'jetzt'-Magazin wird eingestellt

Jetzt streichen sie das Taschengeld

Das jetzt-Magazin hatte keine Drogenprobleme und hat sich mit allen Bandmitgliedern verstanden. Warum es trotzdem sterben musste

Nur für Unterstützer

Aufregung herrscht im Internet. Aufrufe grassieren, E-Mails gehen hin und her, eine Handvoll Websites entsteht binnen weniger Stunden, es breiten sich Wut, Trauer und Entsetzen aus. Auf www.jetztundfuerimmer.de steht es zu lesen: »Am 9. Juli 2002 fiel die Entscheidung: das jetzt-Magazin wird eingestellt. 1 600 Unterschriften waren nicht genug. Seit 1993 erzählt das jetzt-Magazin montags Geschichten, die lesenswert sind. Druckt sehenswerte Bilder und jede Menge Gründe, warum es sich zu Leben lohnt. Wenn das jetzt-Magazin wirklich eingestellt wird, gibt es einen weniger. Damit Montage bunt bleiben, damit es weiter ein intelligentes Forum für junge Menschen gibt, damit die vielen kleinen Dinge nicht übersehen werden, die den Alltag besonders machen, brauchen wir eure Hilfe! Schreibt Protestbriefe an die Verlagsgesellschaft der Süddeutschen Zeitung.«

Auf hocus.de/jetzt.html schreibt ein Fan: »Und was jetzt? jetztwars, Magazinguerilla, Schwarz tragen, bundesweite Abschiedsparties? 10 000 Briefe sollen geschrieben werden, dann E-Mails und Faxe, eine Demo am 22. Juli vor dem Verlagshaus. Markus Kavka signalisiert Unterstützung. Die schnellste Berichterstattung kommt aus ähnlicher Ecke: Spex, Intro, mtv.de. Kämpfen also. Und wenn das alles nichts hilft? Die Ausgabe 38 aus dem September 2001 heraussuchen und gerahmt an die Wand hängen. Die mit der bis auf den Schriftzug geschwärzten Titelseite. jetzt: erst recht!« Und »Indigo alias Patrick aus Eichenau« schließlich wendet sich auf jetzt.sueddeutsche.de an Barbara Streidl aus der Redaktion: »Ich bin total fertig, neun Jahre hat mich jetzt begleitet, von der 7. Klasse bis jetzt zum Ende meiner Lehre. Soll das heißen das damit auch meine Jugend zu Ende geht? So kommt es mir vor, wenn jetzt schon das jetzt-Magazin verschwindet. Danke dir und all deinen Kumpels in der Redaktion für die schöne Zeit. Es war gut!«

Nur für Journalisten

Was hier betrauert wird wie weiland der Ausstieg von Robbie Williams bei Take That, hat nichts mit der Popwelt zu tun. Weder hatte das jetzt-Magazin Drogenprobleme noch hat es sich mit den anderen Bandmitgliedern nicht verstanden. Ja, es hatte nicht mal plötzlich keinen Erfolg mehr. Im Gegenteil, das mehrfach preisgekrönte Magazin fällt ganz einfach dem Sparzwang in der Zeitungsbranche zum Opfer. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung hatte bereits vor einigen Wochen angekündigt, rund zehn Prozent ihrer Konzernmitarbeiter entlassen zu müssen, zudem stellten sie ihre vor allem in Journalistenkreisen hoch geschätzten »Berliner Seiten« ein.

Die Neue Züricher Zeitung aus der reichen Schweiz hatte gleichfalls infolge enormer Umsatzverluste im Anzeigengeschäft Sparmaßnahmen angekündigt, und auch der Kölner Verlag M. DuMont Schaumberg, der mit seinen Titeln Kölner Stadt-Anzeiger, Kölnische Rundschau und Express fast den gesamten Kölner Zeitungsmarkt beherrscht, will in diesem Jahr zehn Prozent der Stellen abbauen. Exakt dasselbe hat der Süddeutsche Verlag vor, der derzeit rund 5 000 Mitarbeiter beschäftigt. Er hat angekündigt, dass »die magischen« (taz) zehn Prozent der Stellen zur Disposition stehen. So genannte betriebsbedingte Kündigungen seien nicht länger zu vermeiden. Das jetzt-Magazin wird am 22. Juli zum letzten Mal erscheinen.

Nur für Liebhaber

»In jeden Strand ist eine Spur geschrieben, ein Ich-liebe-Dich aus Muschelscherben« - mit diesem Satz leitete Ingo Mocek ein kleines und völlig überflüssiges Textchen im jetzt-Magazin der vergangenen Woche ein, und dieser Satz ist typisch für das, was in diesem Heft, das Montag für Montag der Süddeutschen Zeitung beilag, zu lesen stand: fröhlicher Unsinn. Stets waren die Leserinnen und Leser aufgefordert, Gründe dafür zu mailen, »warum es sich diese Woche zu leben lohnt«, und brav schickten sie Antworten wie: »Backgammon«, »Meinen Vater kennen lernen« oder »'Ha!' sagen«.

