Partei im Sinkflug

Nach Gysis Rücktritt wegen der Bonusmeilenaffäre gerät die PDS in eine der schwersten Krisen seit ihrer Gründung.

Es sieht schlecht aus für die PDS. Seit dem Abgang von Gregor Gysi droht der Partei ein Absturz bei der Bundestagswahl am 22. September. Die Parteivorsitzende Gabi Zimmer versucht zwar, ihre Klientel zu beschwichtigen. »Es bleibt dabei: Die PDS ist eine sozialistische Partei. Sie wird ihren Weg fortsetzen, sich als bundesweite und europäische Partei weiter profilieren. Sie wird sich natürlich auch im Spannungsfeld zwischen Opposition und Mitgestaltung in der Bundesrepublik Deutschland in die Politik einmischen. Insofern gibt es auch keinen Grund, unsere Wahlstrategie zu ändern.«

Doch dass Zimmer sich genötigt fühlt, Gerüchte zu dementieren, die wegen Gysis Rücktritt gleich die Abkehr der Partei von ihrer Wahlstrategie, ja sogar von ihrem Wahlprogramm voraussagen, zeigt, wie ernst sie diese Gerüchte offenbar nimmt. Die Statements aus dem Parteivorstand der PDS klingen momentan eher angestrengt als optimistisch.

Am vergangenen Wochenende veröffentlichte die Berliner Zeitung dann die erste Zwischenbilanz. Nach einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Emnid könnte die PDS in Berlin nach Gysis Rücktritt rund ein Drittel ihrer Wählerinnen und Wähler verlieren. Auch die Mehrheit der PDS-Mitglieder sei der Meinung, dass die Chancen für ein gutes Abschneiden bei der Bundestagswahl gesunken seien.

Und was macht der Zurückgetretene? Nur drei Tage nach seinem Abgang betätigte Gysi sich bereits als Kritiker seiner Partei. Er beklagte vor allem das fehlende »Wahlkampffieber« in der PDS, die Partei sei »zu selbstgerecht« und glaube die fünf Prozent bereits sicher. Und kaum hatte Gysi verkündet, sich aus der Politik zurückziehen zu wollen, musste er wegen der sich abzeichnenden Krise der PDS schon wieder eine Unmenge neuer Wahlkampftermine annehmen.

Als ob das alles nicht gereicht hätte, meldete sich auch noch der PDS-Europaparlamentarier André Brie zu Wort. Während die Spitzen der Partei noch um Fassung rangen, räsonnierte er in einem Interview über die Gründung einer »neuen Linkspartei«, in welcher Oskar Lafontaine und Gregor Gysi gemeinsam die »Zugpferde« sein sollten. Brie, der begnadete Philosoph und Aphoristiker, von dem so tolle Slogans stammen wie »Nazis raus aus den Köpfen« oder »Progressiv! Produktiv! Pro DDR! PDS!« hatte sich in den letzten Jahren mehrfach als Mäkler hervorgetan. Jetzt wollte er, offensichtlich um zu zeigen, dass es ihn noch gibt, wieder einmal für Aufmerksamkeit sorgen.

Sein Kalkül ging auf. Brie redete von neuen linken Kräften, deren es bedürfe, er rief nach »einer wirksamen Alternative gegen den Neoliberalismus« und empfahl der PDS, sie solle - sofern die SPD die Wahl verliere - im Bundestag mit der sozialdemokratischen Linken »stärker zusammenrücken«.

Das alles wäre kaum der Erwähnung wert, wäre es nicht ein sicheres Anzeichen für die völlige Orientierungslosigkeit der PDS. Und die herrscht nicht erst seit dem Rücktritt Gysis vor. Die Stimmung sei »mies«, sagte ein Mitarbeiter der PDS-Bundestagsfraktion, sie schwanke »irgendwo zwischen Bangen und Hoffen«. Das aber sei schon vor Gysis Rücktritt so gewesen.

