Finanzieller Niedergang der Fußballvereine

In der neuen Schnapsbude

Der finanzielle Niedergang des italienischen Fußballs betrifft vor allem die Konkurrenten von Berlusconis AC Milan.

Calciocaos«, Fußballchaos, titelte die Gazetta dello Sport unlängst ebenso knapp wie treffend. Zählte doch der Profifußballverband Lega Calcio gleich 23 italienische Klubs auf, deren Lizenzen für die kommende Saison gefährdet waren: 15 in der C-Klasse, sechs in der B-Klasse sowie die beiden an der Börse notierten erstklassigen römischen Vereine Lazio und AS Rom.

Außerdem verlangten acht kleinere Vereine der Seria A, darunter Atalanta, Chievo und Perugia, sowie Venezia, Vicenza und Verona in der Seria B die Verschiebung des Beginns der neuen Saison um einen ganzen Monat. Ihnen war es nicht gelungen, in den Verhandlungen mit den Pay-TV-Sendern Stream und Telepiú um die Übertragungsrechte ihrer Spiele zu einem Abschluss zu kommen.

Die vom Profiverband ermahnten Klubs mussten alle relevanten Betriebsunterlagen der Covisoc, der Mailänder Kontrollinstanz für die Bilanzen der Fußballvereine, vorlegen, deren Beurteilung den Ausschlag bei der Lizenzerteilung durch die Legia Calcio gibt. Die Vereine sollten so nachweisen, dass etwa die Ablösesummen für neue Spieler und die in der Vorsaison angefallenen Gehälter auch wirklich bezahlt worden sind und die Finanzierung des laufenden Betriebs gesichert ist.

Dass die Lega Calcio den Vereinen Lazio und AS Roma, der hochverschuldeten Fiorentina (AC Florenz) sowie u.a. Klubs aus Neapel, Genua, Verona, Messina und Palermo öffentlich mit dem Ausschluss vom Spielbetrieb drohte, empörte die Präsidenten von Lazio und AS Rom, Franco Sensi und Sergio Cragnotti. Sie machten den »bürokratischen Alarmismus« des Mailänder Präsidenten des Profiverbands, Adriano Galliani, dafür verantwortlich, dass der Börsenkurs ihrer römischen Unternehmen umgehend absackte. Bis auf den AC Florenz, der es besonders spannend machte, konnten nämlich alle fraglichen Vereine ihre Konten zum fälligen Termin regeln.

Der Umstand, dass Lazio und der AS ins Gerede gebracht wurden, rief aber auch die ansonsten in gegnerischen politischen und fußballerischen Fraktionen stehenden Politiker Massimo D'Alema (Linksdemokraten) und Francesco Storace (Nationale Allianz) auf den Plan, die willkürliche geographische und politische Trennungen im italienischen Fußball auszumachen glaubten.

Tatsächlich ist Galliani, ein ehemaliger Fernsehmanager in Berlusconis Mediaset-Unternehmen und der von seinem Arbeitgeber gewünschte und an die Spitze des italienischen Profiligaverbands gebrachte Statthalter, zugleich Vizepräsident des AC Milan, dessen Eigner wiederum Berlusconi ist. Besonders D'Alema fiel auf, dass die Ausschlussdrohung seltsamerweise die beiden Hauptkonkurrenten der Milanesen traf. War da etwa eine Verschwörung gegen die römischen Vereine im Gange?

Franco Sensi, der Präsident des Vorjahresmeisters AS Roma, ist vermutlich davon überzeugt. Denn er hat sich seit März standhaft geweigert, die bei der Lega Calcio ausstehenden Vereinsschulden von 6,3 Millionen Euro zu bezahlen. Die Rechtmäßigkeit einer Teilforderung - ein fester Prozentsatz der Heimspieleinnahmen aus dem Pay-TV, der den Gästen zusteht und der über den Verband abgerechnet wird, drei Millionen Euro insgesamt - bezweifelt Sensi und fordert eine Untersuchung. Von Inter und AC Milan würden nämlich niedrige Gebühren erhoben.

