Pläne zur Zukunft des Ground Zero

Nachdenken über Löcher

Über die Zukunft des Ground Zero wird gestritten. Es geht um ein Mahnmal, Bürohäuser und die Harmonie in Manhattan. Doch die Stadt verlangt Gehör.

Wenn man in diesen Tagen durch Downtown Manhattan spaziert, scheint auf den ersten Blick alles seinen gewohnten Gang zu gehen. Es ist Sommer, und die Klimaanlagen der Hochhäuser pusten Hitzewinde durch die ohnehin schon aufgeheizten Straßen. Tritt man in eins der allgegenwärtigen Schlaglöcher, fühlt es sich an, als würde der Asphalt unter den Füßen nachgeben. Wer es sich leisten kann, ist im Urlaub, was nicht nur dazu führt, dass weniger Angestellte der umliegenden Büros als sonst auf den Straßen zu sehen sind, sondern auch mehr Touristen: Die machen ja auch Urlaub, und wer in diesen Tagen nach New York reist, kommt nicht zuletzt, um sich den Ground Zero anzuschauen.

Der Weg zur Aussichtsplattform führt an jenem berühmten Trauerzaun entlang, der einen, obwohl man ihn schon ungezählte Male im Fernsehen oder auf Fotos gesehen hat, tatsächlich ergreift. Wahrscheinlich weil all diese Bilder eben eines nicht zeigen, nämlich wie verdreckt, zerrissen und kaputt all die Mützen, T-Shirts, Briefe, Fotos, Fahnen und Widmungen sind, die die Trauernden hier angebracht haben, wie sehr all diese Dinge der Zeit unterworfen sind, die seit dem 11. September vergangen ist.

Diese sichtbare Vergänglichkeit ist etwas, was das offizielle Mahnmal, wie auch immer es aussehen wird, mit seinem steinernen oder stählernen Repräsentationspathos nie wird haben können, obwohl Trauer doch gerade das ist: der Zeit unterworfen, alltäglich, ein einsames und trauriges Geschäft, das genau dann vorbei ist, wenn man einen Modus gefunden hat, das Vergessen und Erinnern all derjenigen, die tot sind, so auszubalancieren, dass man damit leben kann.

Steht man dann auf der Aussichtsplattform, stellt man fest, dass Ground Zero einem gleichzeitig groß und klein vorkommt. Es ist eine riesige Baugrube, die einem groß erscheint, weil sie sich über ein riesiges Grundstück von sechseinhalb Hektar Grundfläche erstreckt. Und der Umstand, dass das Gelände seit einigen Wochen von Trümmern freigeräumt ist, unterstreicht noch die klaffende Leere dieses gigantischen Lochs.

Klein kommt Ground Zero einem aber deshalb vor, weil es in den Monaten seit dem Anschlag zu einem Symbol für so viele verschiedene Dinge geworden ist, dass man sich, steht man einmal davor, kaum vorstellen kann, dass sie alle in diesem real existierenden Loch Platz haben könnten.

Noch ist Ground Zero eine riesige leere Grube, doch die Debatte darüber, was dort einmal stehen soll, ist in vollem Gange. Wobei es allerdings bisher, allen interessant anzuschauenden Modellen zum Trotz, noch gar nicht darum geht, wie es denn dort eines Tages aussehen soll. Noch ist es eine rein städteplanerische Debatte: Wer soll dieses Gelände einmal wie nutzen?

Manhattan hat zwei Zentren, Downtown und Midtown. Bis zum 11. September konnte man das schon aus der Ferne an der Skyline sehen. Downtown, das war da, wo das World Trade Center von anderen Hochhäusern umgeben war. Dort ist der Financial District und die Wall Street. Midtown, das ist da, wo sich das Empire State Building über seine Nachbarhochhäuser erhebt.

Diese Skyline ist seit den Anschlägen zwar vollends verändert, doch schon vorher standen in Midtown unverhältnismäßig mehr Hochhäuser als im Financial District. Und so dreht sich die Debatte über die Zukunft von Ground Zero erstaunlicherweise nicht zuletzt um eine Frage, die sich schon in den Sechzigern stellte und auf die der Bau des World Trade Center eine Antwort sein sollte. Wie geht man mit dem Umstand um, dass mehr und mehr Unternehmen Downtown Manhattan verlassen und sich in Midtown ansiedeln? Versucht man ein Gleichgewicht zwischen den beiden Zentren wiederherzustellen oder gibt man der Entwicklung des Financial District eine andere Richtung?