Der Partei, die nie geschlossen aufgetreten ist, steht offenbar eine Zerreißprobe bevor. Hinter den Kulissen geht es schon seit einiger Zeit drunter und drüber. Sämtliche Plattformen, Foren und Zirkel üben sich sowieso gern in interner Kritik. Gabi Zimmer startete vor nicht allzu langer Zeit gemeinsam mit dem Vorsitzenden in Sachsen, Peter Porsch, einen in der Partei nicht nur wohl gelittenen Versuch, das Nationalbewusstsein der PDS zu stärken. Und es war ebenfalls Gabi Zimmer, die sich recht ruppig ihres Parteisprechers Hanno Harnisch entledigte und ihn in die Redaktion des Neuen Deutschland verbannte.

Der Hamburger Landesverband der PDS macht schon seit Monaten Probleme und agitiert gegen die Linie des Bundesvorstandes. Die Bundestagsabgeordneten Ulla Jelpke und Winfried Wolf protestierten während der Rede George W. Bushs am 22. Mai im Reichstag, dafür versuchte wiederum der Fraktionsvorsitzende, Roland Claus, sich umgehend beim US-Präsidenten zu entschuldigen. Viele Kommentatoren merkten hämisch an, dass der Angesprochene ganz offensichtlich nicht wusste, wer sich da entschuldigen wollte.

In Berlin schließlich war es der PDS nicht möglich, einen anderen Kandidaten für den Fraktionsvorsitz zu finden als den Jungspund Stefan Liebich, der zugleich auch Landesvorsitzender ist. Er musste sich sogar vom parteieigenen Neuen Deutschland die Frage gefallen lassen, ob er »eine Notlösung« sei. Die Sparpolitik in Berlin, bei der sich die Partei den sozialen Kürzungen kaum verweigert hat, haben den Wählerinnen und Wählern zudem bewiesen, dass von der PDS keine andere Politik als von der SPD zu erwarten ist.

Das Problem der PDS ist, dass sie sich nicht entscheiden kann. Wollen die einen Parteimitglieder aufrührerisch wirken, geben sich die anderen staatstragend, fordern die einen eine Politik der Verweigerung, drängen die anderen in die Regierung. Zudem gibt es innerhalb der PDS ein Dutzend unterschiedlicher Vorstellungen vom Kommunismus, vom Sozialismus, vom Anarchismus, von einer Volkspartei, einer Regionalpartei, von Bürgernähe, Demokratie und Realpolitik.

In Fragen der Sozial-, Haushalts- und Wirtschaftspolitik gilt die PDS nicht wirklich als kompetent, was weniger daran liegt, dass sie nicht auch ihre Papiere und Presseerklärungen zu den aktuellen Debatten vorlegt, als vielmehr daran, dass ihr nichts anderes einfällt als den Grünen oder dem linken Flügel der SPD.

Während die PDS mit dieser Einfallslosigkeit in den ostdeutschen Landesregierungen nicht weiter auffiel, wurde sie in Berlin genau beobachtet. Und in den dortigen Koalitionsverhandlungen erwies sie sich als völlig konzeptlos. Der Rücktritt Gysis wurde von vielen Berlinerinnen und Berlinern daher auch als Beweis der Lustlosigkeit desjenigen angesehen, der in Berlin keine neuen Akzente setzen konnte.

Nun fehlt der Partei ausgerechnet der Politiker, der als einziger unter den demokratischen Sozialisten überzeugend im Fernsehen auftreten, der souverän und frei reden konnte und dessen Bücher sogar auf dem Markt erfolgreich waren. Über eine Woche nach Gysis Rücktritt präsentierte das ZDF sein aktuelles »Politbarometer«, und mangels anderer Alternativen führte man weiterhin Gregor Gysi als Prominenten der PDS.

Sollte es Gysi, der sich ja nicht zum ersten Mal aus der Politik zurückziehen will, diesmal ernst meinen, könnte die Partei ziemlich schnell ruiniert sein. Die PDS hat sich ganz auf den Star zugeschnitten, sie hat ihn vor innerparteilicher Kritik bewahrt und niemanden gefunden, der neben ihm hätte bestehen können. Und jetzt hat dieser Star seinen Vertrag bei der Promotionagentur selbst gekündigt. Sie bleibt einsam zurück.