Dichter und Mastanlagen

Mitleid der Bratenaugen

Wie Thomas Bernhard einen Schweinemäster in die Flucht schlug.

Die Arno-Schmidt-Welt ist in Aufruhr. Der drohende Bau einer hässlichen Putenmastanlage auf heiligem Grund, in Sichtweite des denkmalgeschützten Bargfelder Hauses des Schriftstellers, entsetzt die Gemüter. Derzeit laufen Verhandlungen zwischen dem niedersächsischen Kulturminister Thomas Oppermann (SPD), dem Planer der Mastanlage, und den Gegnern der 10 000-Tiere-Farm, darunter Jan-Philipp Reemtsma und die Arno-Schmidt-Stiftung.

Von 1958 bis 1979 lebte und schrieb Schmidt hier und ließ große Teile seiner Romane und Erzählungen von »Kaff auch Mare Crisium« (1960) über »Zettels Traum« (1970) bis »Abend mit Goldrand« (1975) in der umliegenden platten Landschaft der Heide spielen. Deswegen ist die Gegend nordöstlich von Bargfeld für viele eine poetische Landschaft geworden. Mindestens 700 Besucher kommen pro Jahr, um die numinosen Schauer dieser realen Buchtopografie zu erfahren und die Arno-Schmidt-Stiftung zu besuchen.

Sollte die riesige, geruchs- und sichtbelästigende Mastanlage auf diesem Terrain tatsächlich gebaut werden, wäre das wie ein ironischer Kommentar, aber auch eine Bestätigung der gnostischen Esskosmogonie des bekennenden Dosenfleischessers Arno Schmidt.

Er erinnerte nämlich nüchtern daran, dass allein der fressende Mensch die Krone der leviathanischen Vernichtungsschöpfung sei: »Ein verzweifeltes Rind wurde schwarzweiß zum Fleischer getrieben; und wir betrachteten es mitleidslosen Bratenauges, eckzähnig, wir, Ebenbilder der Gottheit«, heißt es im »Steinernen Herz«. Denn: »Wir fressen ja schließlich auch alles: den Pflanzen die Beeren: ab! Den Tieren das Fell: aus! An allen Zitzen lutschen wir; alle Röhren stecken wir uns in die Mäuler; rohe Muscheln der Seven Seas: nur, damit wir wieder 10 Stunden länger ächzen und fortzen können!« schreibt Schmidt in der »Gelehrtenrepublik«.

Die grausamen Tierhaltungsmethoden und Essmoden der Geschichte mögen wechseln, rot-grüne Regierungen mögen kommen und gehen, doch der Mensch ändert sich in diesem Äon wohl nicht mehr. Dass diese Realität auch den abgeschiedenen Literatur-Olymp Bargfeld einmal erreichen würde, war nur eine Frage der Zeit.

Andere Weltliteraten schlossen schon viel früher Bekanntschaft mit dem, was Schmidts Ruhestätte (er liegt in seinem Garten unter einem Findling begraben) nun bedroht.

Als Arno Schmidts österreichischer Kollege Thomas Bernhard am 30. März 1972 im Gasthof in Mattighofen einkehrte, machte er eine üble Entdeckung. 38 Kilometer von Salzburg entfernt war er mit seinem nachbarlichen Freund, dem Immobilien- und Rechtsberater Karl Ignaz Hennetmair, auf der Suche nach einer Unterkunft für seinen Regisseur Claus Peymann und dessen Theatertruppe. Peymann sollte damals Bernhards Skandalstück »Der Ignorant und der Wahnsinnige« für die Salzburger Festspiele inszenieren.

