Der Druck auf Arafat wächst

Katerstimmung

Während am vorvergangenen Wochenende mehr als 100 000 Israelis für Frieden und ein Ende der Besatzung demonstrierten, herrscht in den palästinensischen Gebieten Katerstimmung. Die Islamisten sind sauer auf Yassir Arafat, weil er öffentlich dazu aufrief, die Selbstmordattentate in Israel einzustellen, die Linken hingegen sind empört über den so genannten Deal von Ramallah. Um seine Bewegungsfreiheit wiederzuerlangen, stimmte der PLO-Vorsitzende der Verlegung von fünf PFLPMitgliedern zu, die verdächtigt werden, im vergangenen Jahr den israelischen Minister Rechavam Ze'evi erschossen zu haben. In den palästinensischen Gebieten stellen sich nach der »Operation Schutzwall« inmitten der Trümmer immer mehr Palästinenser die Frage, wie und ob der Kampf gegen Israel fortzuführen sei.

Arafat steht nicht mehr nur unter internationalem Druck. Denn die von Israel zusammengestellte »Akte Arafat« weist detailliert nach, dass die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) direkt an der Finanzierung und der Ausführung von Selbstmordattentaten beteiligt war. Auch intern wird die Kritik an ihm lauter. So ist sein kürzlich gegebenes Versprechen, neben durchgreifenden Reformen in den Autonomiegebieten endlich die für 1999 vorgesehenen Neuwahlen durchführen zu lassen, auch als eine Reaktion auf den wachsenden Unmut der Bevölkerung zu verstehen, die der Regierung völliges Versagen während der »Operation Schutzwall« vorwirft.

Mehr noch als Arafat selbst trifft diese Kritik seine Minister, etwa Nabil Scha'at, der sich im April in Beirut aufhielt, ohne sich öffentlich über den israelischen Einmarsch zu äußern, während manche seiner Kabinettskollegen unter Hausarrest standen und über keine Kommunikationsmittel verfügten. Undenkbar wäre vor Monaten noch gewesen, was kürzlich in Ramallah geschah. Ein Minister, Hannan Asfour, wurde öffentlich zusammengeschlagen. Arafat sagte aus Angst um seine Sicherheit einen Besuchstermin in Jenin ab, wo er für das so genannte Massaker der israelischen Armee mitverantwortlich gemacht wird.

Die Kritik an Arafat richtet sich allerdings nicht gegen die Intifada, wie etwa die Kandidatur des Politologieprofessors Abdel Sattar Qassem aus Nablus zeigt, der ankündigte, bei der kommenden Präsidentschaftswahl gegen Arafat antreten zu wollen. Quassem verteidigte kürzlich in einer der Hamas nahe stehenden Zeitung Selbstmordattentate als legitime Form des Widerstands gegen die israelische Besatzungspolitik und sprach Israel das Existenzrecht ab.

Die allgemeine Stimmung beschreibt Subhi al-Zobaidi in der Zürcher Wochenzeitung Woz: »Wir haben autokratische Behörden, die nicht mit ihrem Volk sprechen und die gewählten VolksvertreterInnen nicht konsultieren. Arafat entscheidet über alles, ob wichtig oder nicht. Dazu kommt auf der Seite der Opposition eine ineffektive und archaische Linke, die nicht zu unterscheiden ist von religiösem Fundamentalismus. Und wir haben Hamas und Jihad als dominierende Oppositionsgruppierungen, ohne Überschneidung mit den Behörden.«

Zobaidi äußert die Hoffnung, nach dem Einmarsch der israelischen Armee, der »alle Schwächen der palästinensischen Gesellschaft ans Tageslicht gebracht« habe, könne nun jene Mehrheit der Palästinenser, die weder hinter der Hamas noch hinter der korrupten Führung stünde, auf wirkliche Reformen drängen. Aber selbst hohe Fatah-Funktionäre wie Hassan Khreisheh erklären inzwischen resigniert, dass »Arafat nur Arafat liebt und einzig nach seinem persönlichen Vorteil strebt«.

Ohne einen grundlegenden Wandel der PA aber werden vermutlich immer mehr Israelis in Zukunft den Kurs Benyamin Netanyahus unterstützen, der gegen Ariel Sharon auf dem letzten Likud-Parteitag einen Sieg davontrug, indem er versprach, mit ihm gäbe es keinen palästinensischen Staat. So steht zu befürchten, dass, nachdem er Sharons Sieg 2001 erst ermöglicht hat, Arafat nun zum erfolgreichen Wahlkampfhelfer Netanyahus wird.