Als weitere Rubrik gab es die »Gute Frage«, auf die die Teens und Teengebliebenen antworten durften. Eine dieser Fragen hieß dann etwa: »Mich nervt, dass sich Berliner für etwas besseres halten. Dich auch?« Eine der beliebtesten Rubriken war »Nur für Jungs - Nur für Mädchen«, die so völlig am Gender-Diskurs vorbei funktionierte, die aber zugleich mit den Geschlechterrollen ganz verspielt postmodern umging. Schließlich gab es noch die Seite, mit der man die Jugend daran erinnern wollte, dass Regierung und Onkel Hartz sie als wandelnde Ich-Aktien betrachten. Die Seite hieß lustigerweise: »jetzt: was werden«. Die Tipps werden aber der Redaktion bei der Suche nach neuen Arbeitsplätzen kaum etwas bringen, der Journalistikmarkt ist zur Zeit bereits gut mit Ich-Aktien versorgt.

Nur für Wirtschaftstypen

Zielgruppen waren immer das Problem des Magazins. Zwar war das jetzt-Magazin für die Jugend gemacht, gelesen und geschätzt wurde es aber vor allem von jungen Erwachsenen, die sich beim Durchblättern der kleinen Illustrierten ihre Pubertät zurückholen wollten. Von Leuten mit Hang zum Jungbleibenwollen wurde das Blatt auch produziert, nicht wenige Autoren und Redakteure waren oder sind Spex-Mitarbeiter (und haben auch schon für die Jungle World gearbeitet). In ihren Texten erfanden sie eine neue Jugendsprache, die lieb und nett, direkt und einfach sein wollte, jedoch nie ihren Distinktionsvorteil den Leserinnen und Lesern gegenüber aufgab. Dabei ging es immer um die Alltagswelt des Teenagers, die in eine Art von poetischem Realismus getaucht wurde. Glamour-Themen waren verzichtbar, strahlen sollte das Normale, Unspektakuläre, Alltägliche. Mit dieser Herangehensweise unterschied sich das jetzt-Magazin deutlich von der Bravo. Die Redaktion der Bravo vermittelt glaubwürdig, dass auch sie sich ernsthaft für Brooklyn Bounce interessiert und dass sie tatsächlich dabei helfen will, dass Jugendliche kein Aids und keine Kinder kriegen. Die Redaktion der jetzt hingegen war nicht nur immer famos ausgestattet, nein, sie zeigte dies auch gern, interviewte die Stars mit einer herrlichen Herablassung, missachtete gerne die Charts und verwies auf Dinge, die sich kaum ein Leser aus der Zielgruppe würde leisten können. Das Magazin repräsentierte das bessere Leben - und ließ sein Publikum davon träumen.

Wenn man sich fragt, warum der Verlag der Süddeutschen nicht das ebenso teure SZ-Magazin einstellt, das seit der Entlassung von Ulf Poschardt reichlich langweilig geworden ist, so sind zwei Antworten möglich: Zum einen behauptet die Zeitung mit dem SZ-Magazin einen bürgerlichen Bildungsanspruch, zum zweiten haben ältere Bürger mehr Kohle auf Tasche als jugendliche Schwärmer. Der Verlag geht davon aus, dass das jetzt-Magazin vorwiegend von den Kids »mitgelesen« werde, einen deutlichen Verkaufsanstieg hat es offensichtlich nicht hervorgebracht - und das trotz der Möglichkeit, ein Montagsabo zu beziehen.

Zudem war das jetzt-Magazin nie ein großer Anzeigenträger. Die Plattenindustrie misstraut der Werbung in Tageszeitungen traditionell und hat gleichzeitig ein großes Vertrauen in die Manipulierbarkeit von Musikmagazinen, deren Texte man über Freundschaft oder Anzeigenschaltungen beeinflussen kann - das jetzt-Magazin hingegen erlaubte es sich, wie eine normale, von diesen Anzeigen unabhängige Tageszeitung, die Platten, die man besprach, auch zu verreißen oder bei Interviews freche Fragen zu stellen - etwas, was die notorisch kritikunfähige Plattenindustrie gar nicht mag. Andere Herstellern von Jugendprodukten denken ähnlich.

Nur für die Sterne

Das war's dann also für das wunderschöne, alberne, naive jetzt-Magazin. Es verschwindet vom Markt wie vor ihm schon das seriöse, aufwendige FAZ-, das hervorragende Zeit-Magazin, die FAZ-Tiefdruckbeilage mit ihren langen, schwierigen Texten und wie die »Berliner Seiten«. Wenn die New Economy die alte Wirtschaft wird, ist's schwer mit dem Anbeten von Sonne und Sternen. Wenn viele, viele keine Arbeit haben, ist nicht mehr gut lustig sein. Wenn das Taschengeld gestrichen wird, rückt das Eis in weite Ferne. Die Träume und die Träumer haben's schwer und sind allein.