Das kurdische Parlament tagte

Vertrag für einen Tag

Eigentlich könnten schon Mitte Oktober die ersten UN-Waffeninspektoren im Irak eintreffen. Die USA aber torpedieren die in Wien ausgehandelte Vereinbarung und erwarten von den UN einen Freibrief für einen Krieg.

Die Statements des Chefs der UN-Waffenkontrollkomission (Unmovic), Hans Blix, zu deuten, erfordert ein feines Gehör für Zwischentöne und die Fähigkeit, recht freizügig zu assoziieren. Deshalb hat er letzte Woche des Öfteren seine Zuhörer verblüfft. Als er etwa am vorvergangenen Montagvormittag am Gelände der Wiener Uno-City ein erstes Statement zum Beginn der Verhandlungen über die Rückkehr der UN-Waffeninspektoren in den Irak gab, antwortete er auf die Frage nach dem Zutritt zu den acht »präsidialen Geländen« im Irak, das sei alles schon gelöst und »in einem anderen Agreement festgeschrieben«.

Doch das ungläubige Staunen der rund 300 in Wien anwesenden Journalisten dauerte nicht lange, denn um dieses Statement von Blix richtig zu deuten, bedarf es eines Rückblicks in die Geschichte des langen Konfliktes mit dem Irak: Im Jahre 1998 verständigten sich UN-Generalsekretär Kofi Annan und der irakische Vize-Premier Tarik Aziz darauf, dass die UN-Waffeninspektoren vorerst keinen Zutritt zu den acht »präsidialen Geländen« mit einer Gesamtfläche von immerhin zwölf Quadratkilometern haben würden. Damals übrigens mit Zustimmung der Vereinigten Staaten, die nun ihre Unzufriedenheit mit den in Wien ausgehandelten Ergebnissen genau auf diese Frage gründen. Tatsächlich ist aber in der leidigen Angelegenheit der »präsidialen Gelände« gar nichts gelöst: »Das muss in separaten Verhandlungen zwischen Kofi Annan und der irakischen Regierung besprochen werden«, sagt Melissa Fleming, Sprecherin der Wiener Atomenergiebehörde der Jungle World.

Immerhin aber ist es in Wien gelungen, neben technischem Kram wie dem Wiederaufbau von Kommunikationseinrichtungen, der Renovierung der UN-Gebäude in Bagdad und der Klärung von Visa-Angelegenheiten auch tatsächlich knifflige Details einer Arbeit der UN-Inspektoren zu lösen: sie können etwa auch so genannte »sensitive areas« wie militärische Einrichtungen, das Hauptquartier der Baath-Partei oder Moscheen auf die Existenz von Labors für Massenvernichtungswaffen erforschen. Dafür bedarf es nun keiner speziellen Arrangements mit den Irakis mehr.

Doch der scheinbare Durchbruch bei den Wiener Verhandlungen schindet bei der in diesem Fall kriegstreibenden Kraft USA so gut wie keinen Eindruck - was eigentlich schon am Abend des ersten Verhandlungstages in Wien klar war. »Herr Blix sollte mit einer Einigung warten, bis der UN-Sicherheitsrat neue Regulierungen und Resolutionen verabschiedet hat«, entzog US-Außenminister Colin Powell dem in Wien verhandelnden Schweden gleich mal die Geschäftsgrundlage.

US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld wiederum gab sich während einer Pressekonferenz im Pentagon ignorant. »Ich weiß nicht, worüber die UN in Wien verhandeln«, meinte er auf eine entsprechende Frage eines Journalisten. Später kommentierte Blix die Obstruktionspolitik aus den USA mit den Worten: »Ich freue mich, dass Herr Außenminister Powell mir zugesteht, von den Vorgängen auf der Welt informiert zu sein.«

Als wären die USA ein zu vernachlässigender Faktor in der UN-Maschinerie, präsentierten Hans Blix und sein irakischer Gegenpart Amir Al Sadi dennoch der Weltpresse am Dienstagabend ein schneidiges Ergebnis und erklärten, die Inspektoren hätten nun ungehinderten und bedingungslosen Zugang zu allen Objekten ihrer forscherischen Begierde im Irak; deshalb erwarte man, die ersten UN-Teams schon Mitte Oktober nach Bagdad schicken zu können.