»Dann gingen wir zum Gasthaus. Dort schlug uns ein fürchterlicher Gestank entgegen«, erinnert sich Hennetmair in seinem Buch »Ein Jahr mit Thomas Bernhard«. »Über einen Vorhausgang erreichten wir ein Loch von einem Raum, in welchem sechs Frauen auf engem Raum zusammengedrängt maschinell Hühner rupften. Man sah Berge von Därmen, und die Hühner gingen von Hand zu Hand. (...) Wegen des Gestankes gingen Thomas und ich aus dem Gang durch ein Tor ins Freie. Dort war es aber auch nicht besser. Neben dem Haus im Freien lagen an einer Hühnerkopfmaschine Hunderte Hühnerköpfe auf einem Haufen. Thomas sagte: Das ist alles viel scheußlicher und schrecklicher anzusehen, als man es je schildern könnte. Diese sechs Frauen im Raum, dass sich zu so einer Arbeit überhaupt noch einer findet. Dieser ganze Betrieb ist bestimmt gesetzeswidrig und gegen die hygienischen Vorschriften.«

So düster solche Beschreibungen den um Bargfeld besorgten Hütern Schmidtschen Angedenkens auch in den Ohren klingen mögen, vielleicht lassen sich aus Bernhards einschlägigen Erfahrungen in grauer agrarwirtschaftlicher Vorzeit auch Mut und Zuversicht gewinnen.

Die wenigsten mögen nämlich wissen, dass sich der Schriftsteller seinerzeit erfolgreich gegen den Bau einer Schweinemastanstalt direkt vor seinem Arbeitszimmer auf der »Krucka« wehrte, einem 1971 erstandenen oberösterreichischen Bauernhof, in dessen Abgeschiedenheit Bernhard zum Schreiben immer wieder flüchtete. In nur 17 Metern Entfernung sollte eine industrielle Mastanlage errichtet werden. (Die geplante Putenfarm in Bargfeld würde in dem vergleichsweise noch erträglichen Abstand von 380 Metern vom Haus gebaut werden.)

Das Hochziehen einer industriellen Tierzuchtanlage direkt vor Bernhards »Geistesbezirk« war damals nicht nur »ein Symbol für den Selbstmord des österreichischen Bauernstandes auf seinem Weg hin zur industriellen Agrarwirtschaft«, wie Fritz Simhandel raunt, sondern sie bedrohte die Existenz des Künstlers Bernhard. Hennetmair berichtet: »Thomas war inzwischen völlig zusammengebrochen, er wolle sein Haus sprengen (...), eine Abbruchfirma muss innerhalb von acht Tagen mein Haus wegschieben«, so Bernhard, um zu betonen, »dass er dann wegen der Lärm- und Geruchsplage vollkommen ruiniert sei und es ihm unmöglich sei, hier zu existieren.«

Um es kurz zu machen: Bernhard gewann den Kampf. Mit welchen rechtlichen Winkelzügen ihm das gelang, kann detailliert bei Hennetmair nachgelesen werden. Doch noch im selben Jahr, 1972, musste sich Bernhard gegen Ölbohrungen nahe seinem Obernathaler Hof erwehren, die in 380 (!) Metern Entfernung stattfinden sollten: »Der Standort sei schon ausgesteckt. Gerade jetzt, wo er sich wieder in die Arbeit stürzen wolle (Bernhard plante den Roman 'Korrektur'), sei für ihn eine solche Lärmbelästigung unmöglich. Außerdem arbeiten diese Bohrmannschaften mit Scheinwerfern die ganze Nacht durch, das sei ihm nicht zuzumuten.«

Thomas Bernhard schreibt am 24. Juli 1972 an Claus Peymann: »Im Augenblick führe ich einen heroischen Kampf mit allen Mitteln gegen eine englische Rohölfirma und den Staat, die beide in unmittelbarer Nähe meines Arbeitshauses nach Oel bohren und mich ruinieren wollen. Der Bagger hat das ganze Erdreich aufgeworfen, ist aber heute durch mich gestoppt worden und abgezogen. Vorläufig. Ich verabscheue Waffengewalt. Vor allem gegen Baggerführer und Oelmagnaten. Rühren Sie sich, Sie sind ein fürchterlicher Mensch. Was für ein Regisseur Sie sind, wird sich zeigen. Herzlichst Thomas B.«

Auch wie diese Geschichte glimpflich ausging, mag jeder selbst bei Hennetmair nachlesen. Vielleicht lässt sich daraus ja Mut für den Kampf der Bargfelder Gralshüter gewinnen.