Reaktionen auf Möllemann

Immer einen Schritt voraus

Es gibt in der Linken zwei populäre Formen der Auseinandersetzung mit bürgerlichen Politikern. Zum einen die entlarvende, moralische, gründlich recherchierte: Der Politiker soll in seiner Verlogenheit, Dummheit und Heuchelei vorgeführt werden.

Die andere Form ist die zynische. Sie geht davon aus, dass moralisch-empirische Aufklärung wirkungslos bleibt. Da doch jeder wisse, dass Politiker lügen und korrupt sind, gelte es jene, die ihrem Geschäft besonders unverblümt und hemmungslos nachgehen, als besonderes Beispiel bürgerlicher Politik zu präsentieren. In ihrer Verschlagenheit würden sie die Wahrheit der Bourgeoisie aussprechen, die es bloßzustellen gelte.

An Jürgen Möllemann werden beide Umgangsformen seit Jahren schon erprobt. Vor genau 20 Jahren listete Otto Köhler in seiner konkret-Kolumne »Der hässliche Deutsche« die ganzen kleinen Gaunereien, dummen Sprüche und Omnipotenzfantasien auf, die Möllemann bereits damals hinreichend charakterisierten. Er hat sich nicht geändert: Schon 1982 wollte er UN-Truppen nach Israel schicken, besuchte die salvadorianische Junta sowie das südafrikanische Apartheidsregime und machte Polenwitze.

Als Möllemann 1993 als Wirtschaftsminister wegen einer vergleichsweise harmlosen Affäre zurücktreten musste, reagierte die Linke aber nicht mit Jubel. Damals kursierte ein Bonmot, demzufolge Möllemann unbedingt »seriösen« Politikern wie Richard von Weizsäcker vorzuziehen sei. Weizsäcker vertrete so glaubhaft eine moralisch korrekte Politik, dass man, auf seine Integrität vertrauend, ihm auch in den nächsten Krieg folgen würde. Mit einem korrupten Typen wie Möllemann sei jedoch kein Staat zu machen, dem glaube niemand.

Möllemann hat aber alles überlebt. Jede Form der Kritik und der Denunziation perlt an ihm ab. Dass er einst die Junta hofierte und heute in Palästina einen antikolonialen Befreiungskampf zu entdecken glaubt, dass er früher rassistische Witzchen machte und heute Jamal Karsli solidarisch in Schutz nimmt, dass er vor 20 Jahren als Rechtsliberaler galt, dann in den neunziger Jahren von einer sozialliberalen Koalition träumte und heute vermutlich von der absoluten Mehrheit - das alles ist egal und gilt seinen Fans und Wählern nicht als Prinzipienlosigkeit oder Nonsens, sondern als Ausdruck davon, dass hier ein Politiker in immer neuen Anläufen die Tuchfühlung mit dem Volk nicht verlieren will.

Einmal mehr erweist sich, dass der faschistoide Politikertypus gar nicht so sehr den Deckmantel bürgerlicher Souveränität braucht, den die Linke ihm dann volkspädagogisch entreißen kann. Dass Möllemann wie ein kleiner Ganove agiert, wird vom interessierten Publikum goutiert und als Revolte gegen das Establishment verstanden.

Der Linken, die in ihrer Kritik am bürgerlichen Politiker noch viel zu sehr an den bürgerlichen Verkehrsformen hängt, sollte auffallen, dass Möllemann die Wahrheit der Bourgeoisie nicht nur ausspricht und repräsentiert. Er schafft sie vielmehr selbst, etwa indem er Michel Friedman antisemitisch anpöbelt und sich gleichzeitig vom Antisemitismus entschieden distanziert. Indem er also eine maximale Angriffsfläche bietet, aber nur unter der Bedingung, dass »die da oben« alles mutwillig falsch verstehen, erschließt er ein neues Feld der Auseinandersetzung.

Und auf diesem Feld bestimmt er die Art und Weise, wie sein Verhalten sanktioniert wird. Möllemann ist seinen Kritikern immer einen Schritt voraus. Die entlarvende Kritik agiert retrospektiv, die zynische hält den Ist-Zustand fest. Möllemann denkt aber an die Zukunft.