Zu diesem Zeitpunkt war längst bekannt, dass US-Außenminister Powell angekündigt hatte, eine Rückkehr der Inspektoren ohne neue, schärfere UN-Resolution verhindern zu wollen. Hans Blix schwenkte nach Gesprächen mit Powell Ende der Woche in Washington auf diese Linie ein und opferte damit sein eigenes, durchaus mühsam erfeilschtes Verhandlungsergebnis den US-amerikanischen Begehrlichkeiten. »Eine solche Resolution wäre nützlich, um eine klare Lage für die UN-Mission zu schaffen«, sagte Blix am Freitag. Gleichzeitig meinte er, es wäre merkwürdig, würden die UN-Inspektoren erst im Irak von neuen Instruktionen erfahren, die in einer UN-Resolution enthalten wären. Colin Powell dürfte gute Überzeugungsarbeit geleistet haben, denn nach seinen Gesprächen mit Powell begrüßte Blix indirekt auch die Drohung eines US-Militärschlages gegen den Irak: »Die Resolution, die jetzt diskutiert wird, können wir begrüßen.«

Vielleicht liegt es ja an der Persönlichkeit des Schweden. Sein ehemaliger Politikerkollege und Vize-Premier Per Ahlberg hält Blix für einen »freundlichen Menschen«, der sich aber politisch »leicht täuschen lässt« und im übrigen ein »Weichei« sei. Dass Blix unter Umständen eine Fehlbesetzung ist, meint auch der ehemalige US-amerikanische Botschafter bei den Vereinten Nationen in Wien, John Ritch: »Für die Irakis wird er vielleicht zu fordernd sein, für die Amerikaner zu diplomatisch und für die Menschen, die um jeden Preis Frieden wollen, zu kompromisslos.«

Nun wird von den Vereinten Nationen zurückgerudert und der Stellenwert der Wiener Vereinbarung etwa auf den einer internationalen Sitzung von Hausmeistern zurückgestuft, die sich mal eben treffen, um das Inventar im fernen Bagdad rundum erneuern zu lassen. »Das, was wir in Wien verhandelt haben, braucht keine neue Basis durch eine neue Resolution. Es ging ja auch um technische Fragen wie Sicherheit, Logistik, Unterkunft, Visa, Landerechte, Infrastruktur oder Kommunikation unserer Basis in Bagdad«, sagt Mark Gwozdecky, Informationsdirektor der IAEA im Gespräch mit der Jungle World (siehe Seite 3).

Der von den USA im UN-Sicherheitsrat vorgeschlagene Resolutionsentwurf würde tatsächlich neue Verhandlungen und ein neues Inspektionsregime erfordern. So sollen die UN-Inspektoren im Irak auch No-Fly-Zones und No-Drive-Zones deklarieren können - davon ist in der Wiener Vereinbarung gar keine Rede. Ob das für den Erfolg von Inspektionen sinnvoll ist, wird von den UN nicht kommentiert, Experten bezweifeln aber, ob durch solche verkehrsberuhigten Zonen die Inspektionen gefördert werden. Viel eher sind sie ein Mittel, um die Souveränität des Irak erneut zu beschneiden.

Mit einem anderen Paragraphen des in UN-Kreisen zirkulierenden Resolutionsentwurfs degradieren die USA die Vereinten Nationen im Fall des Irak endgültig zum Abnickgremium bar jeden realpolitischen Einflusses, dessen Handlungsmonopol auf wenige technische Details beschränkt ist. Im Falle neu auftretender irakischer Hinterhältigkeiten während der Waffeninspektionen oder wenn Saddam Hussein beim Flunkern über das eigene Waffenarsenal ertappt wird, solle ein »UN-Mitgliedsstaat« das Recht haben, ohne weitere Konsultationen des Sicherheitsrates alle notwendigen Maßnahmen - auch militärische - zu ergreifen. Das Entscheidungsmonopol der UN für Gewaltmaßnahmen ist damit Vergangenheit, denn welcher Mitgliedsstaat die notwendigen Maßnahmen ergreifen wird, ist jetzt schon klar. Der Sicherheitsrat könnte anschließend Urlaub machen. Für lange Zeit.