Als David Rockefeller, der Präsident der Chase Manhattan Bank, und sein Bruder Nelson, der Gouverneur des Staates New York, die Idee entwickelten, ein großes internationales Handelszentrum an den East River zu bauen, stand die Idee im Vordergrund, so könne man die Abwanderung von Unternehmen aus dem Financial District in Richtung Midtown stoppen. Lower Manhattan war damals ein fast reiner Business-Bezirk, in dem gerade einmal 800 Menschen lebten.

Die Rockefeller-Brüder nahmen Kontakt zur Port Authority auf, jener halbstaatlichen Behörde, die für den Betrieb sämtlicher Tunnels und Brücken zuständig ist, die New York und seinen Nachbarstaat New Jersey verbinden, sowie für die drei Flughäfen der beiden Staaten.

Allerdings wird die Port Authority bis heute nur zur Hälfte vom Gouverneur des Staates New York kontrolliert, die andere Hälfte liegt in den Händen des Gouverneurs von New Jersey. Für ihn fiel aber bei einem solchen Projekt kein Gewinn ab. Der Gouverneur von New Jersey machte also ein Angebot.

Wenn New York die Sanierung der maroden Hudson & Manhattan Railroad übernehmen würde, werde er sich dem Projekt nicht entgegenstellen. Als Teil des Deals bekam die Port Authority noch ein paar Bürogebäude an der Church Street überschrieben, die über dem ehemaligen Endbahnhof der Hudson & Manhattan Railroad gebaut worden waren. Die Port Authority beschloss, sie abzureißen, und die Brüder Rockefeller entschieden sich, das World Trade Center hier bauen zu lassen und nicht am East River. Eine städteplanerische Notwendigkeit gab es für diese Entscheidung nicht, sie war vor allem dem Umstand geschuldet, dass man das Grundstück nun einmal hatte.

Daran gemessen, was mit seinem Bau erreicht werden sollte, war das WTC allerdings von Anfang an ein Fehlschlag. Die Abwanderung von Unternehmen konnte es nicht aufhalten, im Gegenteil. Downtown Manhattan wurde mehr und mehr zu einem Wohnbezirk. Mittlerweile leben dort mehr als 20 000 Menschen. Auch den Anspruch, das Welthandelszentrum zu sein, konnte das Gebäude nicht einlösen. Es stand nur deshalb nicht leer, weil die Port Authority ihre Büros in den einen Tower verlegte und im anderen Tower 50 Stockwerke von den Behörden der Stadt New York genutzt wurden.

Erst in den späten neunziger Jahren, als in der Folge des Börsenbooms der Büroraum knapp wurde und die Mieten stiegen, begannen sich Unternehmen im größeren Maßstab für Räume im WTC zu interessieren. Das führte schließlich dazu, dass die Port Authority im Sommer 2001, wenige Wochen vor dem 11. September, das WTC für 99 Jahre an den Immobilienmakler Larry Silverstein verpachtete, der die beiden Türme ihrem ursprünglichen Zweck zuführen und dort Highend-Büros vermieten wollte. (Silverstein versicherte das WTC auch gegen Katastrophen jeder Art und befindet sich nun mit seinen Versicherern in einem Rechtsstreit darüber, ob es sich bei der Attacke vom 11. September um einen Angriff handle - schließlich war es eine Terrorgruppe - oder um zwei - schließlich waren es zwei Flugzeuge. Keine unwichtige Frage, denn vom Ausgang dieses Rechtsstreits hängt ab, ob Silverstein 3,5 oder sieben Milliarden Dollar zugesprochen bekommt. Geld, das in die Bebauung des Geländes fließen wird.) Gleichzeitig unterschrieb Westfield America, eine Shopping Mall-Betreiberkette, einen Pachtvertrag für die Mall im WTC, ebenfalls mit einer Laufzeit von 99 Jahren.

