Der jugoslawische Rechtsanwalt Milo Vokovi zu Restitutionsforderungen

»Alte Eliten fordern Entschädigung«

Mit Unterstützung aus München, Wien und Budapest fordern deutsche Vertriebenenverbände von Tschechien, die Benes-Dekrete aufzuheben. Auch in Serbien gibt es mittlerweile eine ähnliche Diskussion um die Avnoj-Dekrete, mit denen nach dem Zweiten Weltkrieg die Enteignung deutscher Minderheiten legitimiert wurde. Während die Forderungen das Verhältnis Deutschlands und Österreichs zu Tschechien erheblich belasten, hört man von Ansprüchen an Serbien bisher wenig. Boris Kanzleiter sprach mit Milo Vokovi, einem Rechtsanwalt in Belgrad, der sich auf Restitutionsfragen, das heißt auf die Rückgabe verstaatlichter Immobilien an die ehemaligen Eigentümer, spezialisiert hat.

Kürzlich haben sich in Subotica die Funktionäre des Weltverbandes der Donauschwaben mit Vertetern der deutschen Minderheit der Vojvodina und dem stellvertretenden serbischen Ministerpräsidenten Josef Kaszar getroffen. Sie forderten die Rückgabe des verstaatlichten Eigentums der etwa 300 000 Angehörigen der am Ende des Zweiten Weltkriegs aus Serbien ausgesiedelten deutschen Minderheit. Wie stehen die Chancen für die Donauschwaben?

Derzeit wird in Serbien allgemein über die Restitution des Eigentums von jenen diskutiert, die nach der Gründung Jugoslawiens und der Machtübernahme durch die Kommunistische Partei enteignet wurden. Dabei geht es erst einmal nicht so sehr um die so genannten Volksdeutschen, die durch die Avnoj-Dekrete enteignet wurden. Vielmehr fordern vor allem die Angehörigen der alten städtischen Eliten, deren Häuser und Unternehmen damals verstaatlicht wurden, eine Entschädigung. Es geht gewissermaßen um die alte Bourgeoisie, aber auch um viele mittelständische Unternehmer.

Es gibt einige einflussreiche Verbände, die Druck auf die Regierung ausüben, damit sie ein Restitutionsgesetz verabschiedet. In den Vorlagen werden die Deutschen nicht gesondert erwähnt. In diesem Zusammenhang artikulieren allerdings auch die Organisationen der Donauschwaben aus Subotica, Novi Sad und Apatin, einigen Städten der Vojvodina, die früher Siedlungszentren der Deutschen waren, ihre Forderungen. Unterstützung bekommen sie hauptsächlich von den Organisationen der heute viel einflussreicheren ungarischen Minderheit.

Wie konkret sind die Gesetzesvorlagen?

Sie sind sehr konkret. Bei den serbischen Organisationen, die die Restitution fordern, handelt es sich um pressure groups, die momentan einen großen Einfluss auf die Regierung ausüben können. Bereits im Herbst des Jahres 2000, kurz nach dem Regierungswechsel, wurde die erste Gesetzesvorlage ins Parlament eingebracht. Allerdings wurde sie dann auf Eis gelegt. Die Regierung unter Zoran Djindjic argumentierte, dass die Transformation zur Marktwirtschaft zuerst einen schnellen Privatisierungsprozess benötige. Und hier entsteht ein Konflikt. Denn die Restitution und der Privatisierungsprozess, so wie ihn die Regierung vorschlägt, stehen gewissermassen gegeneinander. Das hat dazu geführt, dass das Restitutionsgesetz bis heute nicht verabschiedet wurde.

Warum geraten die Restitution und die Privatisierung in Konflikt?

Der Privatisierungsprozess, wie ihn die Regierung durchführt, sieht die Privatisierung der verstaatlichten Unternehmen und Immobilien durch eine Art Auktion vor. Der Meistbietende bekommt den Zuschlag. Dabei wird keine Rücksicht auf die Eigentumsverhältnisse vor 1945 genommen oder darauf, ob das Objekt irgendwann in den fünfziger Jahren verstaatlicht wurde. Vielmehr sollen aus dem Gewinn der Versteigerungen Kompensationszahlungen an die ehemaligen Eigentümer erfolgen. Fünf Prozent aus den Einnahmen beim Verkauf der Objekte gehen in einen entsprechenden Entschädigungsfonds.

