Timm Klotzek, der ehemalige Chefredakteur des 'jetzt'-Magazins

»Wir waren keine Spielwiese«

Werden die Mitarbeiter von jetzt vom Verlag der Süddeutschen Zeitung weiterbeschäftigt?

Der gesamten Redaktion von jetzt-Print ist gekündigt worden.

Die Süddeutsche streicht jetzt, die FAZ ihre »Berliner Seiten« - kann man diese Maßnahmen auch als Angriff der Alten auf die Jungen verstehen? Schließlich wurde in beiden Fällen vor allem jungen Redakteuren gekündigt, und Foren für jüngere Leser wurden wegrationalisiert.

Ich glaube nicht, dass es sich bei diesen Maßnahmen um den Ausdruck eines Generationenkonflikts handelt oder offene Rechnungen damit beglichen werden. Klar ist aber, dass es vor allem die jungen Mitarbeiter trifft, dass an den kreativeren Produkten gespart wird, die sich vor allem an jüngere Leser wenden, und nicht an den konventionellen Teilen der Zeitungen.

In ökonomischen Krisenzeiten scheint man sich auf die Kernkompetenz zu beschränken und die über Jahre hinweg etablierten Spielwiesen wegzukürzen. Ist das nicht zu kurzsichtig gedacht und beraubt man sich nicht selbst eines mühsam geschaffenen Profils?

In ökonomisch schwierigen Zeiten muss man sich sicherlich auf die Kernaufgaben beschränken. Was jedoch als zentrale Kompetenz angesehen wird, ist wiederum eine Definitionsfrage. Zeitungen müssen sich, unabhängig von ihrer jeweiligen wirtschaftlichen Lage, um junge Leser bemühen. Das gehört absolut zum Kerngeschäft einer Zeitung und ist sowohl für Anzeigenkunden wie auch für die langfristige Auflagenentwicklung wichtig.

Die Frage, was notwendig und was purer Luxus ist, kann man nicht pauschal beantworten. Zeitungen müssen einzigartig und unverwechselbar bleiben.

Mit der Streichung der unkonventionelleren Teile innerhalb einer Zeitung fällt die Unverwechselbarkeit weg. Gibt es hier auch einen Zusammenhang mit der allgemeinen gesellschaftlichen Entwickung nach dem 11. September des vergangenen Jahres? Damals sagten viele, dass die Zeiten der Spaßgesellschaft vorbei seien. Ist jetzt auch in München Schluss mit lustig?

Jetzt ist kein Spaßmagazin gewesen, sondern ein Blatt für Jugendliche. Ich weiß nicht, welche Vorstellungen manche von Jugend haben, ich habe auch nie die Äußerungen von Peter Scholl-Latour zum Ende der Spaßgesellschaft verstanden. Jetzt hat die ganze Spannbreite der Lebenswelt von Jugendlichen abgedeckt, und das geht von Popmusik über Filme bis hin zu Fragen von Ausbildung und Beruf.

Gerade die beruflichen Aussichten sind heute für Jugendliche extrem wichtig. Die Zeiten, in denen man sagte, zuerst studiere ich, dann werde ich schon einen Job finden, sind ja schon lange vorbei. Was soll an der Jugend so witzig sein? Die Jobs sind unsicher, die Mieten in den Ballungszentren unerschwinglich, was haben diese Themen mit Spaßgesellschaft zu tun?

Wie drückte sich diese Ernsthaftigkeit im Magazin aus?

Wir haben in jetzt politischen Journalismus betrieben, wir haben über Carlo Guiliani berichtet, viel über Rechtsradikalismus gebracht und zum Beispiel Ilka Schröder poträtiert, diese etwas renitente Abgeordnete im Europaparlament. Wenn also jemand sagt, jetzt war doch dieses Witzblättchen, wo es nur darum ging, welcher Turnschuh gerade hip ist und welche Platte man sich in dieser Woche kaufen muss, der hat das Heft einfach nicht gelesen.