Was tun? Unmittelbar nach den Anschlägen schuf George Pataki, der Gouverneur des Staates New York, die Lower Manhattan Development Corporation (LMDC), ein Gremium, das Pläne für die Zukunft des Viertels erarbeiten soll. Die LMDC muss nun versuchen, zwischen den Interessen von drei Gruppen einen Ausgleich zu schaffen: denen der Investoren, denen der Angehörigen der Opfer und denen der Anwohner. Und während die Rockefellers in den späten Sechzigern autokratisch ihren Willen durchsetzten, muss Pataki auf alle Gruppen Rücksicht nehmen. Zumindest bis zum November, denn dann finden im Staat New York die Gouverneurswahlen statt.

Auf dem Papier scheinen Larry Silverstein und Westfield America die besten Aussichten zu haben. Der Pachtvertrag sieht vor, dass Silverstein das Recht hat, die Twin Towers im Fall einer Zerstörung wieder aufzubauen, oder zumindest andere Gebäude mit einer entsprechenden Bürofläche (es geht es um eine Größenordnung von 90 Hektar). Westfield hat sogar das Recht, die Grundfläche der ehemaligen Mall noch einmal um 30 Prozent auszudehnen. Unterstützt werden die Investoren von der Port Authority, die auf hohe Mieteinnahmen spekuliert.

Die Angehörigen der Opfer hatten ihren bedeutendsten Fürsprecher im ehemaligen Bürgermeister Rudolph Giuliani. Er war gegen jede Form der Neubewirtschaftung des Geländes, es sollte freigehalten werden für ein riesiges Mahnmal. Seit Giuliani abgetreten ist, sind auch die Angehörigen der Opfer etwas ruhiger geworden, allerdings hat bisher noch jeder Planer die eigentliche Grundfläche der Twin Towers, den hallowed ground, für ein Mahnmal freigehalten.

Die Anwohner schließlich - und das sind sowohl die Menschen, die in Downtown Manhattan wohnen, als auch die, die dort ihre kleinen Geschäfte haben - sind sowohl gegen ein aus ihrer Sicht überdimensioniertes Mahnmal als auch gegen den Wiederaufbau eines Büroviertels auf Ground Zero. Sie wollen eine kleinteilige Bebauung mit Wohn- und Geschäftshäusern, eine möglichst offene Struktur des Ganzen und die Möglichkeit kultureller Nutzung, etwa mit dem Bau eines Opernhauses. Auch ein Bahnhof wird gefordert, ist doch einer der Gründe für die Attraktivität von Midtown, dass die dortige Central Station eine direkte Anbindung an die Suburbs in New Jersey darstellt.

Michael Bloomberg, der Nachfolger Giulianis als Bürgermeister von New York, hat in diesem Prozess erstaunlich wenig zu sagen. Zwar sind acht der 16 Mitglieder der LMDC seine Leute, doch das Geld für den Wiederaufbau kommt vom Bundesstaat und wird von Pataki angewiesen. Entsprechend zurückhaltend agiert Bloomberg.

Unmittelbar nach dem Anschlag sah es zunächst so aus, als ob die Investoren und die Angehörigen der Opfer die Zukunft von Ground Zero unter sich ausmachen würden. Zwar startete die LMDC unter den Anwohnern eine groß angelegte Befragung über ihre Vorstellungen zur Zukunft ihres Viertels, doch währenddessen schuf Larry Silverstein Fakten.

Er begann den Neubau des Hochhauses mit der Adresse World Trade Center 7 an der Nordseite von Ground Zero und konnte gerade noch daran gehindert werden, es so bauen zu lassen, dass die Straße, die der Bau des WTC abgeschnitten hatte, wiederum blockiert wurde. Während besonders Westfield darauf drängte, Ground Zero möglichst von keiner einzigen Straße durchziehen zu lassen, forderten die Anwohner das alte Raster zurück, als vier Straßen das Grundstück durchzogen. Das fand wiederum bei den Angehörigen der Opfern überhaupt keinen Gefallen, weil man damit ja die Erinnerung an das WTC symbolisch ausradieren würde.

Die sechs städteplanerischen Entwürfe, die die LMDC Mitte Juli der Öffentlichkeit vorstellte, sahen schließlich vor, zwei der ehemals vier Straßen wieder zu bauen und Ground Zero so in vier Viertel zu teilen, von denen man eines oder zwei für ein Mahnmal und die anderen für die Errichtung von Bürohäusern nutzen könnte. Doch nachdem diese Entwürfe von Anwohnern scharf kritisiert wurden und sich sogar Bürgermeister Bloomberg, der sich vorher nur sehr zurückhaltend geäußert hatte, kritisch zu Wort meldete, kündigte die LMDC Überarbeitungen an. Die Anwohner trafen sich dann auch Ende Juli zum »Listening To The City-Meeting«. Es war ein Treffen, bei dem sich 5 000 Menschen einfanden, um in kleinen Gruppen Alternativvorschläge zu entwickeln (was man sich auf der Homepage www.listeningtothecity.org auch anschauen kann).

