Krise der Zuckerindustrie

Gar nicht so süß

Der Preisverfall seines wichtigsten Exportproduktes zwingt Kuba zu drastischen Einschnitten. Knapp die Hälfte der Zuckermühlen wird stillgelegt, schätzungsweise 200 000 Landarbeiter müssen sich einen neuen Job suchen.

An Warnungen hatte es nicht gefehlt. Peter Baron, der Präsident der in London ansässigen Internationalen Zuckerorganisation (Iso), riet den Rohrzucker produzierenden Mitgliedsländern immer wieder, ihre Wirtschaft umzustellen. An den sinkenden Preisen werde sich angesichts des Überangebots auf dem Weltmarkt nichts ändern, prognostizierte er auf den Tagungen der Iso.

Die Realität gibt ihm Recht, denn angesichts des aktuellen Preises von 5,8 US-Cent pro amerikanischem Pfund (453 Gramm) produzieren nur noch wenige Länder mit Gewinn. Kuba ist nicht darunter. Mit 40 Tonnen pro Hektar liegt der Ertrag weit unter dem karibischen Durchschnitt von 53 Tonnen und unter der Produktivität in Mexiko, wo durchschnittlich 74 Tonnen pro Hektar erzeugt werden. Die Produktion lohnt sich derzeit allein wegen der langfristigen Lieferverträge mit Russland zu Preisen, die derzeit deutlich über denen des Weltmarktes liegen. Doch auch diese Verträge sind zeitlich begrenzt und werden alle paar Jahre auf der Basis der durchschnittlichen Weltmarktpreise neu verhandelt.

Auf nur noch 476 Millionen US-Dollar beläuft sich der Erlös aus Zuckerexporten in diesem Jahr, das sind weniger als 40 Prozent der für dieses Jahr erwarteten Einnahmen. Noch in den achtziger Jahren, als Ernten von durchschnittlich sieben bis acht Millionen Tonnen Zucker eingefahren wurden, verdiente Kuba mit seinen braunen Kristallen ein Vielfaches. Nicht nur wegen der Abnahmeverträge mit den sozialistischen Bruderländern, sondern auch wegen der Weltmarktpreise von 15 Cent pro Pfund Rohzucker. Diese Zeiten sind endgültig vorbei, seitdem die EU den Weltmarkt mit subventioniertem Zucker überschwemmt und Brasilien und andere Länder billiger produzieren.

An der Neustrukturierung der kubanischen Zuckerwirtschaft führt deshalb kein Weg vorbei, trotz des Widerstands der municipios, der Gemeinden. Sie hätten seit Jahren gegen alle Reformbemühungen im wichtigsten Wirtschaftssektor des Landes opponiert, erklärt Pedro Monreal, ein Sozialwissenschaftler der Universität Havanna. An den 156 Zuckermühlen hängen nicht nur Arbeitsplätze, sondern auch eine ganze Reihe von Investitionen, die für die betreffenden Gemeinden lebensnotwendig sind.

»Nicht weniger als 25 Prozent der Produktionskosten im Zuckersektor entfallen auf Ausgaben für den Straßenbau, für Kindergärten usw. In fast allen municipios ist Zucker der wichtigste Wirtschaftsfaktor und die einzige Geld- und Materialquelle, die sie nicht verlieren wollen«, erläutert Monreal das Problem. »Die notwendige Strukturanpassung wird mit allen erdenklichen Mitteln von unten blockiert.« Doch auch oben, in der politischen Führung, schob man die Reform lange Zeit vor sich her, denn andere Arbeitsplätze in den betroffenen ländlichen Regionen zu schaffen, ist alles andere als einfach.

Das war auch Monreal und seinen Kollegen vom kubanischen Amerika-Forschungsinstitut klar, als sie zu Beginn der neunziger Jahre Reformvorschläge für die kubanische Wirtschaft und auch für den desolaten Zuckersektor entwickelten. Doch für den graduellen Übergang konnten sich die Parteiideologen nicht erwärmen. Nun, fast zehn Jahre später, hat sich die Regierung für einen harten Einschnitt entschieden: 72 der 156 Zuckermühlen werden stillgelegt, und 60 Prozent der Anbaufläche sollen anders bewirtschaftet werden. Das gab der Zuckerminister im Generalsrang, Ulises Rosales del Toro, Ende August auf einer Pressekonferenz in Havanna bekannt.

