Peter Hackls Aufklärungskino

Sind Socken sexy?

Der Film »Anleitung zur sexuellen Unzufriedenheit« des Regisseurs Peter Hackl ist wohl der beste des Jahres. Erstens bewegt sich die Kamera kaum, zweitens passiert nicht viel, außer dass ein älterer Mann auf der Bühne steht, und drittens fühlen sich trotzdem alle sexy, wenn sie rausgehen.

Denn Bernhard Ludwig, der ältere Mann auf der Bühne, ist zugleich Darsteller und Verhaltenstherapeut (konfrontativ), und weil die Leute gern im Kino sitzen und die Verhaltenstherapie gerade ihren Siegeszug antritt, fallen hier zwei sehr interessante Dinge zusammen.

Die Herstellung des Films ist extrem billig, hier wird nur ein Kabarettprogramm dokumentiert; andererseits bietet Ludwig eine Doppelstunde Sexualtherapieseminar, was ansonsten 120 Euro kostet. Was wollen alle Frauen? Sind nackte Männer in Socken attraktiv? Woran erkennen Sie sexuelle Unzufriedenheit bei anderen? Kommen Frauen von der Venus und Männer vom Mars? Anhand gruseliger Fälle aus der Praxis werden Lösungsvorschläge erarbeitet. Also Seminar plus Kabarett gleich vollwertige Dienstleistung.

Nebenher wird der durch seine überladenen Actionsequenzen, Sex und Romantik bis zum Würgen, Krieg, Terror und schlechte Drehbücher überfrachtete Kinosektor ausgekehrt und das interaktive Kino erfunden.

Der Wiener Bernhard Ludwig leitet seit 20 Jahren Übergewichtsgruppen. Nach seiner Tätigkeit als Therapeut und nach Studien in Deutschland, Großbritannien und den USA begann er 1992, seine Seminare als Kabarettabende zu gestalten. 1993 prägte er den Begriff »Seminarkabarett« und leitete begleitende wissenschaftliche Untersuchungen, zum Beispiel am Institut für Sozial- und Präventivmedizin der Universität Zürich.

Seine Programme wurden vor allem für Herzinfarkt- und übergewichtige Hochdruckpatienten entwickelt und erprobt. Aus diesen Tätigkeiten entstanden die Seminarkabarettprogramme »Anleitung zum Herzinfarkt«, »Anleitung zum Diätwahnsinn« und eben »Anleitung zur sexuellen Unzufriedenheit«.

Der Mittfünfziger begann seine Laufbahn als Medizin- und Psychologiestudent und schrieb seine Dissertation über »Verhaltenstherapie mit Übergewichtigen«. Man würde sich wünschen, dass auch dieser Kursus auf die Bühne und ins Kino käme. Das Kino würde repolitisiert, die Kameras stünden wieder da, wo sie auch nicht hingehören: in Managerseminaren, Kampfpilotenbriefings und an der Penny-Kasse - anschließend erklärt uns der Verhaltenswissenschaftler, was wir gerade gesehen haben.

Mit ein bisschen Biologie, Verkäufertraining und Kabarett-Talent haut Ludwig den Zuschauern Hormone und Vitamine um die Ohren, und warum Männer nicht zu Frauen passen, das erklärt uns der Nervenschaltkreis-elektriker. »Anleitung zur sexuellen Unzufriedenheit« ist alles, was Kino ausmacht: »Jede Vorstellung wird durch das Publikum mitbestimmt, beeinflusst und dadurch anders«, heißt es in der Anleitung zur »Anleitung«. Das mag auf der Bühne klappen, im Kino klappt es hundertprozentig nicht. Wen kümmert's?

Damit das Publikum von vornherein weiß, was es erwartet, gibt es zehn Regeln, die »Anleitung zur Anleitung« fürs Kinoexperiment. Hier sei Punkt neun wiedergegeben, um die Richtigkeit meiner These vom neuen Kino zu belegen. »Sie sind Ihr/Ihre eigene/r Regisseur/in. Für sämtliche Spezialeffekte, die in Ihrem Kopf entstehen werden, tragen Sie selbst die Verantwortung.« Hier wird eine 50 Jahre alte Forderung der Filmkritik eingelöst, die des allmählichen Verfertigens der Spezialeffekte beim Zusehen. »Anleitung zum sexuellen Unzufriedenheit« ist ein epochales Kinowerk.

»Anleitung zur sexuellen Unzufriedenheit.« Österreich 2002. Regie: Peter Hackl. D: Bernhard Ludwig. Start: 26. September