Auf diese Weise kann schnell und ohne langen Rechtsstreit privatisiert werden, und das ist das Interesse der Regierung. Aber diese Vorgehensweise ist natürlich mit der Rückgabe an die Alteigentümer unvereinbar. Sie erhalten ja nur eine Entschädigungszahlung. Damit sind viele Alteigentümer nicht einverstanden.

Mit den Avnoj-Dekreten wurde den Angehörigen der deutschen Minderheit, die mit der Wehrmacht kollaborierten, die jugoslawische Staatsbürgerschaft entzogen. Die Donauschwaben fordern nun die Aufhebung der Dekrete. Wird den Deutschen die Staatsbürgerschaft zurückgegeben?

Bis jetzt gibt es darüber keine konkrete Diskussion.

Aber in einem neuen Minderheitengesetz wurde den Deutschen wieder der Status als anerkannte Minderheit zugestanden.

Ja, aber das betrifft lediglich die wenigen Deutschen, die noch in der Vojvodina leben. Ihnen wurden einige kulturelle Rechte auf lokaler Ebene zugestanden.

Insbesondere die ungarischen Minderheitenparteien, die im Regierungsbündnis von Zoran Djindjic vertreten sind, scheinen die Deutschen zu unterstützen. Wie groß ist ihr Einfluss in der Regierung?

Um das zu verstehen, muss man die Situation vor dem Sturz Slobodan Milosevics betrachten. Milosevic hob am Anfang seiner Regierungszeit die damals bestehende Autonomie der Vojvodina auf. Die ungarischen Organisationen haben sich seither immer für die Wiedereinführung einer Autonomie der Vojvodina eingesetzt. Dort bilden die Ungarn in manchen Orten die Mehrheit. Teilweise, insbesondere zu Beginn der neunziger Jahre, forderten sie sogar die Unabhängigkeit der Vojvodina von Serbien. Die ungarischen Parteien haben daher Djindjics Bündnis Dos unterstützt, als Aussicht auf den Sturz Milosevics bestand. Jetzt haben sie einigen Einfluss auf die Regierung. Die ungarischen Organisationen unterstützen alle, die sich für eine größere Autonomie der Vojvodina einsetzen, also auch die Deutschen.

Werden die ungarischen Gruppen von außen unterstützt?

Mit den Forderungen nach Regionalisierung werden die Ungarn von der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) unterstützt. So wird ein Programm für die Stärkung lokaler Regierungskompetenzen von der OSZE finanziert. Auch die Europäische Union unterstützt das. Und selbstverständlich auch die ungarische Regierung.

Wie reagiert die serbische Öffentlichkeit auf diese Fragen?

Da gibt es einen großen Unterschied zwischen der serbischen Bevölkerung in der Vojvodina und im restlichen Land. Während die Konflikte außerhalb der Vojvodina kaum jemanden interessieren, ist in der Region das Verhältnis der serbischen Bevölkerung zu den unterschiedlichen Minderheiten teilweise sehr angespannt. Viele Serben erheben genau gegenteilige Forderungen wie Ungarn oder Deutsche und argumentieren sehr nationalistisch.

Dabei gibt es einen interessanten Hintergrund. Viele Serben in der Vojvodina wurden während und nach dem Zweiten Weltkrieg als Flüchtlinge vor der faschistischen Ustascha und den Deutschen aus dem nahe gelegenen Kroatien oder Bosnien in der Region angesiedelt. Auch in den vergangenen zehn Jahren kamen viele Flüchtlinge aus Bosnien und Kroatien in die Region. Daher gibt es in der Vojvodina viele Serben, die antideutsch, antikroatisch und antiungarisch eingestellt sind.

Kann man sagen, wer sich für die Avnoj-Dekrete einsetzt, verteidigt auch das einstige sozialistische, föderale Jugoslawien?

Überhaupt nicht. Die ganze Debatte über die Dekrete, den Titoismus und den Kommunismus ist in Serbien komplett diskreditiert. Niemand ist in Serbien aus historischen Gründen gegen die Avnoj-Dekrete, weil sie einen der Gründungsakte des ehemaligen Jugoslawiens symbolisieren. Jugoslawien existiert schon lange nicht mehr.