in Baden-Württemberg mit rund 50 000 Beschäftigten steht zeitweilig die Produktion still, auch bei Daimler-Chrysler in Sindelfingen und bei Porsche in Zuffenhausen.

Jeder Streiktag dürfte die Autoindustrie rund 300 Millionen Euro kosten: »Das ist auch gut so. Je schmerzhafter ein Streik ist, desto schneller bringen wir die Arbeitgeber zum Einlenken«, sagte Zwickel am Sonntag. Mit dem neuen Streikkonzept sollen aber nicht nur die Unternehmer getroffen werden. Man hofft auch darauf, so genannte »kalte Aussperrungen« zu verhindern.

Immerhin wird das Konzept von den meisten Gewerkschaftsmitgliedern unterstützt. »Die Kollegen wollen kräftig mehr Geld, notfalls eben durch Streiks«, hatten Betriebsräte zuvor berichtet. Dies war von den Urabstimmungen in Baden-Württemberg und Berlin-Brandenburg bestätigt worden.

Ansonsten kann die Gewerkschaft mit wenig Verständnis rechnen, weder die Lohnforderungen noch die Arbeitskämpfe werden unterstützt. Im Gegenteil. Die Forderung nach 6,5 Prozent mehr Lohn stößt auf heftigen Widerstand. Und zwar nicht nur bei den Unternehmen, sondern fast überall in der Politik, den Medien und der Wissenschaft.

Einen »Irrsinn mit Methode« will die Süddeutsche Zeitung entdeckt haben. Und der Tagesspiegel sieht im Arbeitskampf gar »ein Unglück für die Konjunktur«. »Wer sich aber heute auf das Spiel mit Gruppenegoismus einlässt«, warnt die Zeit, »kommt darin um.«

Selbst wer nichts von »wirtschaftlichen Dingen« versteht, glaubt zu wissen, dass die Gewerkschaftsforderungen »nicht zu bezahlen« seien und dass sie die Rezession verschlimmern würden. Für einen, der sich in »wirtschaftlichen Dingen« etwas besser auskennen dürfte, nämlich Horst Siebert, den Präsidenten des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel, ist bereits das Angebot der Metall-Arbeitgeber von 3,3 Prozent mehr Lohn und einer Einmalzahlung von 190 Euro zu hoch. Und auch das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) versteht bei Lohnforderungen keinen Spaß mehr.

Mit dem Streik hofft die IG Metall indes aus der bisherigen Verteilungslogik auszubrechen, derzufolge Lohnerhöhungen sich am jährlichen Produktivitätsfortschritt und der Preissteigerungsrate orientieren müssten. Ein Prozent Produktivität plus zwei Prozent Inflation begrenzen demnach die Lohnerhöhung bei drei Prozent - Schluss, Aus. Gibt man sich mit weniger als drei Prozent zufrieden, ist ein Beschäftigungsbonus drin. Wenn nicht, würde jeder Prozentpunkt mehr die Zahl der Beschäftigten empfindlich verringern.

Sollte bei dem Streik sogar eine »Vier vor dem Komma« erkämpft werden, wovon viele IG-Metaller ausgehen, erwartet Ferdinand Dudenhöfer, der Leiter des Center Automativ Research in Recklinghausen, dass in den kommenden fünf Jahren jeder zehnte Arbeitsplatz wegfällt.

Der IG-Metall-Vize Jürgen Peters erklärt dagegen, dass »die Lohnzurückhaltung der vergangenen Jahre« keine Jobs gebracht habe. Deshalb wolle man »durch kräftige Lohnerhöhungen die inländische Nachfrage stärken. Es ist doch die Schwäche der Binnennachfrage, die für die derzeitige Konjunkturkrise verantwortlich ist«, so der Gewerkschafter.

Wegen der bisherigen Lohnpolitik sehen sich die Gewerkschaften nicht nur um den »beschäftigungspolitischen Bonus« gebracht, sondern immer mehr von Möglichkeiten der Einflussnahme und von den eigenen Mitgliedern abgeschnitten. Dass sich daran etwas ändern muss, darin sind sich alle Gewerkschafter einig, Modernisierer wie Traditionalisten. Denn »nie gab es so viele Arbeitslose und nie so viele Milliardäre«, agitiert Peters. Es gehe immer ungerechter zu. Überall würden neoliberale Projekte entstehen, die diese Gesellschaft weiter spalten.

