Qualwahl in Belgrad

Inmitten von Chaos und Krise geht Serbien dem zweiten Durchgang der Präsidentschaftswahlen entgegen.

In Serbien scheinen Wähler und Politiker gemeinsam alles daran zu setzen, das Land ins Chaos zu stürzen. Am 13. Oktober steht die zweite Runde der serbischen Präsidentschaftswahlen an, bei der sich voraussichtlich der national-konservative Vojislav Kostunica durchsetzen wird. Er hat angekündigt, anschließend seinen Intimfeind, den prowestlichen serbischen Ministerpräsidenten Zoran Djindjic, zu stürzen. Vielleicht bleibt das Land aber auch ganz ohne Präsidenten und gerät in eine Staatskrise. Wenn nämlich mehr als die Hälfte der Stimmberechtigten dem zweiten Wahlgang fernbleibt, wird dieser annulliert und für November eine Neuwahl angesetzt. Dafür mobilisiert der im ersten Wahlgang erstarkte Rechtsextremist Vojislav Seselj und ruft zum Boykott auf. »Wir sind zu hundert Prozent überzeugt, dass die zweite Runde fehlschlägt«, sagt er.

Unrealistisch ist diese Prognose nicht, denn die Wahlbeteiligung lag bereits im ersten Wahlgang nur bei 55,7 Prozent. Auch Djindjic käme ein Scheitern der Wahl sehr gelegen, könnte er so doch, zumindest vorerst, seine Macht erhalten.

Mit dem ersten Wahlgang haben Serbiens Bürger das prowestliche Lager abgestraft. Der neoliberale Wirtschaftsprofessor und Djindjic-Vertraute Miroljub Labus erreichte nur 27,4 Prozent. Seine Botschaft, dass man harte Zeiten durchstehen müsse, um in die Europäische Union zu gelangen, überzeugte nur das Bürgertum in den Städten und die ungarische Minderheit in der Vojvodina. Kostunica kam mit seiner national-populistischen Kampagne auf 31,3 Prozent. Das ist zwar mehr, als Labus schaffte, aber auch nicht das erhoffte glänzende Ergebnis. Offensichtlich hat Kostunica der seit Monaten anhaltende Konflikt mit seinem einstigen Verbündeten Djindjic Zustimmung gekostet.

Die Überraschung der Wahl ist das hervorragende Ergebnis des Rechtsextremisten Seselj. Mit 22,6 Prozent kam er Labus im Kampf um den Einzug in die Stichwahl gefährlich nahe. Seselj, der enge politische Freundschaften mit dem russischen Rechtsextremisten Vladimir Schirinowski und Frankreichs Jean Marie Le Pen pflegt, wird in Zukunft wieder eine wichtigere Rolle in Serbien spielen, nachdem er bereits unter Slobodan Milosevic zeitweilig an der Macht beteiligt war. Unter den in der Stadt Kosovska Mitrovica von kosovo-albanischen Nationalisten umzingelten 100 000 Kosovo-Serben erreichte er den ersten Platz.

Die anderen Kandidaten - der Monarchist Vuk Draskovic sowie der Neofaschist Borislav Pelevic von der Partei der Serbischen Einheit, nebenbei Vorsitzender der Kickboxer-Assoziation - gewannen jeweils etwa vier Prozent.

Bei der zweiten Runde der Wahlen werden sich nun Kostunica und Labus gegenüberstehen. Während Labus sein Potenzial schon weitgehend ausgeschöpft hat, dürften viele Wähler der nationalistischen Parteien nun für Kostunica votieren.

Für Kostunica geht es um alles oder nichts. Seit dem Sturz Milosevics im Oktober 2000 amtiert er als jugoslawischer Präsident. Aber Jugoslawien wird demnächst aufgelöst und in den Staatenbund »Serbien und Montenegro« überführt. Damit wird sein derzeitiges Amt verschwinden. Will Kostunica weiter an führender Stelle die Geschicke des Landes bestimmen, muss er die serbische Präsidentschaftswahl gewinnen. Zwar ist der Posten vornehmlich repräsentativer Natur, aber wichtige Entscheidungen kann er dennoch treffen, etwa über die Termine für die Neuwahlen des serbischen Parlaments.

Kostunica hat im vergangenen Wahlkampf nichts unversucht gelassen. In der ersten Phase seiner Kampagne beschuldigte der Juraprofessor seine Konkurrenten Djindjic und Labus der Komplizenschaft mit der Mafia. Kostunica, der sich als rechtstreuer Saubermann stilisiert, warnte vor einer »Kolumbianisierung« des Landes und mobilisierte den Unmut über die grassierende Korruption.