Sie würden also nicht sagen, dass jetzt ein eher postideologisches Gute-Laune-Blatt für Gymnasiasten aus besserverdienenden Elternhäusern war?

Da muss ich gegenfragen: Welches Magazin mit so einer Auflage und Verbreitung macht zum Beispiel ein schwules Sonderheft wie wir es gemacht haben?

War es vielleicht sogar ein Fehler, dass man bei jetzt nicht hemmungslos auf Zeitgeist- und Popjournalismus gesetzt hat? Sozusagen um gerade in schlechten Zeiten eine Art utopischen Gegenentwurf anzubieten?

Jugendliche interessieren sich für weit mehr als nur für Popmusik, viele Bereiche des täglichen Lebens würden bei einer Konzentration auf Pop und Lifestyle nicht angesprochen werden, und ein entsprechendes Blatt wäre schnell uninteressant.

Jetzt war aber nicht von Anfang an ein teilkritisches Medium. Es wurde erst mit der Zeit, durch Druck vom Mutterblatt, ernster, vielleicht auch, um näher an diesem dran zu sein.

Das Magazin hat im Lauf seiner neun Jahre eine Geschichte, einen Wandel durchlebt, sonst hätte es seinen Namen, also wortwörtlich jetzt, ja nicht verdient. Sicher hat es je nach Zusammensetzung der Redaktion und des jeweiligen Zeitgeistes unterschiedliche Akzente gegeben.

So ist ja auch das Buch »No Logo« von Naomi Klein eine Reaktion auf die unkritischen, hedonistischen Tendenzen, die es vor einiger Zeit gab. Es wäre daher absurd gewesen, wenn wir das Thema Globalisierungskritik oder die Macht der Marken negiert hätten. Zum Thema Markenkult haben wir im vergangenen Jahr sogar ein ganzes Heft gemacht.

War es am Ende für jetzt nicht zu schwierig, einen Rest Hedonismus und eine »No Logo«-Bewegung auf einen Nenner zu bringen?

Man kann der Jugend von heute jedenfalls nicht vorwerfen, dass sie nicht »Ho-Ho-Ho Chi Minh« rufend durch Frankfurts Innenstadt läuft. Ich empfinde es eher als einen geschichtlichen Fortschritt, dass sich die Globalisierungskritik inhaltlich und mit großem Detailwissen mit ihrem Thema beschäftigt, statt sich T-Shirts zu basteln, auf denen »Ami go home« steht. Das war natürlich einfacher, aber ich bezweifle, dass es besser war.

Glauben sie nicht, dass jetzt bald vergessen sein wird, dass sich das Heft als durchaus verzichtbare Spielwiese herausstellen wird?

Wir haben uns nie als nice to have, als Spielwiese, gesehen. Wir hatten den Auftrag, junge Menschen, denen eine Zeitung noch zu kompliziert ist, an diese heranzuführen. Das jetzt-Magazin wird vielen Leuten fehlen. Kürzlich schrieb mir eine Leserin, Viva Zwei ist eingegangen, Eins live spielt nur noch fragwürdige Musik, das jetzt-Magazin gibt es nicht mehr - an welchen Medien soll ich mich nun eigentlich noch orientieren? Ich konnte es ihr auch nicht sagen.

Wäre es denn nicht möglich, jetzt autonom weiterzuführen, schließlich hätte man immerhin eine starke Marke als Anfangskapital zur Hand?

Es gab zwar das jetzt-Montagsabo, aber das Magazin war immer an die Zeitung gebunden. Der Vertrieb ist immer das Teuerste. Die Gehälter und Honorare für die Redaktion, Autoren, Grafik etc. waren nicht das Problem, sondern der Vertrieb.

Ob das Magazin alleine überlebensfähig sein würde, halte ich für mehr als zweifelhaft. Eine Marke alleine nutzt auch nichts.