Frankreich: Pläne der Konservativen

Allez les bleus

Die neue konservative Regierung in Paris will härter gegen »Unruhestifter« vorgehen und die Steuern senken.

Die »blaue Welle« dominiert seit der vergangenen Woche wieder das politische Leben in Frankreich. Als »la vague bleue« bezeichnet man seit dem frühen 20. Jahrhundert einen deutlichen Sieg der konservativen Parteien. Tatsächlich gewann die bürgerliche Rechte, angeführt von Präsident Jacques Chirac, im zweiten Durchgang der Parlamentswahlen 399 der insgesamt 577 Sitze. Die von ihm nach seiner Wiederwahl im Mai ernannte Übergangsregierung unter dem Wirtschaftsliberalen Jean-Pierre Raffarin wurde bestätigt. Doch nur knapp 30 Prozent der volljährigen Französinnen und Franzosen stimmten für den Bürgerblock. Eine Wahlenthaltung von beinahe 40 Prozent - ein historischer Rekord - und das französische Wahlrecht sorgten für eine komfortable rechte Mehrheit in der Nationalversammlung.

Die neue konservative Regierung hatte sofort eine einfache Erklärung für die Abstinenz parat. Die Machtteilung zwischen der ehemaligen Linkskoalition unter Lionel Jospin und dem konservativen Staatspräsidenten Chirac habe die Wähler frustriert und die Politik des Landes gelähmt. Die Kohabitation erkläre daher auch die deutliche Unzufriedenheit bei der jüngsten Präsidentschaftswahl.

Zumindest indirekt signalisierte Raffarin, dass er die Wähler des rechtsextremen Front National wieder für sich gewinnen möchte. Vor allem zwei Themen eignen sich dazu, die Wähler von Le Pen anzusprechen. So kündigte die neue Regierung an, entschlossen gegen die so genannten Unruhestifter in den Banlieues vorzugehen. Einen ersten Eindruck davon, mit welchen Maßnahmen das gelingen soll, vermittelte im vergangenen Monat bereits der Minister für kommunale Angelegenheiten, Patrick Devedjian, der dem Innenminister beigeordnet ist. »Marineblau muss wieder zur Modefarbe werden«, verkündete er damals und meinte die Farbe der Dienstkleidung französischer Polizisten.

Innenminister Nicolas Sarkozy beschloss bereits Mitte Mai, die von der Regierung Jospin geschaffenen so genannten Deeskalationseinheiten der Polizei in den Banlieues mit neuen Gummigeschossen auszustatten, die auf weniger als fünf Meter Entfernung eine tödliche Wirkung haben können. Sechs Milliarden Euro an zusätzlichen Mitteln sollen in den nächsten fünf Jahren für die Polizei und die Justiz bereitgestellt werden.

Auch die Senkung der Einkommenssteuer gehört zu den ersten Maßnahmen der neuen Regierung. Raffarin hatte im Wahlkampf versprochen, die Staatsausgaben zu reduzieren und die Steuern deutlich zu senken. Dabei basieren die geplanten Reformen auf einer extremen sozialen Ungleichheit. Wer mehr verdient, erhält vom Staat auch mehr zurück, da die Senkung proportional zum versteuerten Einkommen ausfällt. Ein Großteil der geplanten Steuererleichterungen soll daher jenen zugute kommen, die über die höchsten Einkommen verfügen.

Wer zur obersten Einkommensklasse gehört, soll demnach jährlich 2 240 Euro zurückerhalten. Steuerzahler mit einem durchschnittlichen Einkommen werden voraussichtlich 50 Euro jährlich sparen, und wer den Mindestlohn bezieht, darf nichts erwarten. Die Maßnahme scheint bislang dennoch einer Umfrage zufolge ausgesprochen populär zu sein, weil die meisten Franzosen hoffen, doch auf irgendeine Weise davon profitieren zu können.

