Michael Manns »Ali«

Ali, Ali über alles

Michael Manns Boxerfilm »Ali« hat zwei Probleme. Er tanzt nicht wie ein Schmetterling. Und er sticht nicht wie eine Biene.
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Das südafrikanische Fernsehen hatte im März hohen Besuch. Will Smith war zur Premiere seines neuen Films »Ali« nach Johannesburg gekommen und stellte sich danach noch einem einstündigen Interview. Die Kulisse wirkte, als ob normalerweise eine billige daily soap darin gedreht würde. Der schwarze Interviewer bebte sichtlich vor Ehrfurcht; seine Fragen sprangen wild zwischen Will Smiths Privatleben und Muhammad Alis Bedeutung für die schwarze Bürgerrechtsbewegung hin und her. Irgendwann fiel im Studio das Licht aus.

»Oh, the white man turned off the light!«, grinste Smith. Im Hintergrund wurde erleichtertes Gelächter der Techniker laut. Der Interviewer schloss den Star spontan und fest in die Arme.

Die Erdgas-Arena in Riesa hatte Ende Juni noch höheren Besuch. Muhammad Ali war nach Sachsen gekommen, um sich einer einstündigen Ehrung mit anschließender Vorführung von »Ali« zu stellen. Riesa bot auf, was eine Stadt von 40000 Einwohnern an Glamour aufbieten kann. Vor der Bühne saßen Axel Schulz und Martin Semmelrogge, neben Ali nahmen seine ehemaligen deutschen Gegner Karl Mildenberger und Jürgen Blin Platz. Bürgermeister Wolfram Köhler nannte den größten Boxer aller Zeiten »ein Symbol für alle im Osten, die sich an den eigenen Haaren aus dem Sumpf ziehen werden«. Udo Lindenberg trat auf und sang: »Sollte Martin Luther King umsonst gestorben sein, dann packe ich mein Mikrofon für immer ein!« Irgendwann drehte sich Ali zu Mildenberger und rief heiser: »Eine Runde hab' ich noch in den Fäusten!« Während die beiden alten Männer einen Schlagabtausch simulierten und sich lachend umarmten, standen die 3 500 Zuschauer auf und jubelten.

Will Smith spielt die Titelrolle in Michael Manns neuem Film »Ali«, und Muhammad Ali wird porträtiert in dem 159 Minuten langen Werk, das ab 15. August auch in Deutschland zu sehen ist. In den USA blieben die Einspielergebnisse des Films weit hinter den finanziellen Erwartungen zurück: 110 Millionen Dollar hat er gekostet, aber auf dem heimischen Markt nur 60 Millionen eingebracht. Um ihn in die Gewinnzone zu stemmen, ließen sich Smith und Ali also zu einer Promotour an Orten überreden, wo Weltstars sonst seltener Halt machen.

Wenn der Abspann von »Ali« läuft, weiß man, warum der Film nicht nur kommerziell, sondern trotz eines Schauspielerensembles in Bestform (neben Smith spielen Jon Voight, Mario van Peebles, Nona Gaye und Jada Pinkett Smith) auch künstlerisch hinter den Erwartungen zurückblieb.

Irgendwann während der zweieinhalb Stunden tut einem der Hintern weh. Der Film tanzt einfach nicht wie ein Schmetterling. Und er sticht nicht wie eine Biene.

»Ali« erzählt die Geschichte des Boxers Cassius Clay/Muhammad Ali von 1964 bis 1974, also von seinem ersten WM-Sieg gegen Sonny Liston bis zum Rumble in the Jungle gegen George Foreman. Fast alles, was Ali zu einer Ausnahmefigur innerhalb und außerhalb des Rings gemacht hat, liegt in diesem Zeitraum: seine Hinwendung zum Islam; seine Namensänderung; die Weigerung, Wehrdienst zu leisten; seine jahrelange Sperre; der Tod seines Freundes Malcolm X; das Comeback; der neuerliche Titelgewinn in Kinshasa.

