Aus dem Weg, hier komme ich

Gerhard Schröders Rede vom »deutschen Weg« ist falsch, rotzfrech und nationalistisch. Eine Analyse

Aus dem Weg, hier komme ich

Gerhard Schröders Rede vom »deutschen Weg« ist falsch, rotzfrech und nationalistisch. Eine Analyse von philipp steglich

Eigentlich wollte sich die SPD noch etwas Zeit lassen. Doch angesichts der miserablen Umfragewerte zogen es die Sozialdemokraten vor, den Wahlkampfauftakt kurzerhand um zwei Wochen vorzuverlegen. Und so eröffnete Gerhard Schröder am Montag voriger Woche auf dem Opernplatz in Hannover den Wahlkampf seiner Partei. Seinen ehemaligen Regierungssitz gedachte der Kanzler wohl für ein Heimspiel nutzen zu können. Schließlich hatte er von hier aus, als niedersächsischer Ministerpräsident, vor vier Jahren das Kanzleramt erobert. Und was damals glückte, das soll in diesem Jahr noch einmal gelingen.

Anders aber als 1998 steht ihm kein Oskar Lafontaine zur Seite, der die diffusen Hoffnungen der Wähler auf einen »Politikwechsel«, auf mehr soziale Gerechtigkeit verkörpern könnte. Lafontaine bedient diese Ansprüche von seinem Altersruhesitz in Saarbrücken auch weiterhin. Sein aktuelles Buch mit dem bezeichnenden Titel »Die Wut wächst«, artikuliert das Unbehagen an der Rücksichtslosigkeit des - natürlich amerikanischen - Kapitalismus, ohne jedoch eine tiefer gehende Kritik zu leisten.

Gerhard Schröder gab sich in Hannover alle Mühe, diese Haltung zu übernehmen und in seine Politik zu integrieren. Gründe dafür gibt es genug. Einer davon ist, dass Lafontaine als eine für viele Seiten offene Projektionsfläche nicht mehr zu Verfügung steht. Nach dem Bruch vieler Wahlversprechen existieren keine rationalen Gründe mehr für eine Wiederwahl von Rot-Grün (einzige Ausnahme: Edmund Stoiber), und so muss Schröder an das Gefühl der Zukurzgekommenen appellieren.

Das versucht er ausgerechnet, indem er sich als einer von ihnen ausgibt. In Abwandlung des Lafontaineschen Buchtitels verbreitet Schröder die Botschaft »Der Mut wächst«. Mut aber ist allenfalls ein Gefühl von Halbstarken und gehört nicht zu den Eigenschaften, die einen Regierungschef in der Regel auszeichnen.

Auch der Slogan von 1998, »Die neue Mitte«, hat an Strahlkraft eingebüßt und muss daher dringend ersetzt werden. Bisher wurde ein Ersatz allerdings nicht gefunden. Unklare Begriffe wie »Nachhaltigkeit« konnten keine Publikumswirksamkeit erlangen. Deswegen musste Schröder seine Rede in Hannover so beginnen: »Es ist wahr, wir haben uns auf den Weg gemacht, auf unseren deutschen Weg, und wir haben viel geschafft, aber wir haben noch nicht alles erreicht. Deshalb denke ich, dass wir die Erneuerung unseres Mandats brauchen, um diesen deutschen Weg zu Ende gehen zu können.«

Das also soll Schröders neuer Lockruf für die Endphase des Wahlkampfs sein. Seither rätselt das In- und Ausland, was der »deutsche Weg« bedeuten soll. Denn die Sozialdemokraten haben kein Urheberrecht auf diesen Begriff. Dass der Kanzler sich auf die nationalsozialistische Zeitschrift Der deutsche Weg - Kampfblatt für volksdeutsche Arbeit, die seit 1935 im polnischen Lodz erschien, bezieht, kann ausgeschlossen werden. Doch wird dieser Terminus auch sonst bei den Rechten gern verwendet. So gründete der Neonaziaktivist Michael Thiel vor einigen Jahren eine rechtsextreme Splittergruppe namens »Der Deutsche Weg«. Doch auch diesen Weg wird der Kanzler nicht gemeint haben.

Was könnte sonst hinter des Kanzlers deutschem Weg stecken? Ausgerechnet die Opposition warf Schröder »Deutschtümelei« (Hans-Dietrich Genscher) vor und mokierte sich über die Verwechslungsgefahr mit der Rede vom »deutschen Sonderweg«.

Mit diesem Begriff versuchte die Geschichtswissenschaft, den Weg Deutschlands in den Nationalsozialismus zu erklären. Im Gegensatz zu Frankreich oder England kam es im Deutschland des 19. und 20. Jahrhunderts nicht zu einer Teilhabe der Bevölkerung an der politischen Macht und zu einer Demokratisierung. So sollen sich nationalistischer Untertanengeist und Militarismus herausgebildet haben. Dass man aber auch den langjährigen Verzicht der Bundesrepublik nach 1945 auf Auslandseinsätze der Bundeswehr inzwischen als »Sonderweg« bezeichnet, belegt die mangelnde Trennschärfe dieses Begriffs.