In der zweiten Phase spielte er die nationalistische Karte. Auf einer Kundgebung Anfang September stellte er die Grenze zu Bosnien-Herzegowina in Frage. Kostunica erklärte, er betrachte den serbischen Teil des Nachbarstaates als »Teil der Familie«. Die Republika Srpska sei nur »vorübergehend abgetrennt« von Serbien und »immer unser und in unserem Herzen«. Mit dieser gezielten Provokation löste er in Sarajevo einen Proteststurm aus. Einer der führenden muslimischen Politiker, Haris Silajdzic, deutete Kostunicas Worte pathetisch »als Schritt zur Kriegserklärung«. Kostunicas Wahlkampfleiter erklärte anschließend, es sei nichts Strittiges an der Äußerung. Ost- und Westdeutschland hätten früher schließlich auch danach gestrebt, sich zu vereinigen.

In der Schlussphase thematisierte Kostunica die miserable soziale und wirtschaftliche Lage im durch Krieg, Misswirtschaft und Embargo zerrütteten Land. Die neoliberale Politik Djindjics und Labus' sei unmenschlich und die vollständige Unterordnung unter die Spardiktate der internationalen Geldgeber nicht notwendig. »Es gibt immer noch eine gewisse Bewegungsmöglichkeit für uns, so dass wir uns um die soziale Situation der Menschen und ihr Überleben kümmern können«, erklärte er.

Aber auch von Fürsprechern des Kapitalismus wird die Regierung Djindjic kritisiert. Das »Zentrum für Marktreformen« beklagt in einem Bericht mit dem Titel »Zwei verlorene Jahre«, dass die Liberalisierung viel zu langsam vorankomme. »Statt eine grundsätzliche Reform anzufangen, hat die Regierung die ausländische Hilfe genutzt, um den Lebensstandard künstlich zu heben und die Illusion einer Verbesserung zu verbreiten«, konstatieren sie.

In Serbien liegt der Durchschnittslohn derzeit bei spärlichen 150 Euro im Monat. Das ist zwar etwas mehr als vor zwei Jahren, aber seither sind auch die Preise enorm gestiegen. Die beginnende Privatisierung führt außerdem zu einem Anwachsen der Arbeitslosigkeit. Für die meisten Menschen sind ein paar vom Geld der EU gekaufte neue Linienbusse, die in Belgrad herumfahren, die einzigen positiven Resultate der Reformpolitik. Gleichzeitig wachsen die Schlangen vor den Suppenküchen. Kostunicas rhetorische Verteidigung der Armen kann allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass er kein alternatives Wirtschaftsprogramm formuliert. Nach dem ersten Durchgang der Wahlen erklärte er stattdessen, Labus sei zwar ein schlechter Politiker, aber ein kompetenter Wirtschaftsexperte und lud ihn ein, sein Stellvertreter zu werden.

Vorerst keine Rolle mehr spielen die Relikte der Sozialistischen Partei Serbiens (SPS). Nachdem ihr Vorsitzender Slobodan Milosevic die Serben bereits im August aus Den Haag zur Stimmabgabe für den Rechtsextremisten Seselj, den »aussichtsreichsten Patrioten«, aufgefordert hatte, zerstritten sich die Reste der ohnehin gespaltenen ehemaligen Staatspartei weiter. Zwei Flügel stellten schließlich gegen die Empfehlung von ganz oben eigene Kandidaten auf. Beide fielen allerdings auf die Nase. Velimir Zivojinovic, ein populärer Schauspieler aus der Tito-Zeit, der als Hauptdarsteller in unzähligen Partisanenfilmen mehrere tausend deutsche Wehrmachtssoldaten erschossen hat, erreichte nur enttäuschende 3,3 Prozent. Und Branislav Ivkovic vom anderen SPS-Flügel verkümmerte mit 1,1 Prozent. Auch Mira Markovic, die Ehefrau Milosevics und frühere Vorsitzende der Vereinigten Jugoslawischen Linken, tut sich als vehemente Fürsprecherin des Rechtsextremisten Seselj hervor. Derzeit existiert in Serbien außer wenigen anarchistischen Zirkeln keine linke politische Option, die gleichzeitig den Widerstand gegen kapitalistische Marktreformen und gegen den Nationalismus artikuliert.