Wenn man chronologisch erzählen will, sind 159 Minuten also deutlich zu wenig. Regie und Autoren hätten auswählen, bündeln, interpretieren müssen, um dieses Leben in den Griff zu bekommen. Aber genau das geschieht nicht.

Jede wichtige Figur, die Alis Leben in diesen zehn Jahren gekreuzt hat, tritt auf. Jede seiner Ehefrauen bekommt genau eine Kennenlernszene zugewiesen. Beim nächsten Auftritt ist sie bereits Frau Ali.

Michael Mann ist als Regisseur fast ganz oben. Er hat »Der letzte Mohikaner«, »Heat« und »The Insider« gedreht. Nur der Oscar fehlt noch, und der sollte hier wohl erzwungen werden. Gleich vier Autoren, von denen einer den Oscar bereits hat, schrieben mit an dem Buch. Zusätzlich wurden Alis Trainer Angelo Dundee als technischer Berater und Alis Hausfotograf Howard Bingham als ausführender Produzent ins Unternehmen geholt.

Auch das war zu viel. Anscheinend hat sich niemand getraut, der Horde von gestandenen Altmeistern in die dekorierten Hintern zu treten, damit sie moderner und respektloser erzählen. Zumindest hätte ihnen jemand sagen sollen, dass es ein Fehler ist, in der letzten halben Stunde des Films ausschließlich den Foreman-Kampf von 1974 zu behandeln. Dadurch begibt »Ali« sich in unmittelbare Konkurrenz zu Leon Gasts brillantem Werk »When we were Kings« (1996), das in dokumentarischer Weise denselben Kampf behandelt. Ein Vergleich, an dem die Spielfilmvariante scheitern musste.

Bemerkenswert ist »Ali« dennoch. Und zwar wegen Manns Konzept, die Kampfszenen zu inszenieren, die hier - wie in jedem Film des Genres - die dramatischen Höhepunkte bilden. Zunächst hält sich der Regisseur an bewährte inszenatorische Konzepte, mit denen man die Zuschauer glauben machen kann, dass der Hauptdarsteller ein guter Boxer ist: Ein paar tänzelnde Schritte in der Totale, die eigentlichen Schlagwechsel meist in Nahaufnahme gefilmt, auf spektakuläre Treffer oder Ausweichbewegungen reduziert und rasend schnell geschnitten. Mit diesen Verknappungen wird seit Jahrzehnten effektiv gearbeitet.

Schon Sylvester Stallone präsentierte sich als »Rocky« (ab 1976) in seinen comichaften Ringschlachten auf diese Weise. Und auch Robert de Niro als Jake LaMotta in »Raging Bull« (1980) konnte so für wenige Filmminuten in grell beleuchteten, schwarzweiß-ästhetisierten Szenen als Weltmeister inszeniert werden, der auch außerhalb des Kinos Kämpfe gewinnen könnte. In Wirklichkeit hätten natürlich beide Schauspieler gegen jeden beliebigen Boxprofi nicht mal die zweite Runde erreicht.

Während aber »Rocky«, »Raging Bull« und viele andere gute Boxerfilme (auch »Gentleman Jim«, »Triumph of the Spirit« und »Hurricane« sind hier zu nennen) auf die Verfremdung des Kampfgeschehens setzen, um es künstlerisch zu überhöhen, geht Mann genau den umgekehrten Weg. Offenbar hat er die Kämpfe akribisch analysiert. Jede Bewegung, jede zentrale Schlagfolge, die der Ali-Fan aus Dutzenden Kampfberichten oder Dokumentationen kennt, wird er in Manns Film wiederfinden. Die Regie lässt Smith quasi Coverversionen von Ali-Kämpfen abliefern. Das kann nicht gut gehen.

Denn sicherlich ist Smith ein Bewegungstalent, aber er ist eben kein Boxgenie. So schleicht sich beim Betrachter das gleiche Gefühl ein, das auch beim Abspann aufkommt: Ein bisschen weniger Materialschlacht und Zwanghaftigkeit, ein bisschen mehr Mut zur Interpretation, und »Ali« wäre ein besserer Film geworden. So ist er nur ganz okay.

»Ali« (USA 2001), R: Michael Mann, Start: 15. August