Mit 100 000 Entlassungen rechnet der Minister, bis 200 000 erwarten Fachleute aus dem Ausland. Ihre Schätzung ist realistischer, da offiziellen Zahlen zufolge 430 000 Beschäftigte im Zuckersektor arbeiten und schließlich die Anbaufläche um mehr als die Hälfte reduziert werden soll. Zudem soll die Ernte ab 2004 ausschließlich mit Maschinen eingebracht werden, weshalb rund 70 000 Macheteros arbeitslos würden.

Die überflüssigen Arbeitskräfte will der Minister mit Umschulung und Weiterbildung für den Gemüse-, Reis- und Bohnenanbau qualifizieren. Das Gros der frei werdenden Flächen soll der Lebensmittelproduktion dienen. Das ist angesichts der exorbitant hohen Nahrungsmittelimporte Kubas, die eine Milliarde US-Dollar jährlich kosten, eine sinnvolle Maßnahme.

Doch sie wird sich nicht wie geplant in zwei Jahren realisieren lassen, denn die Zuckerrohrböden, insgesamt 1,61 Millionen Hektar, gelten als ausgelaugt und müssen sich erst regenerieren. Mit niedrigen Ernteergebnissen bei hohen laufenden Kosten ist somit zumindest in den ersten Jahren zu rechnen.

Zudem ist die Arbeit in der gewöhnlichen Landwirtschaft in Kuba verpönt. Der niedrige Lohn und die mangelnde Attraktivität der Provinzstädte werden als Gründe genannt. Prämien für die Erfüllung der Arbeitsnorm und die zumindest teilweise Entlohnung in Devisen, die in den neunziger Jahren im Zuckersektor eingeführt wurden, sind in anderen Bereichen der Landwirtschaft wenig verbreitet, der Eifer der Beschäftigten ist dort entsprechend bescheiden.

Der abrupte Schnitt könnte somit zu sozialen und wirtschaftlichen Problemen führen, zumal Ideen zur Umwandlung der Zuckerwirtschaft, zur besseren Vermarktung anderer Produkte aus Zuckerrohr, zur Produktivitätssteigerung und zur Erschließung von Marktnischen nur halbherzig gefördert wurden.

Obwohl Zucker aus biologischem Anbau viermal besser bezahlt wird, beträgt sein Anteil nur zwei Promille der kubanischen Gesamtproduktion (7 500 Tonnen von 3,2 Millionen Tonnen). Für dringend benötigte Neuerungen fehlte es den Kubanern nicht an den Ideen, sehr wohl aber an der Weitsicht und sicherlich auch am Kapital.

Das beste Beispiel dafür ist das Institut für die Erforschung der Abkömmlinge des Zuckerrohrs, das 45 Produkte auf Zuckerrohrbasis im Laufe der letzten 40 Jahre entwickelt hat. Wachs, Enzyme, Hefe, aber auch biologische Waschmittel, Viehfutter oder Spanplatten werden hergestellt, doch bei der industriellen Produktion hapert es noch.

»Diese mangelnde Weitsicht kommt uns jetzt teuer zu stehen«, sagt Agustin Cabello, ein Wissenschaftler am Institut, dem im Ausland oft mehr Interesse entgegengebracht wurde als in Kuba. Das rächt sich nun, denn für einen allmählichen Übergang, den Monreal und andere Wissenschaftler zu Beginn der neunziger Jahre anregten, fehlt nun die Zeit.

Reformen kommen nach wie vor nur zustande, wenn das Land enorm unter Druck steht. Das ist derzeit der Fall, denn fehlende Einnahmen beim Tourismus nach dem 11. September 2001 und die Reparatur der schweren Schäden, die der Hurrikan Michelle im letzten Jahr hinterließ, zwingen die Regierung zum Sparen. Davon ist nun auch jener Wirtschaftssektor betroffen, der zum Symbol der kubanischen Revolution wurde. Die Zeit der heroischen Ernteschlachten ist vorbei.