Fußball in der US-amerikanischen Sportkultur

Gimme Five

Warum steht der Fußball in der US-amerikanischen Sportkultur im Abseits?

Als Beleg dafür, dass die Amerikaner sich selbst als Herren der Welt verstehen, wird gerne die Behauptung herangezogen, dass sie ihr Baseballfinale schlicht Weltmeisterschaft nennen.

Nun heißt das Ding ja wirklich »World Series«, und der Beweis scheint erbracht. Übersehen wird dabei bloß, dass es sich um das von der New Yorker Zeitung The World im Jahr 1903 erstmals ausgerichtete und nach dieser Zeitung benannte Finalturnier der Sieger der zwei großen Ligen handelt, der National League und der American League.

»Aber das Selbstbewusstsein der Amerikaner ist insoweit angebracht, dass bei den 'Big Four', den vier großen Sportarten Baseball, Football, Basketball und Hockey, also Eishockey, in der Tat die jeweils weltbeste Liga in den USA spielt«, sagt Andrei S. Markovits, Politikwissenschaftler an der University of Michigan. Markovits sprach in der vergangenen Woche in Kaiserslautern auf einer Tagung zur Frage, ob Fußball »unamerikanisch« sei.

Markovits hat gemeinsam mit Steven L. Hellerman gerade eine Studie zum Thema vorgelegt, die im Herbst unter dem Titel »Im Abseits. Fußball in der amerikanischen Sportkultur« auch auf Deutsch erscheint (Hamburger Edition des Instituts für Sozialforschung). Er fragt, warum die schöne These des britischen Historikers Eric Hobsbawm, in der Gegenwart sei Kultur entweder amerikanisch oder provinziell, zwar auf viele Bereiche, den Film, die Musik, den Lifestyle und, doch, ja, auf die Literatur zutrifft, aber ausgerechnet für den Sport keine Geltung hat.

In den USA, einer großen bürgerlichen Nation, die nie den Feudalismus überwinden musste, war der Sport Space schnell gefüllt: Baseball im Sommer, Football im Herbst, Eishockey im Winter, und spätestens als 1891 der beim YMCA angestellte amerikanische Sportlehrer James Naismith das von ihm als Indoor-Sport entwickelte Basketball vorstellte, waren die »Big Four« vollständig und kein Platz mehr für andere Sportarten. Baseball etablierte sich als der eher proletarische Massensport, Football wurde eher zum Sport der Middle Class. Mittlerweile ist Basketball zum Sport unterprivilegierter Schwarzer geworden.

Der Fußball war zwar von Einwanderern früh in die USA gebracht worden, hatte aber nicht nur, was die Platzierung im Sportjahr angeht, keine Chance. Auch sozialstrukturell fand er keine Interessenten. Das Proletariat und die Middle Class hatten schon jeweils andere Präferenzen. Dass sich der Fußball in den USA nicht etablieren konnte, hat, so vermutet Markovits, mit dem Fehlen einer der europäischen ähnelnden Arbeiterbewegung, sprich: einer großen sozialdemokratischen Partei und entsprechenden Gewerkschaften zu tun. Der Fußball ist quasi die Ausdrucksform eines organisierten Proletariats.

Die »Big Four« dominieren immer noch, und im Zeichen der Globalisierung unternehmen Basketball und Football beispielsweise Versuche, auf anderen, vor allem europäischen Märkten zu reüssieren, und in der NHL, der kanadischen und US-amerikanischen Eishockeyliga, sind mittlerweile die besten Spieler aus Russland, Tschechien, der Slowakei, Schweden oder Finnland unter Vertrag. Und für die NBA, die Basketballliga, gilt, dass sie mittlerweile ein weltweit funktionierendes Sichtungssystem hat, dessen Scouts in Augsburg beispielsweise das Talent Dirk Nowitzki entdeckten, der mittlerweile zu den vielleicht fünf besten Spielern der NBA zählt. Die NBA ist ein Weltkonzern, ihre Stars sind Helden der Popkultur und taugen durchaus als Beleg für Hobsbawms These von der entweder amerikanischen oder provinziellen Kultur.

Den europäischen Fußball in die USA zu tragen und dort ähnlich zu popularisieren, wie es mit dem Basketball umgekehrt in Europa spätestens nach dem Auftritt des »Dream Teams« bei den Olympischen Spielen 1992 in Barcelona gelang, hatte man sich in Europa schon öfter vorgenommen.

