Diskussion über ein Zentrum gegen Vertreibungen

Krautsalat nach Breslauer Art

In Polen und Deutschland wird über ein Zentrum gegen Vertreibungen debattiert. Die Anregung kam von einem deutschen Sozialdemokraten.

Die polnische Regierung hat dem deutschen Bundeskanzler einen Wunsch erfüllt. Als Gerhard Schröder in der vergangenen Woche nach Wroclaw reiste, um mit seinem polnischen Amtskollegen zu reden, durfte er das Willy-Brandt-Zentrum für Deutschland- und Europastudien der dortigen Universität eröffnen. Dessen Konzeption hat der Deutsche Akademische Austauschdienst erarbeitet. Das Studienzentrum soll den wissenschaftlichen Nachwuchs im Sinne Deutschlands auf Europa vorbereiten.

Als Schröder im Dezember 2000 in Warschau den Willy-Brandt-Platz und das neue Willy-Brandt-Denkmal einweihte, schlug er vor, man möge doch Brandt zum Dank für seine Ostpolitik auch eine Akademie weihen. Die Bitte des Kanzlers glich einem Befehl, denn Polen ist in hohem Maße auf das Wohlwollen des übermächtigen Nachbarn angewiesen.

Es ist zu befürchten, dass Polen auch einen weiteren deutschen Wunsch erfüllen wird: den Aufbau eines Zentrums gegen Vertreibungen. Dieses Zentrum fordern die deutschen Vertriebenen seit vielen Jahren. Es soll als Dokumentations- und Forschungseinrichtung gestaltet werden, in der über die zahlreichen Umsiedlungen des 20. Jahrhunderts informiert wird. Die Vertriebenen wollen damit vor allem ihre Behauptung verbreiten, die Umsiedlung der Deutschen in Folge des Zweiten Weltkriegs sei ein Unrecht gewesen und die Betroffenen müssten, unter anderem von der polnischen Regierung, entschädigt werden.

Die Idee, das Zentrum gegen Vertreibungen ausgerechnet in Polen zu errichten, stammt von dem deutschen Sozialdemokraten Markus Meckel. Insbesondere Wroclaw biete sich als Standort an, erklärte Meckel im Februar, denn wenn das Zentrum in Berlin errichtet werde, dann hätten allein die deutschen Vertriebenen mit ihren extremen Forderungen Einfluss auf das Projekt. Die Bundesregierung sei aber bereit, Polen eine gewisse Mitbestimmung über die Gestaltung des Projekts zuzugestehen, erklärte Meckel.

Warum aber sollte sich Polen in die Planungen für ein Zentrum gegen Vertreibungen einbinden lassen, wenn deutsche Entschädigungsforderungen die Folge sein könnten? Vielleicht um das Schlimmste zu verhindern. Kurz vor der Bundestagsdebatte Mitte Mai, in der das deutsche Parlament ein Zentrum gegen Vertreibungen einmütig befürwortete, schrieben der Herausgeber der auflagenstärksten polnischen Tageszeitung Gazeta Wyborcza, Adam Michnik, und der Publizist Adam Krzeminski einen offenen Brief an den deutschen Bundeskanzler und den polnischen Ministerpräsidenten, der auf der Titelseite der Zeitung sowie in der Welt abgedruckt wurde. Meckels Idee, das Zentrum in Wroclaw zu errichten, sei gar nicht so schlecht, erklärten die Verfasser. Stünde es in Wroclaw, dann wäre es kein »Museum nur deutschen Leidens und deutscher Klage, das Täter zu Opfern machte (...), sondern ein Museum der Katastrophe und ein Zeichen der Erneuerung unseres gemeinsamen Europas«.

Weite Teile der polnischen Bevölkerung lehnen derartiges Taktieren allerdings ab. Vor allem in den ländlichen Gegenden Südwest- und Nordostpolens wird die deutsche Außenpolitik mit großem Misstrauen verfolgt. In der Staatsführung, die dem deutschen Druck unmittelbar ausgesetzt ist, scheint man jedoch bereit zu sein, den Deutschen nachzugeben. Staatspräsident Alexander Kwasniewski signalisierte daher, er lasse über das Projekt mit sich reden. Inzwischen hat sich ihm auch Ministerpräsident Leszek Miller angeschlossen. Miller will allerdings sicher gehen und das Zentrum dem Europarat unterstellen.

