Der bislang größte IWF-Kredit geht an Brasilien

Wasser marsch!

Was tun, wenn's brennt? Man ruft die Feuerwehr. Im Falle einer größeren Finanzkrise irgendwo auf der Welt spielt diese Rolle der Internationale Währungsfonds. Er hat am vergangenen Donnerstag Brasilien den größten Kredit seiner Geschichte in Aussicht gestellt. Mit einem neuen Stand-By-Kredit über 30 Milliarden Dollar, der innerhalb von 15 Monaten ausgezahlt werden soll und lediglich noch vom Exekutivausschuss des IWF abzusegnen ist, sollen zwei Dinge verhindert werden: dass der brasilianische Staat unter der Schuldenlast von zuletzt 264 Milliarden Dollar zusammenbricht und dass sich die Wirtschaftskrise in Lateinamerika unaufhaltsam ausbreitet. Auch Uruguay erhält Unterstützung; u.a. einen US-amerikanischen Notkredit in Höhe von 1,5 Milliarden Dollar.

Vorangegangen war dieser Löschaktion des IWF, dessen größter Aktionär die USA sind, eine Reise des US-Finanzministers Paul O'Neill zu den Sorgenkindern des lateinamerikanischen Kontinents: Argentinien, Uruguay, Brasilien. Ihnen versprach er US-amerikanische Hilfe. Ein bemerkenswerter Umschwung. Zwei Wochen zuvor hatte O'Neill mit seiner Bemerkung, jede Finanzhilfe für Krisenländer landete lediglich auf »Schweizer Bankkonten«, die brasilianische Währung in den freien Fall versetzt. Und kalt lächelnd hatten die IWF-Bürokraten zugesehen, wie Argentiniens wirtschaftliches Desaster seit dem Ende des letzten Jahres sich von Monat zu Monat verschlimmerte.

Seit der einwöchigen Schließung der Banken in Uruguay und dem Verfall der brasilianischen Währung aber war es an der Zeit, die Notbremse zu ziehen. Nicht nur, weil US-Banken wie Citigroup, FleetBoston und J.P. Morgan Chase weit größere Außenstände an Krediten in Brasilien haben als in Argentinien; nicht nur, weil US-Automobilkonzerne wie General Motors Milliarden in die Expansion ihrer brasilianischen Fabriken gesteckt haben.

Und auch nicht nur, weil sich mit Brasilien und Uruguay zwei Kernländer des Mercosur am Rande des Abgrunds stehen, während das dritte, Argentinien, bereits einen großen Schritt weiter ist; daraus hätte auch eine Bedrohung für das US-Projekt der Freihandelszone FTAA von Alaska bis Feuerland werden können, das ab 2005 in Konkurrenz zu den Plänen zur Errichtung einer europäisch-lateinamerikanischen Freihandelszone bis 2010 verwirklicht werden soll.

Denn auch die europäischen Konkurrenten um die lateinamerikanischen Märkte atmen nach den IWF-Aktionen auf. Vor allem an der Madrider Börse ausgesuchte Aktienwerte profitierten in Europa: acht Prozent plus für den spanischen Telekomkonzern Telefonica etwa. Aber auch die Aktien der französischen Supermarktkette Carrefour oder der Deutschen Bank, die sich beide in Brasilien engagieren, notierten fester. So kommt der Schwenk in der US- und IWF-Politik auch den Interessen europäischer Staaten und Konzerne zugute.

Wichtiger aber noch ist für diese Kreise, dass die offene Krise des bisherigen Akkumulationsmodells nicht zur sozialen Explosion in Lateinamerika führt. In Argentinien hat sich seit den Unruhen vom Dezember eine generelle Feindseligkeit gegenüber der so genannten politischen Klasse und eine ebenso generelle soziale Renitenz entwickelt. In Uruguay wurden in den letzten zwei Wochen zwei eintägige Generalstreiks in diversen Wirtschaftsbereichen durchgeführt. In Chile, das von der Krise noch weitgehend verschont blieb, entwickelt sich eine militante Schüler- und Studentenbewegung. Und in Brasilien stellt sich die Frage, ob sich die soziale Unruhe mit den im Herbst stattfindenden Wahlen kanalisieren lässt, in denen die parlamentarische Linke sich aussichtsreich als neuer Krisenverwalter anbietet.

Die Instabilität des internationalen Finanzsystems ist der Ausdruck einer generelleren Krise des Kapitalismus. Die Fixierung auf diesen Aspekt der Krise und die Feuerwehraktionen des IWF, wie sie derzeit gerade in den lateinamerikanischen Ländern nahe liegen, tragen zu einer emanzipatorischen Aufhebung des Kapitalverhältnisses allerdings nichts bei.