Präsident ohne Rückhalt

Toledos Ausverkauf

Im ganzen Land gibt es Proteste gegen die Privatisierungspolitik der Regierung. Ein Jahr nach seiner Wahl hat der peruanische Präsident kaum noch Anhänger in der Bevölkerung.

Knapp ein Jahr nach seinem Amtsantritt steht der peruanische Präsident Alejandro Toledo vor einem Scherbenhaufen. Ende vergangener Woche hat nun auch die Opposition der Regierung Toledo die Zusammenarbeit aufgekündigt. In der Erklärung der Revolutionären Amerikanischen Volksallianz (Apra), der von Alan García geführten wichtigsten Oppositionspartei, hieß es, die Regierung stecke in einer ernsten Krise. Das Vertrauen der Bevölkerung sei verspielt, die Zusammenarbeit mit der Opposition ohnehin halbherzig gewesen, weshalb García und mit ihm die Apra die Vereinbarung mit der Regierung als nichtig ansehe.

Alan García hat den Zeitpunkt seines Rückzugs taktisch klug gewählt. Zum einen steckt der Präsident in seiner schlimmsten Krise seit dem Regierungsantritt im vergangenen Juli, zum anderen stehen im November Regionalwahlen an. Viele Peruaner dürften ihrem ehemaligen Hoffnungsträger und seiner Partei Peru Posible bei dieser Gelegenheit den Rücken kehren. In Arequipa, aber auch in zahlreichen anderen ehemaligen Hochburgen von Peru Posible weht dem Präsidenten eine steife Brise entgegen. Der noch vor zehn Monaten als Heilsbringer gefeierte Toledo gilt nun als Lügner und Verräter. Allzu viele Wahlversprechen kann er nicht einlösen.

Der Bevölkerung von Arequipa, wo Toledo 70 Prozent der Stimmen erhielt, hatte er versprochen, die beiden regionalen Stromkonzerne Egasa und Egesur, die den Süden des Landes mit Energie versorgen, nicht zu privatisieren. Und das hatte er sogar schriftlich fixieren lassen und unterzeichnet. Doch Mitte Juni wurden beide Unternehmen an den belgischen Konzern Tractebel für 167,4 Millionen US-Dollar veräußert, ohne dass Toledo Anstalten gemacht hätte, sein Veto einzulegen.

In der 830 000 Einwohner zählenden Stadt braucht er sich seitdem nicht mehr sehen zu lassen. Es kam zu einer tagelangen heftigen Revolte gegen die Privatisierungen in der ganzen Provinz. Von Arequipa griffen die Ausschreitungen auf die Stadt Tacna über, mit brennenden Reifen und Baumstämmen blockierten Demonstranten die wichtigsten Straßen in der Provinz, darunter die Panamericana. In Arequipa kamen zwei protestierende Studenten ums Leben, nachdem sie von Tränengaskartuschen am Kopf getroffen worden waren. Am 20. Juni trat Innenminister Fernando Rospigliosi zurück; am Wochenende zuvor war der Ausnahmezustand über die Provinz verhängt worden, um die Proteste mit Hilfe der Armee zu ersticken.

Die Unruhen sind damit noch lange nicht unter Kontrolle. Im ganzen Land kommt es weiterhin zu sporadischen Streiks. Und auch in Arequipa haben sich neue Organisationen gegründet, die ankündigten, weiter gegen die Regierungsentscheidung zu opponieren.

Dabei wäre sie nicht unbedingt nötig gewesen. Zwar hat die Regierung für dieses Jahr Privatisierungen in Höhe von 800 Millionen US-Dollar im Haushalt eingeplant, aber die beiden Kraftwerke standen nicht auf der internen Prioritätenliste.

Nach einem knappen Jahr der Regierung Toledo warten die Peruaner weiter auf die Einlösung der Wahlversprechen. Doch neue Jobs, die Toledo vollmundig angekündigt hatte, gibt es bis heute nicht. Die Rezession hält das Land im Griff. Verantwortlich dafür ist vor allem die stagnierende Nachfrage nach Rohstoffen, die Peru exportiert. Neben Kupfer und Edelmetallen sind es insbesondere Agrar- und Fischereiprodukte, die das Andenland ausführt.

Und die ausländischen Investoren halten sich trotz allen Werbens vornehm zurück, vor allem im Bergbau. Sie haben das Beispiel des Konzerns Manhattan Minerals vor Augen, der sich im Norden des Landes nahe der Provinzstadt Piura mehrere Claims absteckte. Unter dubiosen Umständen erhielt der kanadische Konzern die Schürfrechte für mehrere Areale unweit der Grenze zu Ecuador. Die Verfassung untersagt zwar die Übertragung von peruanischem Territorium in Grenznähe an ausländische Unternehmen, aber in diesem Fall drückte die Regierung Fujimori-Montesinos beide Augen zu.

Manhattan Minerals hatte jedoch nicht mit den hartnäckigen Protesten der Bevölkerung gegen das Projekt gerechnet, die ein lokales Referendum erzwingen konnte. Es fiel Anfang Juni deutlich aus - 94 Prozent der Bevölkerung stimmten gegen den Konzern. Sollte alles mit rechten Dingen zugehen, könnte es der Anfang vom Ende des Bergbauprojekts in der Region sein. Die Abstimmung könnte gleichzeitig auch das Startsignal für eine nationale Umweltbewegung sein. Peru wäre damit für die internationalen Bergbaukonzerne weniger attraktiv.

Das scheint auch die Regierung zu befürchten, die sich lange bedeckt hielt und die Sicherheit der ausländischen Investitionen höher einstufte als nationales Recht. Man könne den Investor nicht dafür büßen lassen, dass die Verträge, die die ehemalige Regierung gemacht habe, Fehler aufwiesen, lautet die Position Toledos, der auch in Piura die Präsidentschaftswahlen vor einem Jahr klar für sich entscheiden konnte.

Seit der Aufkündigung der Zusammenarbeit durch die Apra steckt Toledo nun gleich doppelt in der Klemme, denn seine Wahlbewegung Peru Posible verfügt nur über 46 der 120 Mandate im Parlament. Nun muss er sich seine Mehrheiten von Fall zu Fall suchen.

Eine unbequeme Position, denn nahezu jede Privatisierung muss durchs Parlament, und Privatisierungen sind in der Bevölkerung extrem unbeliebt. Nicht weniger als neun Milliarden US-Dollar wurden unter dem autoritären Präsidenten Alberto Fujimori durch Privatisierungen eingenommen. Doch ein großer Teil ist in mehr oder minder dubiosen Kanälen versickert. Noch heute kursieren Gerüchte, dass Unternehmen die Gunst Fujimoris erkauft haben sollen. Klären wird diese Beschuldigungen wohl niemand mehr, denn das japanische Establishment hält seine schützende Hand über den heimgekehrten Sohn (Jungle World, 11/01).

Gleichwohl ist Toledo darauf angewiesen, Geld in die leeren Kassen zu bekommen; und mit dem IWF ist vereinbart, rund 800 Millionen US-Dollar durch Privatisierungen einzunehmen, um den Staatshaushalt zu entlasten. Damit sind neue Konflikte programmiert, die den mittlerweile ungeliebten Präsidenten in Schwierigkeiten bringen könnten. Auf nur noch 20 Prozent der Bevölkerung schätzen Meinungsforscher die Parteigänger Toledos - vor einem Jahr waren es noch 60 Prozent, die den Politikneuling im Präsidentenpalast sehen wollten. Der Präsident scheint seinen Kredit allzu schnell verspielt zu haben.