Mexiko: Urteil zu Chiapas

Am Scheideweg

Werden im südmexikanischen Chiapas bald wieder die Waffen sprechen? Werden die Bauern im Bundesstaat Oaxaca neue, militante Wege suchen, um sich gegen die Infrastrukturprojekte zu wehren, die ihnen die Zentralregierung vorsetzen will? Für den Indígena-Sprecher Gaudencio Mejía jedenfalls haben der Kolonialismus, der Rassismus und die Intoleranz seit dem 6. September ein unglaubliches Ausmaß angenommen. Mit der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs habe die Regierung von Vicente Fox »ihr wahres Gesicht offenbart«.

Tatsächlich ließ der Beschluss der Richter keine Zweifel aufkommen. In einer Blitzaktion lehnte das Gericht die Klagen von 322 Gemeinden gegen die so genannte Ley Indígena, das »Gesetz über indigene Rechte und Kultur«, als unzulässig ab. Damit scheint der Versuch endgültig gescheitert, auf juristischem Weg bessere Lebensbedingungen für die indigene Bevölkerung Mexikos zu schaffen. Nun könne die Regierung ohne Probleme »die natürlichen und strategischen Ressourcen in den Regionen privatisieren, die von Indígenas bewohnt werden«, kritisiert Mejía.

Dabei hatte alles viel versprechend begonnen. Zwei Jahre nachdem das zapatistische Befreiungsheer EZLN einen bewaffneten Aufstand in Chiapas durchgeführt hatte, saßen die Guerilleros mit Vertretern der Regierung an einem Tisch. Man einigte sich 1996 im Abkommen von San Andres auf einen Gesetzesentwurf, der die Rechte der indigenen Bevölkerung garantieren sollte. Doch fünf Jahre lang wurde dieser Entwurf nicht im Bundesparlament verabschiedet.

Erst als die Zapatisten im Frühjahr 2001 mit einem Marsch in die Hauptstadt die neue Regierung des konservativ-liberalen Präsidenten Vicente Fox bedrängte, befassten sich die Abgeordneten mit der »Ley Indígena«. Es wurde ein Gesetz verabschiedet, das jedoch maßgebliche Aspekte des Entwurfs von San Andres unberücksichtigt ließ. So etwa das Recht der Kommunen, über die Nutzung ihres Landes sowie der dort lagernden Rohstoffe selbst zu entscheiden und als Rechtssubjekte anerkannt zu werden. Zudem verstieß das Gesetz gegen die Konvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation, nach der die indigene Bevölkerung bei Entwicklungsprojekten und bei Verfassungsänderungen konsultiert werden muss, wenn sie davon betroffen ist.

Es lag also nahe, dass die Gemeinden auf eine Änderung des Verfassungsgesetzes klagten. Ebenso nahe liegend ist es allerdings, dass diese Klagen nun vom Obersten Gericht abgewiesen wurden. Schließlich steht das Abkommen von San Andres den Plänen der Regierung Fox im Wege, den verarmten mexikanischen Süden in eine Investitionszone für die Agrarindustrie und für Weltmarktfabriken zu verwandeln und mit dem Angebot der Verwertung des biologischen Reichtums Kapital anzulocken.

Sollten sich nicht noch kritische Stimmen wie etwa die Führung des sozialdemokratischen PRD durchsetzen, die in der vergangenen Woche eine »Reform der Reform« forderte, sähe es schlecht aus für eine friedliche Lösung des Konflikts. Nach der erfolglosen Anwendung aller juristischen Mittel, so erklärte Juan Antonio Vega vom Dachverband mexikanischer Menschenrechtsorganisationen der Jungle World, könnte der EZLN seine Forderung wieder mit Hilfe der Waffen einklagen.