Dieser Druck ist mittlerweile so stark geworden, dass die Stadt ankündigte, sie werde mit der Port Authority, die ja immer noch die Besitzerin von Ground Zero ist, in Verhandlungen treten, um ihr das Grundstück zu entziehen, womöglich durch einen Tausch gegen Grundstücke auf dem Gelände der New Yorker Flughäfen. Nur so könne garantiert werden, dass die Interessen aller New Yorker bei der Planung berücksichtigt würden.

Sollte das tatsächlich passieren, hätte es aber vor allem eine Auswirkung. Die Planungen würden auf einmal viel mehr Zeit benötigen. Das Baurecht sieht nämlich vor, dass die Planungen für Grundstücke, die der Stadt gehören, wesentlich mehr Anhörungen durchlaufen und strengeren Umweltschutzrichtlinien gehorchen müssen als Grundstücke, die einem Bundesstaat gehören.

George Pataki hat sich zu diesen Plänen bisher bedeckt gehalten, und auch Larry Silverstein hat sich bisher nicht geäußert.

Im Grunde erinnert die Debatte um Ground Zero ein wenig an die Debatten, die in den neunziger Jahren in Berlin um die Bebauung des Potsdamer Platzes geführt wurden. Es gibt eine riesige Freifläche mitten in der Stadt und sie muss bebaut werden. Diese Fläche wurde nicht absichtlich freigeräumt, man hat sie sich nicht ausgesucht. Etwas, nennen wir es den geschichtlichen Prozess, hat einem diese Fläche gegeben, und das macht die Aufgabe, sie zu bebauen, nicht einfacher. An der Bebauung dieser freien Fläche wird sich die Stadt messen lassen müssen.

Sowohl der Potsdamer Platz als auch Ground Zero sind zentrale identitäre Projekte, die sowohl in ihrer symbolischen Aufladung als auch in der Art und Weise, wie die Planungen konkret ablaufen, und natürlich in dem, was gebaut worden ist bzw. gebaut werden wird, darüber Auskunft geben, welches Bild die jeweilige Stadt von sich hat.

In Berlin entschied man sich, das alte Straßenraster wieder einzuführen, eine recht langweilige Mischung aus Büro-, Hotel- und Entertainmentbauten zu errichten und so etwas wie Normalität zu suggerieren. Dabei wurde den Investoren die größtmögliche Freiheit gelassen, die Anwohner wurden an den Planungen so gut wie nicht beteiligt. Allerdings wurde der ganze Bauvorgang dann als zukunftsweisend und gigantomanisch hauptstädtisch inszeniert. Heute stehen die Bauten, sie stören nicht weiter, aber wirklich auffällig sind sie auch nicht.

Was aus Ground Zero wird, scheint noch offen. Denn fast alle sind sich mittlerweile nicht nur einig, dass das World Trade Center städteplanerisch und ökonomisch ein ziemliches Desaster war, sondern auch darin, dass es die Größe und Stärke des American Way of Life symbolisierte. Allerdings sind Größe und Stärke keine Kategorien, die bei Stadtplanern noch in besonders hohem Kurs stehen; die Kleinteiligkeit urbaner Netzwerke genießt größere Wertschätzung, wenn man für das 21. Jahrhundert plant.

Eine Frage ist bisher zwar schon oft gestellt, aber noch nie ernsthaft beantwortet worden. Was wird eigentlich aus der Skyline? So majestätisch der Anblick war und so sehr dort etwas fehlt, reicht dieses ästhetische Empfinden als Begründung aus, wieder ein ähnlich hohes Gebäude auf Ground Zero zu platzieren? Einen »twenty-first-century Eiffel Tower for New York« wie es der New Yorker nannte, einen Turm, der die Technolgie unserer Zeit ähnlich aggressiv und erfinderisch nutzt wie Alexandre Gustave Eiffel die der seinigen? Ein Turm, errichtet einzig und allein aus dem Grund, dass man ihn errichten kann?