Dass nun ausgerechnet der Außenminister und Ministerpräsident Silvio Berlusconi in seiner Eigenschaft als Vorsitzender von Milan den spektakulären Transfer des Brasilianers Rivaldo von Barcelona nach Mailand als seinen Sieg verbuchen kann, während der für die Sanierung der Bilanzen so wichtige Transfer des Lazio-Verteidigers Nesta zu Inter seit zwei Monaten auf Eis liegt und geplante Einkäufe deshalb fraglich sind, ist ein weiteres Indiz für Verschwörungstheoretiker.

Zweifellos hat Berlusconi damit einen sensationellen Prestigeerfolg an den Tresen der »neuen Schnapsbude« errungen - so bezeichnete der Surrealist George Sadoul den Sport in einer Zeit, als die Surrealisten noch Recht hatten. Der ablösefrei für drei Jahre mit einem Saisongehalt von 4,5 Millionen Euro verpflichtete Weltmeister wird Trainer Carlo Ancelotti dazu zwingen, sein System umzuwerfen. Denn mit Costa, Inzaghi, Tomasson, Schewtschenko, Pirlo und Seedorf herrscht in Milans Weltklassesturm ohnehin schon ein ziemliches Gedränge.

Eine Verstärkung der Hintermannschaft wäre wichtiger gewesen. Doch ein phantastisches Lokalderby im San Siro-Stadion mit Ronaldo (Inter) und Rivaldo (Milan) wird wieder für gute Stimmung sorgen und Themen wie Streiks gegen Arbeitsmarktreformen oder langweilige ethische Dispute um Interessenkonflikte in den Hintergrund treten lassen.

Was spielt es da noch für eine Rolle, dass ausgerechnet der Vizepräsident von Milan und Vorsitzende des Profiverbands, Adriano Galliani, den Klubs eben erst geraten hat, an den Ausgaben zu sparen und die Spielergehälter mindestens um 20 Prozent zu kürzen.

Beherzigt wurde der Rat nur von wenigen. Die Inter-Spieler Vieri, Ronaldo und Recoba wollen, damit der Verein und die A-Klasse nicht vor die Hunde gehen, vorsorglich auf fünf Prozent ihres Einkommens verzichten. Der Trainer des in die B-Klasse abgestiegenen Hellas Verona ließ sich von seinem Präsidenten das Gehalt gar um 40 Prozent kürzen.

Nicht mehr viel geholfen hätte ein solcher Verzicht der Associazione Calcio Firenze, deren Existenz als Profiklub auf dem Spiel stand. Der vom ehrgeizigen Filmproduzenten Vittorio Cecchi Gori in den Ruin und in die Obhut eines Konkursverwalters geführte zweifache Meister und sechsfache Pokalsieger schuldete seinen Spielern und der Lega bereits 22 Millionen Euro.

Als Bürgschaften oder Kapitalerhöhungen scheiterten und ein neuer Käufer bis zuletzt ausblieb, stellte der bei den Florentiner Tifosi umstrittene Gori zur Rettung des Klubs seine barocken Liegenschaften, darunter das Kino Adriano in Rom und den Palazzo Borghese, den Banken für einen Kredit zur Verfügung. Zudem bat er, damit in letzter Sekunde alle nötigen Unterschriften beigebracht werden konnten, den Prüfungsausschuss um eine zweitägige Verlängerung der Abgabefrist für die Finanzunterlagen.

Doch die Kreditinstitute zeigten sich an den Immobilien nicht interessiert. Deshalb versagte auch der Finanzplan, den Franco Tató, im Hauptberuf Manager des Modekonzerns Prada, zur Rettung des Clubs aufgestellt hatte.

Der Rat des Dachverbands konnte am Donnerstag vergangener Woche nicht umhin, das Ende des Traditionsvereins zu verkünden. »Der alte AC Florenz existiert nicht mehr. Der Club muss neu gegründet werden«, erklärte Galliani. Als Entgegenkommen gegenüber der Stadt, in der angeblich in der Renaissance der Fußball erfunden wurde, darf der Club jedoch unter dem neuen Namen Fiorentina 1926 und mit einer völlig neuen Struktur in der C2-Klasse, vergleichbar der deutschen Regionalliga, neu beginnen.