Solidarität mit Israel

Symbol des Bösen

Der Nahost-Konflikt dient in Deutschland vor allem dazu, ein revisionistisches Geschichtsbild durchzusetzen.

Alte Freundschaften zerbrechen, auf Partys gibt es Streit, Veranstaltungen gehen in Tumulten unter. Wie kein anderes Thema spaltet die Diskussion um den Nahost-Konflikt die Linke bis in die privaten Kreise. Kein innenpolitisches Ereignis beschäftigt sie derzeit mit solcher Heftigkeit. Wie die meisten Deutschen ist auch ein großer Teil der Linken der Meinung, dass die israelische Regierungspolitik hauptsächlich für die Eskalation in der Region verantwortlich ist.

Ministerpräsident Ariel Sharon gilt ihr als Symbol des Bösen, der höchstens noch von den Machthabern im Weißen Haus übertroffen wird. So erstaunt es auch nicht, dass kaum eine Demonstration in den letzten Jahren so gut besucht wurde wie diejenige beim Besuch von US-Präsident George W. Bush in Berlin. Zehntausende gingen Ende Mai auf die Straße, um gegen den Anti-Terror-Krieg zu protestieren und die imperiale Arroganz der USA zu geißeln.

Die große Empörung über die außenpolitische Entwicklung steht in keinem Verhältnis zur ignoranten Haltung angesichts der innenpolitischen Entwicklung. Mit dem so genannten Antisemitismusstreit hat sich in den vergangenen Wochen die Republik verändert. Politiker, die sich mit antisemitischen Äußerungen zu profilieren suchten, galten bislang als nicht kompatibel mit der Staatsräson. Der Versuch des FDP-Vizevorsitzenden Jürgen Möllemann, mit Hilfe antisemitischer Ressentiments die deutschen Liberalen populär zu machen, ist eine Zäsur in der deutschen Nachkriegsgeschichte.

Seine Aussage, dass »Herr Sharon und in Deutschland Herr Friedman mit seiner intoleranten, gehässigen Art« für den Antisemitismus verantwortlich seien, nimmt die praktischen Folgen des Ressentiments vorweg. Wenn den Juden etwas zustößt, brauchen sie sich nicht zu wundern. Schließlich sind sie an ihrem Unglück selber schuld.

Erstaunlich ist jedoch nicht so sehr die Aussage. An antisemitischen Politikern hat es in der Nachkriegszeit schließlich noch nie gemangelt. Neu ist vielmehr die Tatsache, dass sie keine Sanktionen mehr zu befürchten brauchen. Der ehemalige Fallschirmjäger ist nach wie vor der starke Mann bei den Liberalen, ihm droht weder der Rücktritt noch ein Parteiausschluss.

Der Umstand, dass eine der einflussreichsten deutschen Parteien antisemitische Politiker in ihren Reihen duldet, provozierte keine nennenswerten gesellschaftlichen Protestaktionen. Fast überflüssig zu erwähnen, dass dem Appell von Paul Spiegel, dem Vorsitzenden des Zentralrats der jüdischen Gemeinden in Deutschland, nach einem neuen »Aufstand der Anständigen« niemand folgte. Zur einzigen größeren Kundgebung gegen Möllemann erschienen neben mehreren hundert Mitgliedern der jüdischen Gemeinde nur einige Dutzend Linke vor der Berliner FDP-Zentrale. Deutschland ist dabei, sich von dem »Judentabu«, wie es Eckhard Henscheid in der Jungen Freiheit formulierte, zu befreien, ohne dass es zu nennenswerten Protesten von Seiten der Linken kommt.

Der Konflikt um Möllemann ist nur einer der Höhepunkte einer ganzen Serie von ähnlichen Debatten in diesem Jahr, die sich nur noch um eine Frage zu drehen scheinen: Was ist in Deutschland wieder möglich ?

Im Januar präsentierte Günter Grass zum Auftakt der Debatte seinen neuen Roman über Flucht und Vertreibung. Das Schweigen über die deutschen Opfer im Zweiten Weltkrieg müsse endlich gebrochen werden. Der Spiegel widmete den deutschen Opfern eine Titelgeschichte und startete eine Sonderserie zum Thema. Die literarische Vorlage über das Unrecht, das die Deutschen erleiden mussten, nehmen die Vertriebenenverbände gerne auf. Wie wohl noch nie zuvor in ihrer Geschichte genießen sie politische Unterstützung. Die Rücknahme der Benes-Dekrete durch die tschechische Regierung verlangen mittlerweile sowohl die Bundesregierung wie die konservativen Oppositionsparteien, die sich nur noch in der Wahl der Mittel uneins sind.

Kanzlerkandidat Edmund Stoiber stellte im April den tschechischen EU-Beitritt in Frage, wenn die sudentendeutschen Forderungen nicht erfüllt würden. Auf ähnliche Hilfe aus Berlin hoffen auch die so genannten Donauschwaben, die auf eine Entschuldigung der serbischen Regierung pochen. Und die ostpreußischen Landsmannschaften verlangten auf ihrem Jahrestag am vergangenen Wochenende in Leipzig die Aufhebung der so genannten Bierut-Dekrete, durch die die Enteignungen deutschen Besitzes in Polen festgelegt wurden.

Selbst der Status von Kaliningrad ist wieder in der Diskussion. »Was zahlt ihr für Ostpreußen, werden die chronisch finanzschwachen Russen womöglich irgendwann die Bundesregierung fragen«, heißt es dazu in der jüngsten Ausgabe der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.