Einen ersten größeren Versuch unternahm man in den USA Ende der siebziger Jahre. Mit Pele und Beckenbauer wurden die bis heute bekanntesten Fußballer verpflichtet und eine Profiliga aus der Taufe gehoben. »Mir ist es immer gelungen, mich so durchzuschlängeln, da hat niemand etwas erwartet«, sagt Bernd Hölzenbein, 1974 Weltmeister und von 1981 bis 1986 auch zu diesen Pionieren gehörend. »Woher hätte der Druck auch kommen sollen? Bei den Zuschauern, die ins Stadion kamen, hatte das Grillen Vorrang, da störte das Spiel nur. Die Journalisten hatten keine Ahnung, die gingen nur nach der Statistik.«

Einen neuen Versuch, den Sportmarkt USA zu erobern, unternahm der europäische Fußball 1994 mit der Vergabe der WM in die USA. Bis dahin hatten Weltmeisterschaften immer nur in Lateinamerika oder in Europa stattgefunden. Im Gefolge der WM wurde eine neue Profiliga etabliert, die Major League Soccer (MLB).

Tom Dooley, in der Saarpfalz geboren und dank seines amerikanischen Vaters mit zwei Staatsbürgerschaften ausgestattet, ging in die MLB und wurde 1998 Kapitän der US-Nationalmannschaft. »Die Leute haben mittlerweile mehr Ahnung als noch vor 20 Jahren. Mittlerweile kommen, weil auch Immigranten kicken, zu manchen Spielen 20 000 bis 25 000 Leute.« Dooley, der zurzeit Trainer des 1. FC Saarbrücken ist und beabsichtigt, in den USA eine Soccer University zu gründen, sieht aber auch die soziale Verwurzelung des US-Fußballs. »Das sind überwiegend Middle Class Kids, die dort spielen. Nick Bollitieri, der bekannte Tennistrainer, hat in Florida ein Soccer-Internat eingerichtet, aber das können sich ja nur reiche Eltern leisten.« Dabei seien gerade unter den ärmeren Einwanderern, vor allem den Hispanics, große Fußballtalente.

In den USA interessieren sich genauso viele Frauen wie Männer für Fußball. »1990, als wir zum ersten Länderspiel in die USA fuhren, war das mit 500 Zuschauern alles sehr trostlos«, erinnert sich Doris Fitschen, die deutsche Rekordnationalspielerin und dreimalige Europameisterin. »In den USA hat man sich diesbezüglich aber viel einfallen lassen. Der Auftakt war 1996, als bei den Olympischen Spielen in Atlanta die Goldmedaille gewonnen wurde, und der Höhepunkt war die Weltmeisterschaft 1999 im eigenen Land, wo die USA auch den Titel holten. Da spielten wir vor 60 000 Zuschauern.«

Der Frauenfußball in den USA steht in jeder Hinsicht besser da als der Männerfußball. Die Profiliga Wusa und die Nationalelf produzierten mit Mia Hamm einen ersten großen Star, die auch gute Werbeverträge akquirieren konnte. Aber Doris Fitschen, die 2001/02 auch in den USA spielte, verweist darauf, dass die Frauenliga - anders als die Männerprofiligen im Baseball oder Football - nicht die Gesellschaft repräsentiert. »Soccer ist in den USA immer noch kein schwarzer Sport«, sagt Fitschen, die jetzt beim DFB für Marketing zuständig ist, »es gibt kaum schwarze Spielerinnen, und die, die es gibt, sind meist Ausländerinnen. Soccer ist vielmehr auch bei den Frauen ein Middle-Class-Sport. Die gutverdienenden weißen Familien sind es auch, die umworben werden.«

Als Neighbourhood-Sport wie auch an den Colleges wird Fußball gerne gespielt. Aber eine breite Partizipation macht aus einem Sport noch keinen Nationalsport. In Deutschland etwa geben 32 Prozent der Bevölkerung, gefragt nach ihrer sportlichen Betätigung, das Schwimmen an.

»Das ist dann Sport, aber keine Kultur«, sagt Markovits. Damit eine bestimmte Art zum Nationalsport würde, brauche es mehr. Der Sport Space sei - nicht nur in den USA - männlich besetzt, und ein Sport könne nur dann in die nationale Kultur aufsteigen, wenn er zum Guy Talk avanciere, zum Gegenstand von durchaus sportanalytischen Männergesprächen, egal ob am Arbeitsplatz oder in der Kneipe. Das könne vermutlich nur im Bezugsrahmen der Nation gelingen. Ein mehr als nur numerischer Erfolg der Nationalelf in Japan und Südkorea könnte vielleicht den kritischen Punkt markieren, an dem Fußball in den USA zu den »Big Four« aufschlösse. »Ein 5:4-Sieg oder eine 4:5-Niederlage gegen Brasilien in der zweiten Runde«, meint Markovits, das könnte so etwas bewirken.

Dass aus der MLB dann eine World League würde, ist aber selbst dann nicht zu erwarten.