Politische und wirtschaftliche Beziehungen

Torten aus Sibirien

In Russland suchte Kim Jong-Il wirtschaftlichen Beistand. Für Wladimir Putin ist Nordkorea nur als Transitland und als politischer Partner von Bedeutung.

Kim Jong-Il, um Superlative selten verlegen, erklärte sich gleich zu »1 000 Prozent glücklich« über die Ergebnisse seines Besuchs. Der Staats- und Parteiführer der Demokratischen Volksrepublik Korea (DVRK) hatte die viertägige Reise durch den fernen Osten Russlands als »rein privat« deklariert, fuhr aber im eigenen gepanzerten Zug, begleitet von mindestens 140 hohen Partei- und Wirtschaftsfunktionären. Auch seine ebenfalls gepanzerte Mercedes-Limousine durfte nicht fehlen.

Die am Samstag vergangener Woche beendete Visite hatte nach Ansicht der nordkoreanischen Nachrichtenagentur KCNA nicht nur »epochalen Charakter«. »Trotz der Müdigkeit wegen der langen Zugreise arbeitete er im Zug hart, um ein glücklicheres Leben zu bringen.« Das hätte die nordkoreanische Bevölkerung dringend nötig, nach Schätzungen der UN hungert dort mindestens eine halbe Million Menschen.

Vor über zehn Jahren kollabierte das wirtschaftliche System Nordkoreas, das seit Beginn der fünfziger Jahre mit Hilfe der UdSSR aufgebaut worden war. Heute sind fast alle damals errichteten Betriebe still gelegt, es mangelt an Ersatzteilen, Rohstoffen und Energie. Wirtschaftliche Fragen waren dann auch das wichtigste Thema bei den Reisegesprächen Kim Jong-Ils und seinen Verhandlungen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin.

So besuchte er bei seinen recht ausgedehnten Besichtigungstouren vor allem sibirische Industrieanlagen, die allerdings nicht unbedingt Musterbeispiele kapitalistischer Effizienz sind, abgesehen von der Rüstungsindustrie, an der Kim Jong-Il besonderes Interesse zeigte. Aber die Verantwortlichen in Russland bestanden von Anfang an darauf, dass Waffen nur für US-Dollar zu haben sind. Über die verfügt eher Südkorea, für den nächsten Monat ist die Unterzeichnung eines Abkommens über russische Waffenlieferungen im Wert von einer halben Milliarde Dollar geplant. Kim Jong-Il musste sich mit dem Erwerb von 260 Traktoren in Omsk und einiger Dutzend Torten in Wladiwostok begnügen.

Nordkorea sieht in Russland einen potenten Wirtschaftspartner, was aus der Sicht des verarmten Landes mit seinen völlig veralteten Industrien richtig sein mag. Und man erwartet, dass die russische Regierung aus strategischen Gründen ökonomische Zugeständnisse macht. Allerdings ist ein Großteil der noch einigermaßen produktiven südostsibirischen Betriebe im Besitz von Chinesen. Ein anderer Teil wird von der organisierten Kriminalität kontrolliert. Nur ein kleiner Rest, wie der Rüstungssektor, ist noch in Staatsbesitz. Und auch diese Betriebe müssen sich bemühen, kapitalistisch zu handeln, sie erwarten harte Währung für ihre Produkte.

Die Initiative für Kims Reise, so jedenfalls die Ansicht ostasiatischer Kommentatoren, ging von der russischen Seite aus. Nordkorea ist für Russland als Wirtschsftspartner nur von geringem Interesse, das Handelsvolumen fiel seit 1990 um 80 Prozent auf nur 115 Millionen Dollar im vergangenen Jahr. Doch Russland interessiert sich für Nordkorea als Transitland und will unter allen Umständen die Anbindung der zukünftigen interkoreanischen Eisenbahnverbindung an das transsibirische Netz. »Wenn wir das Eisenbahnprojekt verpassen und die Chinesen es verwirklichen, werden wir Milliarden Dollar und jeglichen Einfluss im Handel mit Europa verlieren«, erklärte Putin.

Der Plan birgt allerdings zwei Probleme. Viele Experten halten diese Anbindung, unter anderem wegen des zu häufigen Wechsels der Gleissysteme, nicht für so effizient und profitabel, dass die nötigen Investitionen in Höhe von mindestens drei Milliarden Dollar gerechtfertigt wären.

Zudem hätte die Verbindung nur dann einen Sinn, wenn die Annäherung zwischen Nord- und Südkorea weit über den bisherigen Stand hinauskäme. Der Dauerkonflikt zwischen beiden Staaten kann letztlich nur von diesen selbst gelöst werden. Allerdings hat Südkorea ein 27mal größeres Bruttosozialprodukt als der nördliche Nachbar. Die südkoreanische Regierung befürwortet daher bilaterale Verhandlungen, die es dem Land ermöglichen, seine überlegene Wirtschaftskraft auszuspielen.

So bot man Mitte August nicht ganz uneigennützig an, mit hohen Investitionen die Bergbauindustrie Nordkoreas zu unterstützen. Die nordkoreanische Führung aber sei, so die südkoreanische Tageszeitunge JoongAng Ilbo, »hungrig nach Kohle und Mineralien« aus Russland.

Kim Jong-Il, der sich an die Abwicklung der DDR erinnern dürfte, will einen direkten Kontakt mit dem Süden möglichst vermeiden und die Großmächte in den Verhandlungsprozess einschalten. Die Beteiligung der USA oder wenigstens Russlands würde helfen, die diplomatische Isolation Nordkoreas zu beenden . Putins Offerte kam ihm deshalb gelegen.

Vor und während Kims Besuch betonte Putin immer wieder, wie wichtig es für Russland und den Rest der Welt sei, wenn auf der koreanischen Halbinsel wieder normale Verhältnisse einkehrten. Sich in die koreanischen Verhandlungen einzuschalten, könnte auch Russlands Position in der Weltpolitik stärken. Um Distanz zu den USA zu demonstrieren, hat Russland nach dem Abschluss eines Handelsvertrages mit dem Irak und der Zusage, Atomkraftwerke an den Iran zu liefern, nun auch die Beziehungen zum dritten Staat der »Achse des Bösen« intensiviert.

In wirtschaftlicher Hinsicht mag die Verbindung zu Nordkorea die am wenigsten profitable sein, doch man ist sich zumindest auf kultureller Ebene näher gekommen. Kim Jong-Il besuchte in Wladiwostok ein Kaufhaus, in dem hauptsächlich kirchliche Gebrauchsgegenstände angeboten werden. Die dort verkauften Ikonen hatten es ihm ganz besonders angetan, woraufhin ihm der Bürgermeister Juri Kopylow eine kaufte und als Geschenk überreichte. Nun will Kim Jong-Il, so behauptet es jedenfalls Kopylow, in der Hauptstadt Pjöngjang eine kleine russisch-orthodoxe Kirche bauen lassen, um die Ikone angemessen platzieren zu können. Vielleicht sollen wsich seine Porträtmaler dort neue Anregungen für den Personenkult holen.