Die Konjunktur der Revanchisten wäre nicht möglich ohne die nachhaltige Revision der NS-Geschichte. Dass die Deutschen mittlerweile zu den eigentlichen Opfern des nationalsozialistischen Vernichtungskrieges avancierten, hatte sich bereits in Martin Walsers Rede von der »Auschwitzkeule« abgezeichnet. Seither arbeitet er unermüdlich, um die Nation mit ihrer Vergangenheit zu versöhnen. In einem patriotischen Gespräch mit Bundeskanzler Gerhard Schröder kam er Anfang Mai zu dem überraschenden Schluss, dass der »Schandfrieden von Versailles« nach dem Ersten Weltkrieg den Aufstieg der Nationalsozialisten erst ermöglicht habe. Briten, Franzosen und natürlich die Amerikaner - haben sie die Deutschen nicht geradezu getrieben, den Holocaust zu organisieren?

Die einzigen, die dieses neue deutsche »Geschichtsgefühl« nachhaltig stören, sind die Juden. Ohne die moralische Schuld zu relativieren, ist die Versöhnung mit der deutschen Nation nicht möglich. Zwei Wege bieten sich dafür an. Zum einen die wahnhafte Vorstellung einer omnipotenten jüdischen Lobby, deren man sich erwehren muss. Norman Finkelstein hat bereits vor zwei Jahren mit seinem Buch »Die Holocaust-Industrie« die Vorlage geliefert, wie sich diese Lobby angeblich der moralischen Schuld bedient, um die Deutschen auszubeuten. In seinem Roman »Tod eines Kritikers«, der in dieser Woche erscheint, zeigt Walser, wie man sich dieses Problems zumindest fiktiv entledigen kann. Der deutsche Literaturbetrieb wird in seinem Buch von einem machtbessenen jüdischen Kritiker beherrscht, dem man - aus reiner Notwehr, versteht sich - nur noch den Tod wünschen kann.

Der andere Weg ist die moralische Diskreditierung der ehemaligen Opfer, denen unterstellt wird, dass sie sich nicht besser als die Nazis verhalten. Die wahnhafte Vorstellung einer omnipotenten jüdischen Lobby, die die öffentliche Meinung manipuliert, um ihre materiellen Interessen zu sichern, wird ergänzt durch das Bild der zionistischen Täter, die einen »Vernichtungskrieg« gegen die Palästinenser führen, wie Norbert Blüm gerade wieder im stern erklärte. Die Israelis hätten in ihrer »blindwütigen Rache« nicht nur Frauen und Kinder ermordet, sondern auch »5 000 Olivenbäume in palästinensischen Gebieten« vernichtet und - womöglich das schlimmste Verbrechen überhaupt - einen »Stein vom Kölner Dom auf einem Platz in Bethlehem« zermalmt.

Keine Frage, dass diesem Treiben nicht mehr länger tatenlos zugesehen werden darf. »Die Israelis müssen wissen, dass ihnen für ihre Rachepolitik die Anhänger ausgehen«, meint Blüm, der ebenfalls weiß, dass »der Vorwurf des Antisemitismus auch als Knüppel benützt« wird, um jede Kritik »totzumachen«.

Blüm ist mit seiner Meinung nicht allein. Kaum ein Artikel über den Nahost-Konflikt kommt ohne das Bild von den rachsüchtigen Juden aus, die - »Auge um Auge, Zahn um Zahn« - jede friedliche Lösung verhindern. Damit wird nicht nur suggeriert, dass sich die Juden seit den Zeiten des Alten Testaments nicht verändert haben; nebenbei wird auch noch der Unterschied zwischen Religions- und Staatszugehörigkeit, zwischen Juden und Israelis, aufgehoben.

»Niemand käme auf die Idee, beispielsweise die nordsudanischen Milizen, die die Bevölkerung im Süden des Landes versklaven, als 'Nazis' zu bezeichnen. Dieser Vergleich ist nur für Israel reserviert«, bemerkte dazu kürzlich Asher Susser, ein Historiker an der Universität Tel Aviv, in einem Interview.

Auch die traditionelle Linke ist daran interessiert, dem jüdischen Staat eine monströse Täterrolle zuzuschreiben. Anders ist jedenfalls kaum zu erklären, wieso die Äußerungen von Möllemann, Walser und Blüm dort, wenn überhaupt, nur auf mäßigen Unmut stoßen, oder, wie etwa in der Soz und der jungen Welt, sogar verteidigt werden.

Denn nur so ist es möglich, ein Weltbild aufrechtzuerhalten, in dem die USA als Zentrum der kapitalistischen und imperialistischen Welt gesehen wird, und Israel gewissermaßen als ihr verlängerter militärischer Arm. Diese Interpretation, die sich seit dem 11. September noch verstärkt hat, abstrahiert davon, dass die Entstehung Israels nur aus der verhinderten jüdischen Assimilation in Europa und der Shoah zu erklären ist. Sie muss den jüdischen Staat zu einer »normalen Nation« erklären, um ihn als Feindbild zu erhalten. Und deswegen fällt es der traditionellen Linken so schwer, den Geschichtsrevisionismus aufzuhalten.

Im Verhältnis zu Israel ist sie vom deutschen Mainstream kaum noch zu unterscheiden. Einer Mitte Juni veröffentlichten Umfrage des Frankfurter Sigmund-Freud-Instituts zufolge äußerten 36 Prozent der Befragten Verständnis dafür, dass man Juden nicht leiden kann. Der Anteil hat sich in den letzten drei Jahren fast verdoppelt. Die Mehrheit der Linken unternimmt nichts, um diese Entwicklung zu stoppen.