Auch in einem anderen Punkt kann Präsident Chirac einen Erfolg verbuchen. Die Steuersenkung, die zu seinen wichtigsten Wahlversprechen zählte, hatte vor einem Monat zu einem Konflikt mit der EU-Kommission geführt, die auf die Einhaltung der EU-Stabilitätskriterien pochte. Chirac hatte die Auseinandersetzung bewusst in Szene gesetzt. Denn die Profilierung gegen einen »äußeren Zwang«, der zuerst von den Regierungen der EU-Staaten gemeinsam beschlossen wurde und dem sie sich anschließend »beugen« müssen, gehört zu den bewährten populistischen Erfolgsrezepten.

In der vergangenen Woche legten die EU-Finanzminister kurz vor dem Gipfeltreffen in Sevilla den Konflikt schließlich bei. Frankreich verpflichtet sich, das auf dem EU-Gipfel in Barcelona im März gemeinsam festgelegte Ziel, das Staatsdefizit auf Null zu reduzieren, bis 2004 zu erreichen. Im Wahlkampf hatte Chirac noch davon gesprochen, diese Vorgabe erst in fünf Jahren umzusetzen. Allerdings ist das Versprechen nur bindend, falls die Wachstumsprognose von jährlich drei Prozent, die Chirac vorausgesetzt hatte, auch tatsächlich eintrifft. Im Gegenzug zu diesem wackligen Versprechen verpflichteten die EU-Minister die französische Regierung, »eine allgemeine Politik von Strukturreformen zu betreiben«, die »mittelfristig das generelle öffentliche Ausgabenniveau« absenkt. Insbesondere wird die französische Regierung aufgefordert, »ohne Verzug« eine private Altersvorsorge, etwa in Form privater Rentenfonds wie in den USA, einzuführen.

Den möglichen sozialen Konflikten, die seine Reformen mit sich bringen könnten, sieht Raffarin gelassen entgegen. Er wolle schließlich »das Frankreich von unten« repräsentieren, hatte er vor der Wahl erklärt. Damit meinte er das Frankreich der kleineren und mittleren Städte, fernab von Pariser Debatten, Streiks und »überflüssiger« Staatsbürokratie. So sieht die Welt Raffarins aus, der von 1995 bis 1997 als Minister für die mittelständischen Betriebe amtierte und seitdem als Provinzpolitiker im westfranzösischen Poitiers waltete.

Es gibt aber noch ein anderes »Frankreich von unten«, das sich ihm in absehbarer Zeit vielleicht in Erinnerung rufen könnte. Die letzte konservative Regierung von Alain Juppé scheiterte bei dem Versuch, soziale Standards abzubauen. Ihr wurde zum Verhängnis, dass sie den sozialen Widerstand unterschätzte. Mitte der neunziger Jahren musste sie wegen der heftigen Proteste zurücktreten.

Die Regierung Raffarins setzt nun darauf, die Lohnabhängigen im privaten Sektor, wo die Bedingungen besonders prekär und die Gewerkschaften mittlerweile erheblich geschwächt sind, gegen die Beschäftigten im öffentlichen Dienst auszuspielen. Diese konnten sich bisher durch kollektive Gegenwehr noch einige sozialen Errungenschaften erhalten.

Glaubt man einer Umfrage der Boulevardzeitung Le Parisien, dann sind 86 Prozent der Franzosen für die bereits angekündigte Einschränkung des Streikrechts im öffentlichen Dienst. Für die Angestellten sollen demnach künftig einige ihrer Tätigkeiten auch im Streikfall obligatorisch sein, und auch die Möglichkeit einer Dienstverpflichtung ist vorgesehen. Zahlreiche Franzosen sind mit der Qualität des öffentlichen Transportsystems unzufrieden. Und auch die Streiks in diesem Bereich sind nicht besonders beliebt. Niemand will schließlich seinen Job riskieren, nur weil er zu spät zur Arbeit kommt.