Schröder bemüht sich in seiner Rede nun, zu definieren, was er sich unter einem »deutschem Weg« vorstellt. Man sei dabei, so schickt er voraus, »auf einem guten Weg«. Aber »bei allem, was da an Ratschlägen von außen kommt, muss eins klar bleiben: ob ein junger Mann oder eine junge Frau zu Deutschlands hohen und höchsten Schulen gehen darf oder nicht, das darf allein abhängen von dem, was er oder sie im Kopf hat. Das darf niemals abhängen vom Geldbeutel der Eltern.«

Die undeutlichen »Ratschläge« kommen »von außen«, vielleicht gar aus der Fremde, und betreffen die Unfähigkeit des hiesigen Bildungssystems, sozial Schwächere zu integrieren. Dass Schröder keine Universitäten kennt, sondern nur »höhere Schulen«, zeigt, dass er Bildung nur als Ausbildung begreift.

Die Attitüde des vorgeblichen Klassenkampfes setzt sich weiter fort. »Aber eines muss ein Ende haben: dass in einigen Spitzenpositionen Millionen und zig millionenfache Abfindungen kassiert werden, während die anvertrauten Menschen auf die Straße gesetzt werden.« Bisher haben wenige Sozialdemokraten die Arbeitnehmer, und selbst dieser Ausdruck ist ja schon eine Beschönigung, als der Wirtschaft »Anvertraute« begriffen. Soll man sich darunter unmündige Menschen, die nicht nur bezahlt, sondern auch betreut werden müssen, vorstellen? Schröder erklärt es nicht.

Auch für diejenigen, »die über Zumutbarkeit reden«, hat Schröder eine Botschaft. Wenn sie sagen, »niemand soll sich drücken dürfen«, dann stimmt er zu. »Aber wenn das klar ist«, so der Kanzler, »dann müssen die mit gutem Beispiel vorangehen, die in den Spitzenpositionen unserer Wirtschaft sind.« Bei dem billigen Versuch, Neid auf die »Spitzengehälter« der Manager zu schüren, bleibt es nicht. Während der Vizekanzler Joseph Fischer noch immer den zahmen und vermeintlich gerechten »rheinischen Kapitalismus« als Gegenmodell anführt, bemüht Schröder das nationale, das »deutsche Modell«. Und deutsche Modelle kommen ohne Gegenspieler nicht aus.

»Die Zeiten, in denen uns, was die Wirtschaft angeht, Amerika und andere als Vorbild dienen sollten, die sind nun wirklich vorbei. Das Ausplündern kleiner Leute in den Vereinigten Staaten, die sich jetzt Sorgen um ihre Altersversorgung machen müssen, während ein paar Spitzenmanager nach Firmenpleiten Millionen und Milliarden nach Hause tragen, das ist nicht der deutsche Weg, den wir für unser Volk haben wollen.« Und aus diesem Grund will er »eine neue Moral, eine neue Ethik bei denen einfordern, die die wirtschaftlichen Eliten dieses Landes sind«. Weil es natürlich die Moral da braucht, wo eine Politik nicht stattfindet.

Die Abgrenzung von den USA wird auch in der Frage eines Krieges gegen den Irak deutlich: »Aber Spielerei mit Krieg und militärischer Intervention - davor kann ich nur warnen. Das ist mit uns nicht zu machen.« Hier spielt nicht der Irak, sondern die USA leichtfertig mit Krieg. Selbst »die Zeit der Scheckbuchdiplomatie ist endgültig zu Ende«, die noch 1990 Helmut Kohl betrieb. Denn »unser Deutschland ist ein selbstbewusstes Land«.

Was Schröders Rede, die wohl das Ende des Wahlkampfes programmatisch bestimmen wird, ausmacht, sind vor allem die rechten, nationalen Stereotypen. Das undeutliche Fremde, das »unsere« Lebensweise von »außen« bedroht und dem eine umso stärkere Partnerschaft im Inneren entgegengesetzt werden muss. Auch spricht Schöder immer vom »Volk« und nie von der Bevölkerung. Die vorgeblich kapitalismuskritischen Beschwörungsformeln haben die Aufgabe, das nationale Zusammenrücken zu verstärken.

Mit dem Bonus des unbeirrten Staatsmannes versucht Schröder, den Kandidaten der Union, Edmund Stoiber, der allenfalls nur bayerische Partikularinteressen wahrnehme, in den Schatten zu stellen. Nur er, der sozialdemokratische Kanzler, habe den Blick für das »große Ganze«. Und »das Selbstbewusstsein«, sich nicht einfach freizukaufen, wie früher Kohl.

Wie sprachlich unvermögend, falsch, aber rotzfrech vorgetragen das alles ist, macht auch die folgende Aussage klar: »Das Erbe der Aufklärung und die innere Sicherheit bewahren - das ist ebenfalls Inhalt unserer Politik. Das war so und wird so bleiben.« Immanuel Kant, Otto Schily und Gerhard Schröder - ob das die neue Troika ist?