Das Positionspapier der IG Metall zur Bundestagswahl stellt nüchtern fest: »Im Mittelpunkt der Regierungspolitik stehen nicht Arbeit, Gerechtigkeit und Innovation, sondern die Spar- und Konsolidierungspolitik ... Trotz vieler richtiger Einzelmaßnahmen ist es der rot-grünen Regierung nicht gelungen, ein sichtbares, abgestimmtes und die Menschen bewegendes Reformprojekt für Arbeit und soziale Gerechtigkeit zu verfolgen.«

Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt bestimmten, schreibt Michael Wendl, Verdi-Vize in Bayern, inzwischen die tarifpolitische Stärke oder Schwäche der Gewerkschaften. Und nach Aussagen von Industriesoziologen haben sich die neuen Industriekonzepte als Neotaylorismus entpuppt. Da bleibt den Gewerkschaftern aller Fraktionen kaum etwas anderes übrig, als wieder herkömmliche Schutzfunktionen zu übernehmen. Und das bedeutet eben Streik.

Allerdings nehmen die Streikenden dabei ein hohes Risiko in Kauf. Der Gesamtmetall-Präsident Martin Kannegiesser stellte seinen Verband auf den Arbeitskampf ein. Er habe seine Verhandlungsbereitschaft unter Beweis gestellt. »Irgendwann ist Schluss.« Auf das »flexible Streikkonzept« werde man mit einer »flexiblen Aussperrung« zu antworten wissen. »Wenn sich die Unternehmen der deutschen Wirtschaft solidarisch zeigen mit den vom Streik betroffenen Betrieben, dann werden die Arbeitgeber die nötige Widerstandskraft haben, um diesen Kampf durchzustehen«, sagte auch Michael Rogowski, der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.

Das Institut der deutschen Wirtschaft sieht angesichts dieser Situation schwarz. Der Volkswirtschaft würde durch einen fünftägigen Streik von 250 000 organisierten Arbeitnehmern ein Schaden von 1,2 Milliarden Euro entstehen. Dagegen empfehlen die Ökonomen der Deutschen Bank Gelassenheit. Die Wachstumseinbußen betrügen im zweiten Quartal selbst unter Berücksichtigung der Produktionsausfälle für andere Sektoren höchstens 0,1 Prozentpunkte.

Tut der Streik also doch nicht so weh, wie es sich Klaus Zwickel erhofft? Wegen der niedrigen Kapazitätsauslastung der Industrie würden sich, glaubt DIW-Konjunkturexperte Gustav Horn, die Produktionsausfälle leichter verschmerzen lassen. Die Gewerkschaften könnten den »Flexi-Streik« beliebig lange durchhalten, behauptet der baden-württembergische IG-Metall-Vorsitzende Bertold Huber.

»Wenn der Rubikon der Mobilisierung überschritten ist«, meint Huber, »dann bedeutet das eine neue Dynamik.« Von diesem Schwung versprechen sich auch die Arbeiter in der Druckindustrie und im Baugewerbe einiges. In der vergangenen Woche legten die Druckunternehmen ein Angebot für die rund 220 000 Beschäftigten vor. Magere 2,5 Prozent wurden geboten. Und auch in den Bau-Tarifverhandlungen ging man ergebnislos auseinander. Nicht minder erwartungsvoll ist die gewerkschaftliche Linke. Sie scheint auf italienische Verhältnisse zu hoffen, der italienische Generalstreik hat es ihnen angetan.

Am 23. März hatte Sergio Cofferati, der Generalsekretär des italienischen Gewerkschaftsbundes CGIL, die Grenzlinie zwischen Sparen und entwürdigender Ausgrenzung markiert: »Es geht nicht darum, jemanden zum Verzicht auf materielle Güter aufzufordern, oder vorübergehend auf die Befriedigung von Bedürfnissen zu verzichten. Es geht um den Verzicht auf Einkommen und Arbeit ohne jeden Grund, also Maßnahmen, die die Würde des Menschen verletzen.«