Neues Album von Blumfeld

Die Welt dreht sich weiter

Blumfelds fünftes Album kommt aus einer Zeit, als die Band noch Frankfurter Schule war, und besteht aus den Singles von 1991 und 1992.

Nach zehn Jahren sind die drei ersten Singles von Blumfeld auf einem Minialbum wieder veröffentlicht worden. »Ghettowelt«, »Zeitlupe« und »Traum« erscheinen jetzt unter dem Imperativ: »Die Welt ist schön.« Genauso hieß auch ein bekannter Fotobildband aus dem Jahre 1928, den Walter Benjamin einmal zitierte: »Je mehr die Krise der heutigen Gesellschaftsordnung um sich greift, je starrer ihre einzelnen Momente einander in toter Gegensätzlichkeit gegenübertreten, desto mehr ist das Schöpferische zum Fetisch geworden, das Schöpferische am Fotografieren ist dessen Überantwortung an die Mode. 'Die Welt ist schön', genau das ist ihre Devise.« Die fotografierte Welt ist längst die schöne Welt der Popkultur. Das Kreative an der Popkultur ist gleichfalls deren Überantwortung an die Mode, und die Krise ist heute wieder da, ist für das Jahrzehnt, in das Blumfelds Bandgeschichte fällt, zur Signatur geworden. Pop ist die Krise. Und diese Krise ist eine der Gesellschaft.

In der Ikonografie des Covers ist dieser Befund dem der schönen neuen Welt Huxleys verwandt. Kälte überzieht die vermeintliche Freizeitgesellschaft, die Menschen sonnen sich im fahlen Schein aufgeschnallter Lampen; Aufklärung als Massenbetrug. Dass die Coverästhetik Blumfelds auf das politische Konzept der Band verweist, wurde schon durch die Gestaltung der einzelnen Singles deutlich. Die Band selbst erscheint immer wieder als poppolitischer Zusammenhang. Statt Blumfeld selbst sind Bekannte (zum Beispiel Knarf Rellöm, damals noch Huah!) abgebildet, in ähnlicher Weise, wie dann auf der Blumfeld-Platte »L'Etat et moi« Köpfe aus der Umgebung der Band auf goldene Elvisfiguren geklebt wurden. Und noch ein Bogen wird nun gespannt. Waren auf dem ersten Singlecover drei Jungs zu sehen, so sind es auf »Die Welt ist schön« Erwachsene.

Ulf Poschardt meinte ja mal, mit der These provozieren zu können, der Pop sei erwachsen geworden. Dies ist mitnichten ein Sieg, wenn die erwachsene Welt heute von Konformismus geprägt ist, gegen den Pop einst opponieren wollte. Die Cover von Blumfeld bilden diesen Weg auch als Prozess der Bandgeschichte widersprüchlich ab: Die Jungs am Anfang, die Passfotos, dann die »Ich-Maschine« (eine Montage von Mensch und Maschine auf dem Cover des ersten Blumfeld-Longplayers), dann die Konfrontation von Bewegung und Star auf »L'Etat et moi« - die Band erscheint vollends als gedachtes Kollektiv. Dann das Gegenkonzept (mit Wechsel der Hintergrundfarbe von weiß zu schwarz): »Old Nobody«, ein alter Niemand namens Blumfeld, ein Familienfoto, rein und bedrohlich. Und schließlich der Schattenriss, das Fenster von »Testament der Angst«.

In den vergangenen zehn Jahre haben sich die Blumfeld-Stücke von einem durch Sonic Youth beeinflussten Riffing und Sprechtext zur fast schon gefälligen Popmusik mit Anleihen im Mainstream verwandelt. Man kann Pop scheinbar nur aufheben, wenn man ihn verwirklicht. Die politische Bewegung, die sich einst mit Blumfeld identifizierte, hat sich inzwischen verstreut. Die Fans, die sich mit Blumfeld kulturell sozialisierten und nur so lange »politisch« waren, wie die Band ihnen ihre eigene Haltung vorsang, haben mit der letzten Platte »Testament der Angst« die fast höhnische Quittung bekommen: »Ihr habt immer nur weggesehen, es wird immer so weitergehen.«

Zehn Jahre Blumfeld sind also nicht bloß zehn Jahre Bandgeschichte, sondern zehn Jahre Entwicklung einer Strategie, Pop und Politik miteinander zu verbinden. Sie war als Subversion des herrschenden Konsenses gedacht, auch in Ansätzen so praktiziert, aber schließlich an der repressiven Toleranz der Kulturindustrie gescheitert. So heißt es bei Blumfeld nun: »Ein freier Markt bestimmt die Nischen.«

Die Wiederveröffentlichung der Singles von 1991/92 als quasi fünftes Album Blumfelds ist somit Anlass genug für einen poptheoretischen Rückblick.

Den linken Popdiskurs der Neunziger in eine Chronik zu verpacken, könnte heißen, ihn da anzuschließen, wo gemeinhin linke Geschichtsschreibung bisher endet. Spätestens dort, wo Wolfgang Kraushaars Chronik »Frankfurter Schule und Studentenbewegung« aufhört, nämlich Mitte der Neunziger. Seine Geschichte »Von der Flaschenpost zum Molotowcocktail« nennt für die Achtziger noch den vom Wasserwerfer überrollten Günther Sare, den Prima Klima-Kongress 1986 und die Auseinandersetzungen um die Startbahn West, aber nicht die Diskussionen und Aktionen, die die Linke und ihren Niedergang dann prägten.