Besonders hilfreich wäre das freilich nicht. Die deutsche Außenpolitik beherrscht seit langem die Kunst, deutsche Interessen als europäische zu deklarieren und mit Hilfe dieser Mogelpackung den eigenen Willen durchzusetzen. Selbst wenn es der Europarat wäre, der das Zentrum gegen Vertreibungen einrichtet, könnten damit die Umsiedlungen zu Unrecht erklärt werden, und die deutschen Entschädigungsforderungen bekämen ein neues Gewicht.

So erklärte Norbert Lammert (CDU) in der Bundestagsdebatte, das Zentrum solle die »europäische Übereinstimmung« zum Ausdruck bringen, »dass Vertreibungen unschuldiger Menschen aus ihrer angestammten Heimat - wodurch auch immer sie veranlasst gewesen sein mögen - immer Unrecht sind«. Gemeint ist damit auch immer die Umsiedlung der Deutschen, die im Potsdamer Abkommen geregelt wurde und die durch die historisch einzigartige deutsche Vernichtungspolitik in Osteuropa verursacht worden war.

Doch der Vorschlag der rot-grünen Bundesregierung, Wroclaw zum Standort des Zentrums zu machen, enthält noch mehr Brisanz. Das frühere Breslau ist nicht nur ein Symbol für die Flucht und Umsiedlung der 600 000 Deutschen, die vor 1945 dort wohnten. Es ist zugleich - das betonen auch Michnik und Krzeminski - ein Symbol für die Umsiedlung hunderttausender Polinnen und Polen, die im Zuge der »Westverschiebung« Polens im Jahr 1945 aus dem Gebiet der heutigen Ukraine nach Wroclaw kamen. Die Ansprüche, die das Zentrum den deutschen Vertriebenen gegenüber Polen verschaffen könnte, würden polnische Umgesiedelte ihrerseits gegenüber der Ukraine erheben können.

In den ehemals polnischen Gebieten der heutigen Ukraine gibt es schon jetzt Streit, beispielsweise um einen Soldatenfriedhof in Lviv. Dort sollen polnische »Helden« geehrt werden, die umkamen, als die polnische Armee die Stadt 1919 von den ukrainischen Streitkräften eroberte. Die Heldenehrung stößt in der Ukraine auf wenig Zustimmung, zumal damit an eine alte Option der polnischen Außenpolitik angeknüpft wird.

So wurden in Polen während des Ersten Weltkriegs zwei einander widersprechende außenpolitische Strategien debattiert. Die Vertreter der einen politischen Strömung setzten auf gute Beziehungen zu Russland und verfolgten das Ziel, den 1795 aufgelösten polnischen Staat relativ weit im Westen wieder zu errichten - unter anderem in Gebieten, die damals zum Deutschen Reich gehörten. Diese Strategie wurde mit dem Potsdamer Abkommen vollendet, das die ehemals deutschen Gebiete östlich von Oder und Neiße dem polnischen Staatsgebiet zuschlug.

Die Strategen der anderen politschen Richtung setzten der an Russland orientierten Außenpolitik ein Bündnis mit dem Deutschen Reich entgegen. Logischerweise konnte Polen dabei nicht auf Territorien in den damaligen deutschen Ostgebieten hoffen und suchte daher territorialen Zugewinn weiter im Osten, etwa in der Ukraine.

In den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts erwogen deutsche Außenpolitiker zeitweilig sogar, Polen als Ausgleich für eine deutsche Ostexpansion, Territorialgewinne »bis zum Schwarzen Meer« zuzugestehen. Mit der Errichtung eines Zentrums gegen Vertreibungen könnte Deutschland Polen auch gegen Osteuropa in Stellung bringen.