Regionalparlament in Nordirak

Richtung Autonomie

Als 1994 irakische Truppen in Arbil, der Hauptstadt der autonomen Selbstverwaltungsgebiete im Nordirak einmarschierten, glaubte niemand mehr an die Zukunft Irakisch-Kurdistans und schon gar nicht daran, dass eines Tages wieder das kurdische Regionalparlament zusammentreten würde. Zu sehr schien damals der von allen Nachbarstaaten unterstützte Krieg zwischen der Demokratischen Partei Kurdistans (KDP) und der Patriotischen Union (PUK) die Region zerrüttet zu haben. Entgegen allen Erwartungen aber überstand Irakisch-Kurdistan als von der irakischen Zentralregierung de facto unabhängige Entität weitere sechs Jahre, und nun scheint der Sturz Saddam Husseins wahrscheinlicher als das Ende der kurdischen Autonomie.

Während die USA ihren Ton gegenüber der irakischen Regierung weiter verschärfen, fand am Freitag erstmals seit acht Jahren wieder eine Sitzung der Nationalversammlung statt, bei der alle 100 Parlamentarier und beide Parteivorsitzenden anwesend waren. Sie stellt nicht nur einen vorläufigen Höhepunkt des seit 1998 von den USA geförderten Friedensprozesses zwischen beiden großen Parteien dar, sondern ist auch Ausdruck des enormen äußeren Druckes, dem die Kurden vor dem Krieg gegen Saddam Hussein ausgesetzt sind. Während die Türkei immer offener mit einem Einmarsch im Nordirak droht, sollten die Kurden ihre Unabhängigkeit erklären, misstraut man in Irakisch-Kurdistan weiterhin den Verlautbarungen der USA. Außenminister Colin Powell ließ zur Parlamentseröffnung eine Grußadresse verlesen, in der er erneut erklärte, Amerika kämpfe für einen demokratischen, geeinten und pluralistischen Irak mit starker kurdischer Autonomie. Aber zu oft schon haben die USA die Kurden als strategische Bündnispartner benutzt, um sie dann fallen zu lassen.

In Irakisch-Kurdistan fürchtet man aber nicht nur, dass die USA lediglich einen anderen Diktator in Bagdad installieren wollen, sondern auch, dass, sollte der Krieg nur halbherzig geführt werden, Iraks Truppen erneut im Nordirak einmarschieren und dort ein weiteres Massaker verüben könnten. Anders als Israel, wo man sich ebenfalls auf irakische Anschläge mit Massenvernichtungswaffen vorbereitet, können sich die Kurden gegen solche Angriffe nicht einmal minimal schützen. Es bliebe ihnen erneut nur die Flucht in den Iran oder die Türkei, weshalb letztere schon jetzt Auffanglager an der Grenze zu bauen beginnt.

Sowohl Massoud Barzani wie Jalal Talabani haben in ihren Reden vor dem Parlament unterstrichen, dass sie keineswegs einen eigenen kurdischen Staat anstreben. Gemeinsam mit Arabern, Assyrern und Turkmenen wolle man endlich in einem freien und demokratischen Irak leben, erklärte Barzani. Von den Kurden gehe keinerlei Gefahr für die Nachbarstaaten aus, im Gegenteil strebe man enge und freundschaftliche Beziehungen an.

Für die USA stellen die Kurden einen wichtigen Faktor in ihren Kriegsplanungen dar, denn in Washington weiß man, dass der Hass auf das gegenwärtige irakische Regime im Nordirak ebenso groß ist wie im schiitischen Süden. Seit einigen Monaten bemühen sich auch die kurdischen Parteien um eine engere Kooperation vor allem mit dem Supreme Council of the Islamic Resistance in Iraq (SCIRI), aber auch mit den anderen Oppositionsparteien. Offenbar ist man sich im Nordirak dessen bewusst geworden, dass ein effektiver Schutz vor der Zentralmacht in Bagdad weniger durch eine Separation erreichbar ist als durch eine starke Präsenz in einer neuen Regierung.