Der gemeinsame Nenner von Autonomen, Revolutionären und Antifaschisten war zu dieser Zeit immerhin, bei aller Kontroverse, das emanzipatorische Projekt wieder als Flaschenpost loszuschicken. Rassismus, Antisemitismus und Ressentiments definierten eine politische Normalität, die nicht länger auf Konzepte der Agitation und Aufklärung vertrauen ließen. Was Anfang der Neunziger schon als gescheitertes Programm der allerletzten K-Gruppen feststand und mit dem Zusammenbruch des realen Sozialismus unterging, hat sich in den vergangenen zehn Jahren dann auch als kulturelles Modell erledigt. In der Neuen Mitte hat sich das Dumpfe eingerichtet.

Die »Diktatur der Angepassten« heißt ein Song auf »Testament der Angst«. Den regressiven Charakter eines Systems zu analysieren, war auch die Hauptaufgabe der kritischen Theorie. Seit 1989 steht dieser Charakter in Gestalt des Terrors, mit Brandsätzen, die in Rostock-Lichtenhagen, Mölln, Solingen, Lübeck und anderen Orten auf Migranten und alles Nichtdeutsche geworfen wurden, wieder auf der Straße, wovon leider in Kraushaars großer Chronik nichts zu lesen ist. Man musste als Linker in den Neunzigern nicht Adorno oder Marcuse gelesen haben, um zu wissen, dass sich die Frage, unter welchen Bedingungen Widerstand durchsetzbar ist, in einer ganz anderen Problematik aufdrängte. Es war und ist die Problematik der Linken selbst, die Frage nach den Adressaten unseres Widerstands.

Die relative Stärke der Linken in den Siebzigern und Achtzigern beruhte ja auch weitgehend auf dem scheinbaren Zusammenspiel von politischer und künstlerischer Avantgarde, was sich spätestens dann, als beide Stränge der Avantgarde in die Krise gerieten - durchaus der Problemlage vor 1933 vergleichbar -, abermals als Fehleinschätzung der Lage herausstellte. Es war klar, dass politisch und kulturell reagiert werden musste. Es war auch klar, dass Repression nicht nur als Polizeistaat und körperliche Gewalt funktioniert, sondern im Bewusstsein der Individuen kulturindustriell fest verankert ist. Durch die Mode der Foucaultschen Machttheorie, die später durch Deleuzes Rede von der Kontrollgesellschaft gedeckt wurde, wurde an das erinnert, was die Kritische Theorie als Rackets und Verdinglichung beschrieben hatte.

Gerade die massenkulturelle Entwicklung nach und mit Punk und Disco hat gezeigt, was es heißt, wenn alle Kultur zur Ware wird und damit tendenziell zur bloßen Reklame für die Welt, so wie sie ist. Diese Welt war eben die rassistische Normalität nach der Vereinigung, kulturell längst vom deutschen Mainstream bestätigt, von Heinz-Rudolf Kunze bis Rammstein. In den ersten Annäherungen an HipHop und Techno wusste die Restlinke bereits, dass eine gute Party allemal ihre Berechtigung hat, wenn auch die beste Party nicht die Kritik ersetzen kann. Mit Speck fängt man schließlich Mäuse.

Dass sich nunmehr nach zehn Jahren diese Szene in einen bedeutungslosen Musikjournalismus verflüchtigt hat, in dem jede Rede von Politik und Emanzipation nur noch die kokette Geste des Bescheidwissens ist, womit dann die Neunziger kulturell und politisch als Jahrzehnt von MTV und Nirvana eingemottet wurden, darf eben nicht vergessen machen, welche ästhetische und emanzipatorische Kraft solche Platten wie Cpt. Kirks »Reformhölle«, Blumfelds »Ich-Maschine« und »Das bisschen Totschlag« von den Goldenen Zitronen hatten und haben. Nach ihnen wurde die Hamburger Schule gebildet, und zwar auch in theoretischer Anlehnung an die Frankfurter Schule, auch wenn diese heute bloß noch eine marktökonomische Schublade für Jungsbands ist.

Es geht, nach Adorno, darum, sich von der Macht der anderen und der eigenen Ohnmacht nicht dumm machen zu lassen. Blumfeld hatten versucht, dies als Maßgabe einer Politisierung der Kunst umzusetzen. »Ein Lied mehr ist eine Tür / Ich frag mich bloß wofür / Denn das, was dahinter liegt / scheint keinen Deut besser / Als das hier«, heißt es in »Ghettowelt«: »Es gibt kein richtiges Leben im falschen.« Das Stück »Sing Sing« findet sich hier als Sprechversion, noch ohne den Tocotronic-Einwurf »Ich möchte Teil einer Jugendbewegung sein«. Und »Der Angriff der Gegenwart (auf meine übrige Zeit)« bezieht sich auf »Der Angriff der Gegenwart auf die übrige Zeit«, einen Film von Alexander Kluge.

Über ihn sagte Kluge: »Das Prinzip der Gegenwart wütet gegenüber dem Prinzip Hoffnung und sämtlichen Illusionen der Vergangenheit. Wir leben in einer Gegenwart, die erstmals in der Lage wäre, sich zum Machthaber über sämtliche anderen Zeiten aufzuschwingen.« Kluge hat sich am Essay-Film versucht, Blumfeld am Essay-Pop. Es geht um Gefühle und ihre Aufarbeitung, Wiederholung und Aufhebung in Musik. Angst ist das Grundgefühl, mit dem wir ins 21. Jahrhundert getreten sind. »Spaß ist kein Spaß«, »Fun ist ein Stahlbad«. Wir machen weiter als Gescheiterte wie bisher.

Blumfeld: Die Welt ist schön (WSFA/Indigo)